EU-Einigung auf Lockerungen der Gentechnik-Regeln
Die neuen Vorgaben müssen noch vom EU-Parlament und den EU-Staaten bestätigt werden. Normalerweise ist das Formsache, wenn sich die Unterhändler der Institutionen zuvor auf einen Kompromiss geeinigt haben. Die Regeln sollen sogenannte Neue Genomische Techniken (NGT) betreffen. Dabei geht es um eine begrenzte Anzahl gentechnischer Eingriffe - etwa durch die "Gen-Schere" Crispr-Cas -, die nach Einschätzung der EU-Kommission lediglich eine herkömmliche Züchtung beschleunigen.
Diese Sorten sollen nach Angaben von Teilnehmern beider Seiten nur noch auf dem Saatgut als gentechnisch verändert gekennzeichnet werden müssen. Außerdem sollen Umweltprüfungen vor der Zulassung wegfallen. Diese sind bisher so aufwendig, dass eine Zulassung so teuer ist und lange dauert, dass sie sich häufig nicht lohnt.
Besseres Obst und Gemüse erhofft
Befürworter erhoffen sich durch die Veränderungen Obst- und Gemüsesorten, die ertragreicher, resistenter gegen den Klimawandel sowie nährstoffreicher sind und weniger Dünger benötigen. Wissenschafter erwarten zudem eine einfachere Forschung durch weniger strenge Vorgaben. In anderen Weltregionen gibt es bereits lockere Regeln, Vertreter von Parlament und EU-Staaten setzen deswegen auch auf eine bessere Wettbewerbsfähigkeit für Landwirte. Im Agrarsektor fanden die Vorschläge daher Zustimmung.
Kritiker fordern unter anderem, dass Konsumenten eine Wahlfreiheit gelassen werden sollte, ob sie solche Lebensmittel konsumieren möchten oder nicht. Kritisch sehen die österreichischen EU-Parlamentarier die Neuregelung: Bei der Abstimmung der Parlamentsposition vor über einem Jahr, d.h. noch in der letzten Legislaturperiode vor den EU-Wahlen, hatten die anwesenden österreichischen Mandatare bis auf die NEOS mit Nein gestimmt.
Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) hatte bei Treffen mit seinen EU-Amtskolleginnen und -kollegen immer die Position Österreichs für Wahlfreiheit und für eine Kennzeichnungspflicht vertreten. Er hatte Befürchtungen geäußert, dass durch die ursprünglichen Vorschläge der Kommission große Konzerne begünstigt und die vergleichsweise kleinstrukturierte Land- und Saatgutwirtschaft bedroht werden könnte. Zu der nun erzielten Einigung sagte Totschnig, dass Österreichs kritische Haltung weiterhin bestehen bleibt, "weshalb es von uns keine Zustimmung geben wird." Die Verbraucher müssten Wahlfreiheit haben und daher sei eine klare Kennzeichnung wesentlich.
Gelockerte Vorgaben für Patentierbarkeit
Der vereinbarte Entwurf sieht außerdem gelockerte Vorgaben für die Nachverfolgbarkeit gentechnisch veränderter Pflanzen auf Feldern sowie eine Regelung für die Patentierbarkeit der Technologien vor. Gentechnikfrei soll in Zukunft auch weiterhin die Biolandwirtschaft bleiben. Jedoch soll es laut Parlament kein Verstoß darstellen, wenn es um ein "technisch unvermeidbares Vorhandensein" von Gentechnik geht.
Grundsätzlich sind mit Gen-Scheren sowohl kleine als auch deutlich größere Eingriffe möglich. Für weitergehende Eingriffe in Pflanzen gelten auch in Zukunft strengere Regeln - etwa, wenn artfremde Gene in eine Pflanze eingebracht werden. Das ist beispielsweise der Fall, wenn Gene aus einem Bakterium in eine Maispflanze eingeführt werden.
Kritik und Freude
Die ARGE Gentechnik-frei reagierte in einer Aussendung am Donnerstag mit Kritik auf den Abschluss der Trilogverhandlungen. Diese seien "überhastet, intransparent und unter massiver politischer Drohkulisse" geführt worden. "Dieses Ergebnis spiegelt weder die Interessen der europäischen Landwirtschaft noch die Erwartungen der Lebensmittelwirtschaft und der Konsumenten und Konsumentinnen wider", erklärte Florian Faber von der ARGE Gentechnik-frei.
Erfreut äußerte sich hingegen der Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), Heinz Faßmann, in einem Statement: "Dafür hat die Wissenschaft jahrelang gekämpft. Für die Forschung ist die Lockerung ein wichtiger Schritt nach vorn. Die großen Chancen der neuen gentechnischen Methoden werden nun erkannt." Diese könnten laut Faßmann dabei helfen, die Folgen des Klimawandels wie Trockenheit und Ernteausfälle besser zu bewältigen.
Hoffen auf finale Abstimmung
Eine "Hiobsbotschaft für die bäuerliche und biologische Landwirtschaft" ist die Einigung aus Sicht von Olga Voglauer, der Landwirtschaftssprecherin der Grünen. Sie sei eine völlige Missachtung des Vorsorgeprinzips und eine Kapitulation vor den Interessen der Agrarindustrie. "Die finale Abstimmung im Europäischen Parlament und im Rat kommt erst noch. Es gibt noch eine letzte Chance, diesen faulen Kompromiss zu verhindern."
Auch Greenpeace äußerte sich zur Einigung durchwegs ablehnend und wies in einer Aussendung darauf hin, dass die NGT-Pflanzen als Erfindung gelten und patentiert werden können. Die Saatgutkonzerne könnten damit ihre Marktmacht ausbauen, was auf Kosten von Landwirten und kleinen und mittleren Züchtenden ginge. Die Biolandwirtschaft müsse um ihre Existenz bangen, denn genmanipuliertes Saatgut kennt keine Ackergrenzen, warnte Global 2000 vor möglichen Klagen von Großkonzernen wegen unerlaubter Nutzung.
(APA/dpa/AFP)
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