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Zum Weltfrühgeborenentag erzählen Eltern ihre Geschichte.
Zum Weltfrühgeborenentag erzählen Eltern ihre Geschichte. ©handout/privat

"Ich hab nur noch gebetet, dass wir das überleben": Wenn das Leben zu früh beginnt

Wenn Babys Wochen zu früh geboren werden, beginnt ein Ausnahmezustand. Auf der Intensivstation zählt jeder Herzschlag, für Eltern jede Minute. Vorarlberger Betroffene erzählen, wie sich ihr Leben schlagartig veränderte.

Von der Angst, in sterilen Krankenhausfluren den Halt zu verlieren, vom gedämpften Rhythmus der Monitore, von Tagen im Wartestand zwischen Inkubator und Hoffnung. Die frisch gebackenen Eltern Jasmin und Hannes aus Lustenau und Mutter Ismeta aus Hohenems erzählen, was es bedeutet, stark zu bleiben, wenn das Leben unplanbar früh beginnt.

Video: Vorarlberger Frühchen-Eltern zwischen Angst und Hoffnung

"Es hat mir das Herz zerrissen, ohne meine Babys heimzufahren"

Es ist die 35. Schwangerschaftswoche, als bei Jasmin Heinzle die Werte kippen. "Die Präeklampsie hat sich langsam angekündigt", sagt die 29-Jährige. Die Ärzte raten zu einem Kaiserschnitt – lieber kontrolliert, als später ein Notfall. "Wir wollten, dass sie sicher zur Welt kommen. Das war die richtige Entscheidung."

Zwei winzige, in Watte gepackte Zwillinge, rund 2000 Gramm leicht, 43 und 44 Zentimeter groß, werden geboren. "Ich hab sie im OP nur kurz gesehen – dann waren sie auch schon weg, angeschlossen, überwacht", erzählt Jasmin. Erst am zweiten Tag darf sie sie halten: "So kleine Würmchen. Und doch war da sofort diese Liebe."

Hannes und Jasmin aus Lustenau durften vor acht Wochen ihre Zwillinge begrüßen. ©VOL.AT/Emilia Waanders

Vater Hannes, 30, beschreibt den ersten Blick als "unglaublich": "So zart, so zerbrechlich." Einen Monat lang prägt das Pendeln zwischen Zuhause und Neonatologie den Alltag. Elternbetten sind knapp, Jasmin überlässt ihren Platz jenen, die von weiter her kommen – und fährt selbst nach Hause, ohne ihre Kinder. "Es hat mir das Herz zerrissen", sagt sie. Hannes beschreibt den Ausnahmezustand als Autopilot: Arbeit, Fahrten, Warten. Vor und zurück zwischen Fortschritt und Alarm, Hoffnung und Erschöpfung.

Acht Wochen später klingen beide erleichtert. Die Zwillinge haben "brav zugelegt", eine bekommt spezielle Frühchennahrung mit Zusatz, beide trinken gut. "Man merkt richtig: Sie sind keine Frühchen mehr", sagt Hannes stolz. Koliken plagen sie noch – aber: "Wir geben unser Bestes. Frühchen sind kleine Kämpfer."

Die beiden kamen in der 35. Schwangerschaftswoche zur Welt. ©handout/privat

Was bleibt, ist der Rat zur Geduld – für das Kind wie für sich selbst. Vergleiche helfen nicht, sagen die Eltern, denn Frühgeborene gehen ihren eigenen Weg, in ihrem eigenen Tempo. Was im Bauch hätte wachsen sollen, geschieht nun unter Beobachtung. Das Wichtigste aber: füreinander da sein. Worte sind oft überflüssig; Nähe, auch schweigend, trägt durch die Unsicherheit.

  • "Man muss nicht viel reden – ich habe viel geweint und Hannes war einfach für mich da. Manchmal reicht es, sich einfach nur zu halten."
Familie Heinzle ist froh, dass ihre Babys mittlerweile gesund und munter sind. ©handout/privat

Für Jasmin und ihre Familie ist es der erste Weltfrühchentag – ein Datum, das ihnen bislang nichts sagte. Nun erhält es Bedeutung. "Wir wussten davor gar nicht, dass es den gibt", sagt Jasmin. "Jetzt hat er Bedeutung. Vielleicht zünden wir eine Kerze an – für alle kleinen Kämpfer." Heute wissen sie, was hinter jedem Gramm Gewichtszunahme an Anstrengung, Sorge und Hoffnung steht.

"Ich hab nur noch gebetet, dass wir das überleben"

In der 24. Schwangerschaftswoche erfährt Ismeta Primorac aus Hohenems, dass ihr Muttermund stark verkürzt ist. "Ich war bei einer ganz normalen Kontrolle, und plötzlich hieß es: sofort nach Feldkirch, strengste Bettruhe", erzählt sie. Von einem Moment auf den anderen war alles anders. Ihre kleine Tochter Lorena war damals erst eineinhalb Jahre alt. "Das war das Schwerste – sie daheim zu lassen und nicht zu wissen, wann ich sie wieder richtig sehen kann."

Ismeta Primorac. ©VOL.AT/Emilia Waanders

In der 24. Schwangerschaftswoche, bei einer Routineuntersuchung, erhält Ismeta Primorac aus Hohenems eine Diagnose, die alles verändert: Der Muttermund ist stark verkürzt – akute Frühgeburtsgefahr. "Ich war bei einer ganz normalen Kontrolle, und plötzlich hieß es: sofort nach Feldkirch, strengste Bettruhe", erinnert sie sich. Von einem Augenblick auf den nächsten liegt ihr Alltag still.

Zu Hause wartet ihre kleine Tochter Lorena, gerade einmal eineinhalb Jahre alt. Doch Nähe wird zur Distanz, Muttersein zur Zerreißprobe. "Das war das Schwerste – sie daheim zu lassen und nicht zu wissen, wann ich sie wieder richtig sehen kann", sagt Primorac. Ihre Stimme verrät, dass das Erlebte nachwirkt – wie eine Wunde, die nicht heilt, sondern leise pocht.

Die Geburt verläuft dramatisch. Ismeta Primorac verliert viel Blut, zwei Transfusionen sind nötig. In den ersten zwei Tagen nach der Entbindung fehlt ihr die Kraft, um ihren neugeborenen Sohn zu sehen. "Das war die schlimmste Zeit. Ich wusste nur, dass er lebt, aber ich konnte nicht bei ihm sein." Erst als ein Arzt entscheidet, sie mitsamt dem Krankenbett auf die Neonatologie zu bringen, nähert sie sich dem neuen Leben an – vorsichtig, zögerlich. "Als ich ihn endlich im Arm hielt, so klein, so zerbrechlich – da wusste ich, wir schaffen das."

Der kleine Christiano. ©handout/privat

Fünf Wochen lang liegt der kleine Christiano auf der Neonatologie, angeschlossen an Monitore, begleitet von Hoffen und Bangen. Dann, wenige Tage vor Weihnachten, darf er endlich nach Hause. "Das war unser schönstes Weihnachtsgeschenk", sagt Ismeta Primorac (42) und lächelt. Es ist das Lächeln einer Mutter, die weiß, wie viel ein Leben wiegt, wenn es beinahe zu früh begonnen hätte.

Die ersten Jahre sind geprägt von ärztlichen Kontrollen, von Unsicherheit und wachsamem Alltag. "Bis zum dritten Lebensjahr war er oft krank, die Lunge war seine Schwachstelle", sagt Ismeta Primorac. Ihre Stimme klingt ruhig, aber man hört: Die Sorge war lange ein ständiger Begleiter. Und doch: "Motorisch hat er alles ratzfatz aufgeholt."

Heute, fast sieben Jahre später, ist aus dem fragilen Neugeborenen ein gesunder, lebhafter Bub geworden – voller Energie, voller eigener Ideen. "Er hat seinen eigenen Kopf – und ich bin stolz auf ihn", sagt sie.

Frühchen Christiano ist heute sieben Jahre alt. ©handout/privat

Für Ismeta Primorac ist das Erlebte mehr als eine Belastung – es ist Teil ihrer Geschichte geworden. "Frühchen-Mama zu sein ist keine Bürde, es ist eine Gabe", sagt sie. "Der liebe Gott sucht sich die Mamas aus, die das schaffen. Man merkt erst in der Not, wie stark man wirklich ist." Es sind Worte des Glaubens, aber auch der Selbstgewissheit – geboren aus Erfahrung, nicht aus Floskeln.

(VOL.AT)

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