Der letzte große Wanderer: Wie der Aal ums Überleben kämpft
Er wächst in unseren Flüssen auf, lebt jahrelang im Verborgenen – und dann bricht er auf zu einer Reise, die so unwirklich scheint, dass sie fast ins Reich der Fabel gehört: Rund 8.000 Kilometer schwimmt der Europäische Aal zur Fortpflanzung bis in die Sargassosee im Atlantik. Und bis heute weiß niemand genau, was dort mit ihm geschieht. Fest steht: Dort beginnt ein neuer Zyklus, während der Alt-Aal stirbt.
Ein Fisch wie aus einem Abenteuerroman
Auch der Bodensee war einst ein Zuhause für ihn – wenn auch kein ursprüngliches. Denn die Aale wurden in jungen Jahren – als durchsichtige Glasaale – vor Frankreichs oder Großbritanniens Küsten gefangen und in heimische Gewässer ausgesetzt. Eine Praxis, die den Fischern jahrzehntelang gute Erträge bescherte. Allein 2019 wurden im Obersee 14,5 Tonnen Aal gefangen – viele davon landeten als Räucherfisch auf Vorarlbergs Tellern.
Doch nicht alle bleiben. Irgendwann verwandeln sich die Tiere: Sie werden silbrig-grau, die Augen wachsen – ein untrügliches Zeichen, dass der große Aufbruch bevorsteht. Bis zu 20.000 dieser „Blankaale“ verlassen jedes Jahr den Bodensee, um durch den Rhein Richtung Atlantik zu ziehen.
Der lange Weg zurück – durch eine Todeszone
Doch ihr Weg ist gefährlicher denn je. Bei Basel warten elf Wasserkraftwerke – jedes einzelne ein potenzielles Todesurteil. Laut einer Studie des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (2020) überleben bis zu 93 Prozent der abwandernden Aale diese Passage nicht. Sie sterben in Turbinen, werden schwer verletzt oder scheitern an Rechenanlagen. Vor allem größere Tiere, die für die Fortpflanzung besonders wichtig wären, sind betroffen.
Alexander Brinker vom Institut für Seenforschung in Langenargen warnt in einem Gespräch mit Schwäbische.de davor, dass dies gravierende Auswirkungen auf die gesamte Population haben könne. Der Bestand des Europäischen Aals ist europaweit eingebrochen. Die Art gilt als stark gefährdet und steht auf der CITES-Artenschutzliste. Zusätzlich zur Wasserkraft machen ihm der Klimawandel, illegale Handelsstrukturen und ein aus Japan eingeschleppter Parasit, der Schwimmblasenwurm, zu schaffen.
Rettung per Taxi: Ein Umweg mit Zukunft
Trotz aller Widrigkeiten gibt es Hoffnung. Rund um den Bodensee läuft seit 2019 ein viel beachtetes Projekt: das sogenannte „Aal-Taxi“. Gemeinsam mit Schweizer Partnern fangen Fischer die abwandernden Tiere vor dem ersten Kraftwerk bei Schaffhausen ab – und bringen sie per Lastwagen bis nach Iffezheim, wo sie ihre Reise wieder im Fluss fortsetzen können.
Auch an Weser und Main wird dieses Prinzip mittlerweile angewandt. Doch wie nachhaltig die Methode wirklich ist, müssen Langzeitstudien erst zeigen.
Parallel dazu wird an technischen Lösungen geforscht: spezielle Rechen, Umgehungsgewässer oder Turbinen, die sich an die Wanderzeiten der Aale anpassen. Noch allerdings fehlt ein flächendeckend funktionierendes Konzept.
2030 als Deadline – Hoffnung aus der Schweiz
Ein Hoffnungsschimmer kommt aus der Schweiz: Dort verpflichtet das Gewässerschutzgesetz die Betreiber, bis 2030 sämtliche ökologischen Beeinträchtigungen durch Wasserkraft zu beseitigen. Gelingt das, wäre es ein Meilenstein – nicht nur für den Aal, sondern für das gesamte Flusssystem.
Was bleibt, ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Denn wenn dieser Fisch verschwindet, verliert Europa nicht nur eine bedrohte Art – sondern eines seiner faszinierendsten Naturwunder.
(VOL.AT)
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