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Nur "Ja" ist "Ja"? Juristen warnen vor Schnellschüssen im Sexualstrafrecht

Braucht es eine Reform im Sexualstrafrecht?
Braucht es eine Reform im Sexualstrafrecht? ©Canva (Sujet)
Nach den nicht rechtskräftigen Freisprüchen für zehn Jugendliche, die sexuelle Kontakte mit einer Zwölfjährigen gehabt haben sollen, geht die Debatte über das Sexualstrafrecht weiter.
Freisprüche für alle Angeklagten

Nach den nicht rechtskräftigen Freisprüchen für zehn im Tatzeitraum vorwiegend 14 bis 17 Jahre alte Jugendlichen, die sexuelle Kontakte zu einer Zwölfjährigen hatten, warnen die Staatsanwälte-Vereinigung und die Vereinigung der Österreichischen StrafverteidigerInnen vor einer Anlassgesetzgebung. Die Strafrechtsprofessorin Ingeborg Zerbes kann sich dagegen Änderungen beim § 205a StGB vorstellen, der die Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung unter Strafe stellt.

Freisprüche nach Sex mit Unmündiger: Warnung vor Anlassgesetzgebung

Diese Bestimmung sieht in ihrer derzeitigen Fassung bis zu zwei Jahre Haft für Fälle vor, bei denen es mit einer Person gegen deren Willen zu Sex kommt. Zerbes schlug am Montagabend bei einer prominent besetzten Diskussionsveranstaltung am Wiener Juridicum vor, stattdessen legistisch festzulegen, dass Sex nur bei Einverständnis erlaubt ist. Das würde "zu einer Klarstellung der Norm" führen: "Ein Tatverdächtiger kann dann nicht mehr sagen 'Warum hast du nicht Nein gesagt?'"

"Aus fachlicher Sicht kann ich sagen: Sexualkontakte nur mit Zustimmung. Wir als Justizministerium haben das schon vor zehn Jahren vorgeschlagen", meinte dazu Fritz Zeder, seit dem Vorjahr Sektionschef für Strafrecht im Justizministerium. Die Politik habe das seinerzeit nicht umgesetzt. Zuletzt hatte allerdings Justizministerin Anna Sporrer (SPÖ) deutlich gemacht, dass sie das Consent- oder Zustimmungsprinzip im Sexualstrafrecht verankern möchte.

Strafverteidiger mit "ganz klarem Nein" zu Strafverschärfungen

Ein "ganz klares Nein zur Verschärfung des Sexualstrafrechts" deponierte Philipp Wolm, Präsident der Vereinigung der Österreichischen StrafverteidigerInnen. "Ein 'Nur ein Ja ist ein Ja' würde den Tatbestand ändern. Ich sehe da keinen Regelungsbedarf, zumal für die Gerichte in diesen Fällen die Probleme bei der Beweiswürdigung schon jetzt groß genug sind", gab Wolm zu bedenken. Sexuelle Kontakte fänden "im Regelfall nonverbal statt. Reicht dann ein Nicken? Was ist, wenn beide beeinträchtigt sind? Kann man dann überhaupt zustimmen", fragte sich der Wiener Strafverteidiger. Wichtiger sei es, das Augenmerk auf die Präventionsarbeit zu legen und in der Gesellschaft das Bewusstsein der sexuellen Selbstbestimmung zu stärken.

Staatsanwälte kommen "mit geltendem Recht gut aus"

Vor legistischen Schnellschüssen warnte auch Anna-Maria Wukovits, Vizepräsidentin der Vereinigung Österreichischer Staatsanwältinnen und Staatsanwälte. Sie appellierte an die Politik, im Fall von möglichen Gesetzesänderungen "die Praxis und Expertinnen und Experten einzubinden" und diese nur "nach einer breiten Diskussion" anzudenken. "Die Praxis kommt mit dem geltenden Recht gut aus. Ich sehe keine Regelungslücke", hielt Wukovits fest.

Bei Vergehen bzw. Verbrechen gegen die sexuelle Selbstbestimmung fehle es oft an der Qualität von Beweismitteln, Staatsanwaltschaften und Gerichte hätten oft mangels sonstiger Beweise eine Glaubwürdigkeitsprüfung durchzuführen. "Wenn man etwas nicht beweisen kann, muss man ein Ermittlungsverfahren zwingend einstellen bzw. in einer Hauptverhandlung freisprechen. Das ist kein Scheitern der Justiz oder unserer Rechtsordnung. Das ist Teil des Rechtsstaats", betonte die Staatsanwältin, die bei der Staatsanwaltschaft Wien auf Sexualstrafsachen spezialisiert ist.

Ziel einer allfälligen Gesetzesänderung könne es jedenfalls nicht sein, "die Verurteilungsquote zu erhöhen. Ziel muss es sein, der Praxis Instrumente zur Hand zu geben, um lückenlos aufzuklären." Daher sei die Schaffung von Gewaltambulanzen zu begrüßen, an die sich von körperlicher bzw. sexueller Gewalt Betroffene zur Beweissicherung wenden können, sagte Wukovits.

(APA/Red)

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