Die neue Wiener "Fledermaus" hat ADHS - im guten Sinne

Es geht gleich am Anfang los
Es geht schon ganz am Anfang los. Eine "Fledermaus" nicht mit der legendären Ouvertüre zu beginnen, sondern mit einer Passage aus Beethovens "Fidelio", das bedeutet, dem Publikum bewusst mit dem Allerwertesten ins Gesicht zu fahren. Dafür werden die Premierengäste nach einer Weile mit einer der besten Interpretationen der Ouvertüre belohnt, die je im Haus erklang. Die Wiener Symphoniker unter Petr Popelka spielen frisch, mit nuancierten Übergängen zwischen den einzelnen Motiven, die sonst oftmals rumpelig daherkommen, nehmen unprätentiös hier und da die Dynamik zurück, erzeugen so Spannung.
Neben dem "Fidelio" wird vor der Ouvertüre aber noch ein Ausschnitt aus "Elisabeth" gespielt - dem dritten großen Werk, das einst im Theater an der Wien das Licht der Welt erblickte. Dabei belässt es Herheim aber nicht, sondern lässt im Verlaufe des 1. Akts auch Verdi und Wagner, Millöcker und Puccini einfließen. Als hätte man die Playlist auf random gestellt.
Zwischen Kaiser Franz Joseph und SA
Aber nicht nur musikalisch holt der Regisseur in diese 1874 im Haus uraufgeführte Operette fremde Themen hinein. Die Sprechrolle des besoffenen Gefängniswärters Frosch legt Alexander Strobele als Kaiser Franz Joseph an - der Kaiser als Froschkönig gewissermaßen. Dabei wird der traditionelle Großmonolog der Figur aus dem 3. Akt auf den gesamten Abend verteilt.
Auch ist es schon eine Weile her, dass SA-Männer im Theater an der Wien bejubelt wurden. Am Freitagabend wurde aber zumindest warmer Applaus für die entsprechend gekleideten Darsteller gespendet, kontrastiert Herheim doch den in dieser Deutung als jüdisch gekennzeichneten Haushalt Eisenstein mit dem Erstarken der Nationalsozialisten im Wien des Jahres 1938.
Tanzende Sträusse
Zum Drüberstreuen noch eine Ballettformation aus sechs Sträussen, und fertig ist ein vor Ideen nur so sprühender Abend, der sichtlich gewillt ist, das altvaterische Genre vom Staub der Interpretationsgeschichte zu befreien. Nicht alles geht auf. Aber alles ist von ADHS und Spielwitz getragen.
Alina Wunderlin ist dabei eine herrliche Grantscherbn mit Koloraturqualitäten als frustriertes Stubenmädchen Adele, Hulkar Sabirova wirft sich vollends in den Part der Rosalinda (und der Isolde und der lustigen Witwe), und Thomas Blondelle ist ein aufgeblasener, schmieriger Eisenstein, wie man ihn sich nur wünschen kann. Einzig Jana Kurucová ist als Prinz Orlofsky stimmlich etwas unterbesetzt.
Am Ende geht die Puste aus
Eine Schwäche des Abends ist allerdings, dass man sich gerade auf den Beschuss an Ideen von allen Seiten eingegroovt hat, als Herheim im 3. Akt der Mut oder der Einfallsreichtum verlässt. So dynamisch, energiegeladen das Gelage im Hause Orlofsky inszeniert ist, so sehr tröpfelt das Geschehen am Ende aus. Irgendwas mit Lack und Leder wäre da schon noch gegangen, um die Schlagzahl bis zum Schluss zu halten.
(Von Martin Fichter-Wöß/APA)
(S E R V I C E - "Die Fledermaus" im Musiktheater an der Wien, Linke Wienzeile 6, 1060 Wien. Musikalische Leitung der Wiener Symphoniker: Petr Popelka, Regie: Stefan Herheim, Kostüme: Esther Bialas, Licht: Franz Tscheck. Mit Eisenstein - Thomas Blondelle, Rosalinde - Hulkar Sabirova, Adele - Alina Wunderlin, Dr. Falke - Leon Košavić, Frank - Krešimir Stražanac, Alfred - David Fischer, Prinz Orlofsky - Jana Kurucová, Frosch - Alexander Strobele, Dr. Blind - Alexander Kaimbacher, Ida - Ines Hengl-Pirke. Weitere Aufführungen am 6., 8., 11., 13., 15., 18., 20., 22. und 24. Oktober. )
(APA)
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