Kronprinz verzockt? Bauarbeiten an Mega-Projekt der Saudis gestoppt

Neom, das saudische Mega-Projekt in der Größe Belgiens, gilt als eines der ambitioniertesten Vorhaben des Landes. Die futuristische Planstadt vereint visionäre Ideen mit groß angelegten Ansprüchen: geradlinige Metropolen, Skigebiete in der Wüste und spektakuläre Architektur in karger Umgebung.
Kronprinz Mohammed bin Salman (40), kurz MBS, inszeniert das Projekt als Symbol seiner politischen Agenda und seines Modernisierungskurses.
Baustopp in der Wüste
Das milliardenschwere Prestigeprojekt gerät jedoch zunehmend ins Wanken. Wie die Schweizer Zeitung "Blick" berichtet, hat der saudische Staatsfonds PIF am 16. September einen vorläufigen Baustopp über zwei Schlüsselprojekte von Neom verhängt. Betroffen sind sowohl die futuristische Planstadt "The Line" als auch das Luxusresort "Magna" an der Küste des Roten Meeres.
Die Entscheidung kommt nicht überraschend. Bereits im Frühjahr 2024 wurde öffentlich, dass "The Line" in deutlich reduzierter Form weitergeführt werden soll. Statt der ursprünglich vorgesehenen 170 Kilometer sollen vorerst nur 2,4 Kilometer realisiert werden.
Rückschläge für internationale Sportpläne
Die Entscheidung hat Folgen über die Grenzen Saudi-Arabiens hinaus. Im geplanten Skigebiet "Trojena", einem weiteren Teil von Neom, sollen 2029 die Asian Winter Games stattfinden. Doch der Zeitplan wackelt.
Der Schweizer Bau- und Projektanalyst Ralph Lengler, Betreiber des YouTube-Kanals "Gigaprojects", der mehrfach vor Ort war, spricht von einer möglichen Verlegung: "Weil ‚Trojena‘ ohne massive Budgeterhöhung nicht rechtzeitig fertig wird, suchen die Veranstalter schon jetzt nach einem alternativen Austragungsort."
Nach seinen Informationen bemühe sich Saudi-Arabien nun um die Austragung der Spiele im Jahr 2033. Auch das Großevent Fußball-Weltmeisterschaft 2034 könnte betroffen sein. In "The Line" ist ein Stadion vorgesehen – ob es angesichts des Baustopps realisiert wird, ist offen.
Milliardenprojekt unter Druck
Der Strategiewechsel beim Bau geht mit massiven finanziellen Belastungen einher. Laut "Blick" musste der saudische Staatsfonds PIF in seinem aktuellen Geschäftsbericht für die sogenannten Gigaprojekte einen Abschreiber von acht Milliarden US-Dollar vornehmen. Die realen Verluste könnten jedoch weit höher liegen.
So fiel der Gesamtwert der Gigaprojekt-Holdings von 64 auf 56 Milliarden US-Dollar, während gleichzeitig 36 Milliarden investiert wurden. Experten gehen daher von einem effektiven Abschreiber in Höhe von bis zu 44 Milliarden Dollar aus. Der Anteil Neoms am Gesamtvermögen des Staatsfonds sank auf sechs Prozent.

Kontrollverlust statt Zukunftsvision
Die wirtschaftlichen Zahlen sind nur ein Teil des Problems. Beobachter deuten die jüngsten Entwicklungen auch als Ausdruck politischen Kontrollverlusts. "Es sieht aus, als ob Saudi-Arabien das Vertrauen in Neom verloren hat und jetzt die gesamte Organisation zerschlägt", analysiert Lengler.
Einzelne Projekte würden herausgelöst und an bewährte staatliche Institutionen übergeben: "Trojena" falle künftig in den Zuständigkeitsbereich des Sportministeriums, die Luxusinsel "Sindalah" werde Red Sea Global unterstellt, und das Industrieprojekt "Oxagon" solle unter dem Dach des Ölkonzerns Aramco weitergeführt werden. Ein Bericht der "Financial Times" bestätigt zumindest den Übergang von "Sindalah" an Red Sea Global.

Umbau in der Führungsriege
Auch personell deutet vieles auf eine Umstrukturierung hin. Giles Pendleton, bislang Chief Operating Officer von "The Line", ist seit August für "Trojena" verantwortlich. Der bisherige Chef von "The Line", Denis Hickey, soll ebenfalls zum Skigebietsprojekt gewechselt haben.
Philip Gullett, bisheriger Leiter von "Trojena", wurde abgelöst. Zusätzlich meldete das US-Portal "Semafor", dass rund 1000 Mitarbeiter nach Riad verlegt wurden. Hunderte weitere seien entlassen worden – ein weiterer Hinweis auf die Dimension der Krise.

"The Line" als Symbol eines Scheiterns?
Neom war als Leuchtturmprojekt der "Vision 2030" von Kronprinz Mohammed bin Salman konzipiert – als Zeichen für wirtschaftliche Diversifizierung und technologische Innovation. Die Stadt sollte CO₂-neutral, vollständig digitalisiert und architektonisch revolutionär sein. Doch was als Symbol für Fortschritt begann, droht nun zum Mahnmal überzogener Ambitionen zu werden.
Lengler zieht ein ernüchterndes Fazit: "‚The Line‘ in der ursprünglich geplanten Form ist tot. Bei einigen anderen Projekten wird es zu massiven Anpassungen kommen." Eine offizielle Stellungnahme der Neom-Organisation zu den jüngsten Entwicklungen liegt bisher nicht vor.
(VOL.AT)
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