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Debatte: Generationengerechtigkeit

Europaweit liegt rund 60 Prozent des Vermögens in den Händen der Babyboomer – ein massiver Vermögenstransfer steht bevor. Auch in Österreich wächst der Druck, neue Antworten auf Wohlstand, Verantwortung und Verteilung zu finden. Was das fürs Private Banking bedeutet.

Der Generationenwechsel ist mehr als ein familiäres Thema – er stellt eine der größten Herausforderungen der kommenden Jahre dar: sei es für Wirtschaft, Politik und Gesellschaft auf Macroebene oder fürs Private Banking auf Microebene. Zwar gibt es keine exakten offiziellen Zahlen zur Vermögensverteilung nach Generationen in Österreich, doch Schätzungen gehen davon aus, dass rund 60 Prozent des Privatvermögens in den Händen der Babyboomer-Generation (Jahrgänge 1955–1970) liegen. Diese Tendenz bestätigt sich in internationalen Vermögensanalysen und spiegelt sich auch in Studien zur Vermögenskonzentration in Europa wider, etwa von der Europäischen Zentralbank (EZB) oder Wirtschaftsforschungsinstituten wie dem WIFO.

Wohlstand durch Leistung? Das Dilemma junger Generationen

Gesellschaftlicher Brennpunkt

In den nächsten zwei Jahrzehnten stellen sich daher unumgängliche Fragen: Ob und wie dieses Vermögen an die nachfolgenden Generationen übergeht. Und: Wie gelingt es, Vermögen gerecht und vorausschauend weiterzugeben? Fest steht, es geht nicht mehr nur um Kontoverwaltung und Portfolioanalyse, sondern um langfristige Vermögenssicherung, Strukturberatung, Kommunikation und strategische Weichenstellungen innerhalb von Familien. Der bevorstehende Vermögenstransfer ist ein gesellschaftlicher Brennpunkt. Laut Trend- und Zukunftsforscher Tristan Horx, der den Status quo kürzlich in einer ZIB-Talkrunde im ORF beschrieb, gibt es derzeit kein funktionierendes Verteilungssystem außer dem Erben. Junge Generationen sind oft gut ausgebildet, technologieaffin und bereit, Verantwortung zu übernehmen. Viele gründen Start-ups, investieren früh, streben nach Selbstverwirklichung. Doch die Rahmenbedingungen sind ernüchternd: Heute kommen sie kaum darum herum, 50 Prozent oder mehr ihres Einkommens für Fixkosten – also Wohnen, Energie und Mobilität – auszugeben. Leistung lohne sich unter diesen Bedingungen eher nicht, so der Zukunftsforscher: Junge Menschen investieren, gründen, brennen aus – denn sie würden oft trotzdem ohne Vermögensaufbau dastehen, außer sie erben frühzeitig. Die Aneignung von Eigentum oder Rücklagen werden also zur Illusion. Damit stellt sich unweigerlich die Frage nach neuen Modellen – denn ohne sie bleibt Erben der einzige Mechanismus, der Zugang zu Wohlstand ermöglicht. Reicht das für ein stabiles Wirtschaftssystem? Immer mehr Stimmen fordern ergänzende Verteilungsmechanismen und Generationengerechtigkeit: etwa progressive Erbschaftssteuern, staatlich garantiertes Startkapital für junge Erwachsene oder stärkere Förderungen für Gründungen und Bildung.

Die Rolle von Private Banking

In diesem Spannungsfeld liegt eine große Aufgabe – aber auch eine Chance für das Private Banking, aktiv zu einem neuen System beizutragen. Die „Private-Banking-Studie Österreich 2024“ des auf die Finanzbranche spezialisierten Beratungsunternehmens zeb empfiehlt dafür ein dreistufiges Modell für Generationenmanagement: erstens, ganzheitliche Vermögensplanung, die familiäre, steuerliche und rechtliche Aspekte integriert. Zweitens, ein Expertennetzwerk, das u.a. Jurist(inn)en, Steuerberater(innen) und Notare/innen einbindet. Und drittens, gezielte Begleitung von Familien und Unternehmerfamilien, damit Vermögen nicht nur erhalten, sondern auch verantwortungsvoll weiterentwickelt wird.

Zukunftsszenarien

Zudem gewinnen digitale Tools – auch auf Basis von Künstlicher Intelligenz – an Bedeutung: etwa bei Situationssimulationen zur Erkennung von Übergaberisiken, der digitalen Nachlassplanung oder auch der intergenerationellen Kommunikation. Der demografische Wandel ist kein Zukunftsszenario mehr – er ist Gegenwart. Mit ihm wächst die Verantwortung der wohlhabenden Generationen, nicht nur zu vererben, sondern zu gestalten. Private Banking kann dabei zur Brücke werden – zwischen Alt und Jung, Besitz und Perspektive sowie Kapital, das Zukunft ermöglicht.

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