Kindheitstraum in Dornbirn
Eva Pinkelnig wuchs in Dornbirn auf, heute lebt sie in Hard am Bodensee. Seit ihrer Kindheit suchte sie die Bewegung, die Natur, die Berge. Ihr Glaube, die Nähe zur Familie, die Verbundenheit mit Freunden – all das gab ihr Kraft, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und Ziele zu verfolgen, die außerhalb jeder Norm lagen.
"Alles ist möglich für den, der glaubt und vertraut", lautet ihr Leitsatz. Dankbarkeit, Freundlichkeit, Begeisterungsfähigkeit, Flexibilität und Vielseitigkeit gehören zu ihren Grundwerten – und halfen ihr, eine Karriere aufzubauen, die es im Skispringen so noch nie gab.

Der späte Beginn
Pinkelnig war zunächst Skirennläuferin. Erst im Alter von 24 Jahren wagte sie ihre ersten Sprünge von einer mobilen Schanze. Rasch gewann sie einen Austria-Cup, der ihr die Türen zum ÖSV-Kader öffnete. 2014 kündigte sie ihren Beruf als Erzieherin – und setzte alles auf den Spitzensport.
Im Juli desselben Jahres gab sie ihr internationales Debüt beim FIS Cup in Villach, sprang konstant in die Top 15. Damit erfüllte sie die Voraussetzungen für den Weltcup. Am 5. Dezember 2014 stand sie in Lillehammer erstmals am Start. Eine Spätberufene – und doch sofort Teil der Weltspitze.

Siege, Stürze, Siege
Die Bilanz spricht für sich: 19 Weltcupsiege, 53 Podestplätze, viermal Vizeweltmeisterin, eine Bronzemedaille im Mixed in Trondheim 2025. Der größte Triumph: der Gewinn des Gesamtweltcups 2022/23. Und die Auszeichnung als Österreichs Sportlerin des Jahres 2023.
Ihr Verein ist der SK Kehlegg und als Heeressportlerin konnte sie ihren Traum zum Beruf machen. Mit 159 Zentimetern Körpergröße und einer persönlichen Bestweite von 197,5 Metern – aufgestellt im März 2024 in Vikersund – kam sie der magischen 200er-Marke sehr nahe..
Doch der Weg dorthin war gepflastert mit Rückschlägen. 2020 ein schwerer Trainingssturz mit Milzriss. Immer wieder Knieverletzungen. Und nun, im Herbst 2025, der folgenschwerste: ein Kreuzbandriss, Meniskusschäden, Knorpelverletzung. Das vorzeitige Saisonende – und mit ihm der Traum von einer Teilnahme an den Olympischen Winterspielen in Mailand und Cortina, wo besonders viele Weggefährten, Freunde und Familie wohl dabei gewesen wären.

Werte, Widerstand, Vorbild
Pinkelnigs Kraft wurzelt nicht nur in Trainingsstunden und Erfolgen. Sie selbst sagt: „Am liebsten bin ich einfach die Eva.“ Rollen – als Athletin, Vorbild, Feministin – nimmt sie an, aber sie definiert sich nicht über sie. Ihr Fundament sind andere Dinge: der Glaube, die Familie, die Natur.
Im ARD-Podcast "Sportschau Wintersport Spezial" erzählte sie, wie prägend ihr Aufwachsen war: „Die ersten sechs Jahre meines Lebens habe ich in einem Flüchtlingsheim verbracht, das meine Eltern geleitet haben. Dort habe ich erlebt, was Zusammenhalt bedeutet – und dass Liebe nichts mit Leistung zu tun hat.“ Diese frühe Erfahrung habe ihr Sicherheit gegeben, auch im Spitzensport nicht den eigenen Wert über Platzierungen zu definieren.
Pinkelnig spricht offen darüber, dass sie Rollenbilder gerne bricht. Als Kind trug sie kurze Haare, spielte Fußball, suchte den Kontakt zu den Jungs – ohne Angst, nicht in eine Schublade zu passen. "Ich musste nie in eine Rolle hinein", sagt sie. "Und genau das hat mir später geholfen, meinen eigenen Weg zu gehen."
Parallelen und Ausnahmen
Pinkelnigs Laufbahn ist einzigartig, doch in einzelnen Facetten erinnert sie an andere Ausnahmeathleten. Lindsey Vonn etwa, die trotz zahlreicher Knieverletzungen immer wieder zurückkehrte und 2010 in Vancouver Olympiagold gewann. Oder Thomas Muster, der nach einem Autounfall beinahe aufgegeben hätte – und später die Nummer eins der Tenniswelt wurde. Auch im eigenen Fach gibt es Parallelen: Daniela Iraschko-Stolz, ebenfalls eine späte Starterin, die sich mit Beharrlichkeit und gegen Widerstände in die Weltspitze kämpfte.
Und doch: Pinkelnigs Geschichte bleibt anders. Während Vonn und Muster früh in Systeme eingebettet waren und Iraschko-Stolz den Frauen das Skispringen überhaupt erst erkämpfte, kam sie als Quereinsteigerin mit 24 Jahren ins Nationalteam. Ihre Karriere beweist, dass selbst im Spitzensport, wo Erfolg meist in der Kindheit beginnt, auch späte Wege möglich sind – wenn man den Mut hat, sie zu gehen.

Nähe zum Traum
Noch vor wenigen Monaten sprach sie von einem weiteren Ziel: 200 Meter. Mit ihrer Bestweite von 197,5 Metern war sie nur noch einen Atemzug davon entfernt. Es wäre die ultimative Vollendung ihres späten Kindheitstraums gewesen.
Ob sie nach diesem Sturz noch einmal zurückkehrt, ist offen. Die Reaktionen in sozialen Netzwerken machen deutlich, dass ihr Weg weit über sportliche Erfolge hinaus Menschen bewegt. Mit 37 Jahren steht sie am Scheideweg zwischen Aufbruch und Abschied.

Doch ihre Geschichte lässt sich nicht in Diagnosen und Saisonbilanzen zusammenfassen. Sie ist die Erzählung einer Frau, die immer wieder dorthin sprang, wo niemand sie erwartet hatte. Eine, die gezeigt hat, dass Wille, Glaube und Ausdauer die vermeintlichen Gesetze des Sports brechen können.
Eva Pinkelnig hat Grenzen verschoben. Für sich, für den Sport, und für all jene, die an späte Chancen glauben. Sie bleibt Vorbild für eine Generation von Mädchen und jungen Frauen, die sehen, dass man fliegen kann – auch dann, wenn einem niemand diesen Flug zutraut.
(VOL.AT)
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