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Führerschein-Causa im Kontrollausschuss: Das Geschäft mit dem Durchfallen

Landhaus in Bregenz.
Landhaus in Bregenz. ©VN
Fast jeder zweite Fahrschüler scheitert in Vorarlberg an der praktischen Prüfung. Österreichweit ein Negativrekord – und für viele ein existenzielles Problem. Hinter den Kulissen offenbart sich ein Netzwerk aus Prüfern mit lukrativen Nebeneinkünften.

Bregenz, Dornbirn, Feldkirch, Bludenz – wo junge Menschen eigentlich ihre ersten Runden in die Selbstständigkeit drehen sollten, wächst die Verzweiflung. Wer den Führerschein machen will, braucht Geduld, Geld und Glück. Geduld, weil Termine reihenweise verschoben werden. Geld, weil Wiederholungen teuer sind. Glück, weil es davon abhängt, welcher Prüfer hinter einem sitzt.

Seit Jahren steigen die Durchfallquoten in Vorarlberg, wie eine exklusive Recherche der Vorarlberger Nachrichten enthüllte. 2013 scheiterte noch etwa jeder fünfte Prüfling, 2023 war es fast jeder zweite. In keinem anderen Bundesland ist die Quote so hoch. In Wien – mit Stau, dichterem Verkehr und schwierigeren Bedingungen – fallen weniger durch.

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Was zunächst als regionale Auffälligkeit abgetan wurde, ist längst ein Skandal, der die Institutionen erschüttert. Vertrauliche Listen belegen Nebeneinkünfte von Prüfern in fünfstelliger Höhe. Fahrschulen sprechen von Willkür. Die Opposition forderte schon mehrfach Aufklärung und am Mittwoch, 17. September, kommt es zum Kontrollausschuss.

SPÖ-Chef ist gegen "Aufklärung hinter verschlossenen Türen"

Mario Leiter. ©roland paulitsch

Üblicherweise sind die Sitzungen solcher Ausschüsse nicht öffentlich. SPÖ-Klubobmann Mario Leiter fordert angesichts der hohen politischen Relevanz und des großen öffentlichen Interesses jedoch eine Aufhebung dieser Regelung: "Die Führerschein-Causa hat bereits zu einem massiven Vertrauensverlust in die Politik geführt. Wenn die Aufklärungsarbeit nun erneut hinter verschlossenen Türen stattfindet, ist das nicht förderlich."

Es sei bereits zu einem Vertrauensverlust gekommen. "Es braucht maximale Transparenz. Nur so können wir verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen. Alles andere nährt den Verdacht, dass unangenehme Wahrheiten vertuscht werden sollen", hält Leiter fest.

Hammerer: "Möglichkeit einer Entschädigung muss geprüft werden"

Eva Hammerer und Daniel Zadra. ©roland paulitsch

"Über Jahre sollen Fahrprüfer:innen junge Menschen absichtlich bei Führerscheinprüfungen durchfallen gelassen haben und sich damit Zuverdienste gesichert haben", sagt Eva Hammerer von den Grünen. "Das sind schwerwiegende Vorwürfe. Trotz jahrelanger Beschwerden an die Verkehrsrechtsabteilung und an Landesrat Tittler hat sich an dieser untragbaren Situation nichts geändert. Im Gegenteil, die Durchfallquote ist weiter gestiegen." Ein weiterer schwerwiegender Vorwurf ist laut Hammerer, dass sich ein Machtzirkel rund um die Verkehrsrechtsabteilung des Landes gebildet haben soll. "Hier gilt es aufzuklären: Wie haben die politisch Verantwortlichen auf die jahrelangen Beschwerden reagiert, was haben sie unternommen und was werden sie jetzt tun, um die Sache aufzuklären. Aufklärung ist das Mindeste, was die politisch Verantwortlichen den jungen Menschen schuldig sind. In weiterer Folge muss die Möglichkeit einer Entschädigung geprüft werden", so Hammerer.

LR Marco Tittler. ©vmh

Als Auskunftspersonen im Kontrollausschuss sind neben der Landesrechnungshofdirektorin auch der Landesvolksanwalt, die Leiterin der Verkehrsrechtsabteilung sowie die Sprecherin der Fahrschulen geladen. Auch die verantwortlichen Landesräte Tittler und Bitschi werden im Ausschuss Rede und Antwort stehen. Neben der Möglichkeit der Abgeordneten, Fragen an alle handelnden Akteur:innen zu stellen, wird auch der Antrag der Opposition auf eine interne Revision diskutiert. "Spätestens jetzt muss die Regierung beweisen, dass sie eine ernsthafte Aufarbeitung will", schließt Hammerer.

Veronika Marte (ÖVP). ©vmh

Klubobfrau Veronika Marte von der Regierungspartei ÖVP: "Ich bin zuversichtlich, dass die geladenen Auskunftspersonen uns Abgeordnete umfassend informieren werden und wir damit ein detailliertes Bild der Situation erhalten. Unser Anliegen ist es, dass faire Prüfungsbedingungen für die Zukunft garantiert werden und dass ausreichend Prüfungstermine für die Fahrschülerinnen und Fahrschüler zur Verfügung stehen."

Führerschein-Causa in Vorarlberg

Ein Skandal, der Vorarlberg erschüttert: Fast jeder zweite Fahrschüler scheitert, Prüfer kassieren bis zu 50.000 Euro extra, Polizei und Justiz stehen unter Druck. Alle Entwicklungen, Hintergründe und Kommentare im Überblick.

Durchfallquote
Rund 50% – Österreichs Negativrekord.
Nebeneinkünfte
Bis zu 50.000 € jährlich pro Prüfer.
Polizei & Justiz
Ermittlungen wegen möglichem Amtsmissbrauch laufen.
️ Politik
Landesregierung kündigt Maßnahmen an – Opposition spricht von Chaos.
Für alle Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung.

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Exklusive Details, vertrauliche Abrechnungen und Recherchen zu den Netzwerken hinter den Prüfungen.

Die Zahlen hinter dem Skandal

Vertrauliche Unterlagen dokumentieren ein System, in dem einzelne Prüfer Nebeneinkünfte von bis zu 50.000 Euro jährlich erzielen. Ein Polizeikommandant lag mit 47.092 Euro an der Spitze, ein Verwaltungspolizist knapp dahinter. In Summe brachte das Geschäft mit den Prüfungen 2024 rund 580.000 Euro ein – ein erheblicher Anteil davon stammt aus Wiederholungen.

"Richter Gnadenlos" und andere Fälle

Ein Richter ließ im ersten Quartal 2025 sieben von zehn Kandidaten durchfallen. Ein anderer schickte an einem einzigen Tag 14 Prüflinge nach Hause. Betroffene berichten von Prüfungsfahrten, bei denen selbst kleine Ungenauigkeiten zum sofortigen Aus führten. "Man kann jeden durchfallen lassen, egal wie gut er fährt", sagt ein Ex-Prüfer.

Fahrschullehrer: "Jetzt glauben wir es"

Justiz und Polizei im Gegenlicht

Die Landespolizeidirektion hat ihre Prüfer inzwischen abgezogen, die Justiz prüft Amtsmissbrauch. Aus Befangenheitsgründen laufen die Fäden in Innsbruck zusammen – nicht in Feldkirch, wo mehrere Staatsanwälte selbst als Prüfer tätig waren. Auch das Oberlandesgericht Innsbruck sieht sich gezwungen, öffentlich klarzustellen: Kein Richter sei derzeit im Nebenjob Fahrprüfer.

Politik im Krisenmodus

Die Landesregierung hat ein Maßnahmenpaket vorgestellt: weniger Prüfungen pro Sachverständigem, strengere Regeln für Nebeneinkünfte, öffentliche Ausschreibungen für neue Prüfer. Fahrschulen sprechen dennoch von einem System im Chaos. Termine platzen, Prüflinge warten. Opposition und Regierung ringen darum, Vertrauen zurückzugewinnen.

Ein Prüfungswesen vor der Zerreißprobe

Für Fahrschüler geht es um mehr als Statistik. Der Führerschein entscheidet über Mobilität, Selbstständigkeit, oft über den Arbeitsplatz. Die Transportbranche klagt über Fahrermangel – ein direktes Resultat der hohen Durchfallquote. Was als Verwaltungsakt begann, ist zur Staatsaffäre geworden.

Für alle Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung.

(VOL.AT)

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