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Christine (57) gibt nicht auf: "Ich suche schon mein Leben lang meine Geschwister"

Christine wuchs als Pflegekind auf und sucht ihre Geschwister, die zur Adoption freigegeben wurden.
Christine wuchs als Pflegekind auf und sucht ihre Geschwister, die zur Adoption freigegeben wurden. ©privat, Canva
Mirjam Mayer (VOL.AT) mirjam.mayer@russmedia.com
Christine Sprickler (57) wuchs als Pflegekind auf. Sie konnte in Erfahrung bringen, dass sie sechs Geschwister hat, die im Bregenzerwald adoptiert wurden. "Ich suche schon mein Leben lang meine Geschwister", erklärt sie gegenüber VOL.AT.

Christine Sprickler (57) hat gleich sechs Brüder und Schwestern, doch kennengelernt hat sie sie bisher noch nicht. Sie wurde 1967 in Bludenz geboren. "Ich bin adoptiert worden als Baby. Rosa Maria Ofner, gebürtige Sprickler, hat mich zur Pflege freigegeben", erzählt Sprickler gegenüber VOL.AT. Ihr Geschwister wurden als Kleinkinder zur Adoption freigegeben, wie sie verdeutlicht. "Ich bin die Einzige, die den Namen unserer Mutter trägt", gibt sie zu verstehen. "Sie heißen wie ihre Adoptiveltern."

Ihr Leben lang sucht sie nach ihren leiblichen Geschwistern. ©privat

"Meine Mutter habe ich zweimal kurz gesehen"

"Ich bin ins große Walsertal zu einer Pflegefamilie gekommen nach Sonntag Buchboden, bei der ich aufgewachsen bin", erklärt die gebürtige Vorarlbergerin. Später absolvierte sie eine Lehre in der Gastronomie, arbeitete eine Weile in der Schweiz. Von dort aus zog sie nach Deutschland, lebte sie zwischenzeitlich auch ein paar Jahre in Amerika und Kanada. Seit ihrer Rückkehr lebt sie in Rheinfelden in Baden (D). "Ich suche schon seit meiner Kindheit meine Geschwister", so Sprickler. "Meine Mutter habe ich zweimal kurz gesehen", gibt die 57-Jährige zu verstehen. Einmal als Kind und einmal als Teenager.

"Du musst sie nicht suchen, sie ist es nicht wert"

Als Kind wunderte sie sich, wieso sie nicht wie ihre Eltern "Müller" sondern "Sprickler" hieß. Dann erfuhr sie, dass sie ein Pflegekind war. Sie suchte ihre leibliche Mutter ohne das Wissen ihrer Pflegeeltern: "Es war sehr schwer, weil sie haben immer gesagt: Lass diese Frau in Ruhe. Du musst sie nicht suchen, sie ist es nicht wert. Doch es war immer noch meine Mama", erinnert sie sich im VOL.AT-Telefoninterview unter Tränen. "Ich habe sie trotzdem gesucht. Ist ja logisch als Kind, wenn du sowas erfährst." Bei ihrer damaligen Vormundschaft im Jugendamt in Bludenz habe sie gebettelt: "Bitte. Wo ist meine Mama?" Die Zuständige habe es ihr nicht sagen können. "Sie wusste nur, dass sie in einer Kneipe in der Nähe von Feldkirch ist", meint Christine Sprickler. Gemeinsam mit einer Freundin klapperte sie damals alle Lokale ab, doch niemand kannte die Frau. Als sie schon aufgeben wollten, kamen sie zu einer kleinen Kneipe in einem Privathaus an der Feldkircher Grenze. An die genaue Adresse erinnert sich die gebürtige Vorarlbergerin nicht mehr.

Eine Collage zeigt Christine in jungen Jahren und als Kind. Ein Foto ihrer leiblichen Mutter hat sie leider nicht. ©privat

"Für mich hat sie ausgesehen wie ein Engel"

"Da ist gestanden: Bitte läuten", erzählt sie VOL.AT. Das habe sie schon komisch gefunden. Nach längerem Warten habe ein Mann ein Fenster aufgerissen und gefragt, was sie wollen. Als sie sich schon zum Gehen abgewandt hätten, sei dann die Türe aufgegangen. "Da steht der Mann riesengroß und eine kleine Frau: blonde Locken. Für mich hat sie ausgehen wie ein Engel. Und dann fragt sie: Was willst du. Da habe ich gesagt: Ich bin Ihr Kind", schildert sie. Ohne etwas zu sagen, holte die Blondine die verdutzten Mädchen ins Haus. "Meine Freundin und ich haben uns an den Händen gehalten, wir haben beide gezittert. Da hat sie mir eine selbstgestrickte Jacke gegeben, wie man sie früher zum Dirndl trug." Auch wenn sie nicht gefroren habe, habe sie ihr die Jacke umgelegt.

Als die Mädchen von ihr eine Cola angeboten bekamen, waren sie wie im siebten Himmel – "Das durften wir damals nie trinken", meint Christine. "Sie hat mit uns nichts geredet und wir mit ihr auch nicht, nur die Leute rundum haben uns angeguckt", schildert sie das Treffen mit ihrer leiblichen Mutter. "Dann hat sie jedem erzählt: Sie ist mein Töchterle, sie hat mich gesucht. Sie ist so schön und so lieb." Das langersehnte Gespräch über Christines Vater blieb jedoch aus. Bis heute weiß sie seinen Namen nicht. "Dann hat sie uns in ein Zimmer mit hochgenommen, da war auch ein Mann", meint sie. "Sie hat gesagt: Schau, das ist mein Freund und hier wohne ich." Das Zimmer sei klein und schäbig gewesen, sie sei hinab gerannt und habe gedacht "Oh mein Gott", erinnert sie sich.

Christine als kleines Mädchen und als junge Frau. ©privat

Leibliche Mutter starb mit 40 an Asthma

Als junges Mädchen verbrachte Christine ihre Lehrzeit in Faschina. Danach arbeitete sie in der Schweiz in Altstätten. Dort kam es zu einem weiteren Treffen mit ihrer Mutter: "Auf einmal ist sie hereingekommen in meinen Servicebereich", erzählt sie. Sie sei in Begleitung eines Mannes gewesen. "Sie hat sich hingesetzt. Ich habe gearbeitet und konnte nicht lange mit ihr reden. Es kam wieder kein richtiges Gespräch zustande, wir haben uns nur gegenseitig angeschaut. Ja, wie geht’s? Und so was. Aber nichts Persönliches. Auch kein Bilderaustausch." Sie habe sie auch nicht fragen können, wo ihre Geschwister und ihr Vater seien. "In dem Moment, da gefriert dein Gehirn, wenn du deine Mutter triffst. Es ist so schön, dass du an nichts Anderes mehr denken kannst. Egal wer dieser Mensch war, das war der schönste Moment."

Danach habe sie ihre Mutter nicht mehr gesehen. Mit 18 Jahren ging Christine dann nach Deutschland (ca. 1985). "Drei, vier Monate später hat mich meine Pflegemutter angerufen und gesagt, dass die Polizei da war." Sie sei erschrocken und habe nur gedacht, sie habe etwas angestellt. "Es war wegen deiner Mama, sie ist angeblich gestorben im Krankenhaus in Feldkirch an Asthma", habe ihre Pflegemutter gemeint. Für die junge Frau brach eine Welt zusammen: "Das konnte ich nie glauben. Ich habe gedacht, das stimmt nicht. Sie ist noch jung, an Asthma stirbt man doch nicht."

Christine sucht ihre Geschwister, die adoptiert wurden. ©privat

"Sie müssten alle in meinem Alter sein"

Da ihre sechs Geschwister anders als sie den Namen ihrer Adoptiveltern tragen, sind sie für Christine bisher nicht auffindbar. "Sie wissen vielleicht gar nicht, dass sie adoptiert worden sind oder sie wollen vielleicht gar nichts damit zu tun haben", meint die gebürtige Vorarlbergerin. Ihre Suche ergab bisher jedenfalls nichts. Die unterschiedlichen Behörden und Meldeämter einzeln abzuklappern, ist für sie nicht möglich, wie sie zu verstehen gibt: "Ich bin schwer lungenkrank, ich kann nicht einfach umherfahren und nachfragen." Die 57-Jährige weiß zudem nicht, ob ihre Geschwister jünger oder älter als sie sind. "Sie müssten alle in meinem Alter sein", meint Sprickler gegenüber VOL.AT. Vom Jugendamt in Bludenz erfuhr sie nur, dass die Kinder im Bregenzerwald adoptiert wurden. Sie weiß, dass sie von Au bis Mellau verteilt sein könnten.

Was Christine über ihre leibliche Mutter weiß

Über ihrer Mutter weiß Christine, dass ihr letzter Wohnort das kleine Zimmer in Feldkirch war. Sie sei aber auch oft in Bregenz unterwegs gewesen, habe dort in einem Kaufhof gearbeitet. Ihr Geburtsdatum stehe komischerweise nicht in der Geburtsurkunde: "Da steht nur: Näherin Maria Rosa Ofner, geborene Sprickler. Römisch-katholisch. Wohnhaft in Feldkirch", meint sie. Ihre Mutter müsse bei ihrer Geburt jedenfalls jung gewesen sein, da sie mit 40 gestorben sei und zu diesem Zeitpunkt bereits sieben Kinder gehabt habe. Sie habe sich wohl mit verschiedenen Männern eingelassen und sei sitzen gelassen worden. "Sie hätte abtreiben können, aber das hat sie nicht gemacht", schildert Christine VOL.AT. "Sie hat uns unter großen Schmerzen geboren und hat uns weitergegeben, weil sie wusste, bei ihr hätten wir es nicht gut. Also hat sie uns in gute Hände gegeben. Von dem her war sie ein guter Mensch, nur halt leider etwas leichtgläubig und naiv."

Auch in sozialen Medien sucht die gebürtige Vorarlbergerin. ©Screenshot

"Für mich wäre es das Größte"

Auf der Suche nach ihren Brüdern und Schwestern wendete sich die gebürtige Vorarlbergerin auch an die Netzgemeinde. Unter ihrem Aufruf in sozialen Medien boten ihr bereits zahlreiche Menschen aus Deutschland, ganz Österreich und aus Vorarlberg ihre Hilfe bei der Suche an. Ihr Beitrag wurde bereits in zahlreichen Gruppen geteilt. Die Hoffnung darauf, ihre Geschwister zu finden, will Christine Sprickler jedenfalls nicht aufgeben: "Bei Suchsendungen im Fernsehen finden sie Menschen sogar in Mexiko", meint sie. "Für mich wäre es das Größte, aber ich bin mir unsicher, ob es für sie auch so wäre. Sie sind sehr glücklich aufgewachsen und wissen vielleicht gar nicht, dass sie adoptiert wurden."

Wer Hinweise zu Christines Geschwistern hat, kann sich bei ihr melden: christinesprickler@gmail.com.

(VOL.AT)

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