Gesundheitswirtschaft: Frauen überall, außer an der Spitze

Einen Kontrapunkt will ein im Ampuls-Verlag erschienenes, von drei fachkundigen Autorinnen gestaltetes Buch bieten: „Jetzt reden wir! - Wie Frauen das Gesundheitssystem neu denken“.
Knapp 90 Prozent der Spitalsprimariate von Männern besetzt
Fast 80 Prozent der Beschäftigten im österreichischen Gesundheitssystem sind Frauen. Auch im privaten Bereich sind es zumeist sie, welche für Familie und Angehörige die Verantwortung in Gesundheitsfragen übernehmen, den größten Teil der Pflege stemmen. „Sie arbeiten oft an der Basis, kennen den Alltag und die Herausforderungen aus der tagtäglichen Praxis. Die Entscheidungen treffen dagegen meist immer noch Männer - sie sitzen in den Führungsetagen der Institutionen, Spitäler, der Medizin und der Industrie“, heißt es zu Beginn in dem 180 Seiten dicken Buch, das Dienstagabend vorgestellt wurde. Nur ein Beispiel: Knapp 90 Prozent der Spitalsprimariate sind von Männern besetzt.
„Gesund kommunizieren Media“
Diesem Ungleichgewicht wollen die Autorinnen, selbst seit vielen Jahren an vorderster Stelle in unterschiedlichen Positionen im Gesundheitswesen tätig, entgegenwirken: Susanne Erkens-Reck, seit 2020 Geschäftsführerin von Roche Austria, Evelyn Holley-Spiess, eine versierte Gesundheitsjournalistin, die beispielsweise auch Kommunikationschefin der damaligen Wiener Gebietskrankenkasse war, und Katrin Grabner, Mitarbeiterin des Redaktionsbüros „Gesund kommunizieren Media“. Sie haben vor allem Interviews mit Frauen an unterschiedlichsten Stellen im Gesundheitswesen geführt. Hinzu kam eine Umfrage unter hundert Entscheidungsträgerinnen.
Was sich quer durch alle knapp 20 Kapitel zieht: Während die (Männer-)Politik ständig vor allem Kosten und Zahlen im Kopf hätte, käme es demnach für die Zukunft eines effizienteren und damit im Endeffekt auch kostengünstigeren Gesundheitssystems aber vor allem auf das Heben zumeist ignorierten Ressourcen an. Dringend notwendig wäre die Konzentration auf die Prävention, Ermöglichen eines gleichen Zugangs zu Gesundheitsleistungen und die Berücksichtigung und Förderung der in dem System entscheidenden Personengruppe, der Frauen.
„Beschämend für ein reiches Land wie Österreich“
In der begleitenden Umfrage zu dem Buch gaben beispielsweise fast 90 Prozent der Frauen in Entscheidungspositionen im Gesundheitswesen an, dass die derzeitigen Arbeitsabläufe auf jeden Fall oder eher dafür sorgten, „dass Geschlechterrollen noch verstärkt werden“. Michaela Fritz, Vizerektorin der MedUni Wien, wiederum betonte in ihrem Interview die starke Bedeutung des sozialen Status bezüglich des Zugangs zum Gesundheitssystem:
„Denn ein weiteres Thema ist, dass Frauen in Österreich trotz höherer Lebenserwartung weniger Jahre in Gesundheit leben als Männer - Österreich liegt hier sogar unter dem EU-Durchschnitt. Erstaunlicherweise gibt es hier auch Bundesländerunterschiede und auch zwischen Gemeinden oder in Wien zwischen den Bezirken. Der Postal Code ist wichtiger als der genetische Code - das ist beschämend für ein reiches Land wie Österreich.“
Vertrauen der Menschen geschädigt
Die Lehren aus der Pandemie müssten laut der Politologin Barbara Prainsack jedenfalls nachhaltig gezogen werden: „Wir sehen in unseren Studien immer wieder, dass die Menschen das merken, wenn Solidarität gepredigt und zugleich nach anderen Werten gehandelt wird. Und das wirkt durchaus vertrauensschädigend. Noch größeren Schaden nimmt das Vertrauen allerdings, wenn Menschen das, was sie brauchen, nicht mehr bekommen.
Wenn jemand für sein Kind dringend einen Facharzttermin braucht, etwa mit einem psychischen Problem, und mit wochenlangen Wartezeiten konfrontiert ist. Und wenn man gesundheitliche Probleme nicht zeitgerecht behebt, werden sie schlimmer und auch kostenintensiver.“
„Das Problem sind ... “
Das Sicherstellen von mehr Gesundheitskompetenz des Einzelnen, das Überwinden von Gender-Grenzen, Prävention und - endlich - auch die Eindämmung der Fragmentierung des österreichischen Gesundheitswesens zwischen Spitalsmedizin, niedergelassenem Bereich und Pflege werden von den Expertinnen als Ziele ganz nach oben gereiht. Erika Sander, Generalsekretärin der Österreichischen Gesellschaft vom Goldenen Kreuze, formulierte das so:
„Das Problem sind starre und konservative Strukturen. (...) Österreich setzt sich im Gesundheitswesen auf dem Papier gute Gesundheitsziele, aber im Großen und Ganzen ändern wir nur die Begriffe. Wir wissen, dass viel zu wenige Menschen zu Vorsorgeuntersuchungen gehen. Ich frage mich, wo die Gesundheit wirklich im Fokus ist.“
Österreich ist „gut aufgestellt“
Knapp 80 Prozent der in der begleitenden Umfrage (Mehrfachantworten möglich) befragten Entscheidungsträgerinnen gaben an, dass „in Österreich Reparatur noch immer vor Prävention“ gehe. Diese müsse auch honoriert, die Angebote ausgeweitet werden. Nur zwei Prozent meinten, dass Österreich hier „gut aufgestellt“ sei. Zusammen mit besseren Möglichkeiten für Frauen, ihr Wissen und ihre Möglichkeiten im Gesundheitswesen und in der Pflege effizient, gendergerecht und auch in Strategie und Planung gleichberechtigt einsetzen zu können, sollte ein Paradigmenwechsel für mehr Gesundheit zu schaffen sein.
(APA)
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