"Könnte Bedingung für nukleare Vergeltung erfüllen" - Hat Putin jetzt seinen Vorwand?

Bei einem ukrainischen Drohnenangriff soll nach inoffiziellen Berichten ein Radar des russischen Frühwarnsystems gegen anfliegende Atomraketen beschädigt worden sein. Fotos von Schäden an der Anlage nahe der Stadt Armawir in Südrussland seien in russischen und ukrainischen Kanälen aufgetaucht, schrieb das US-Institut für Kriegsstudien (ISW) in seinem Lagebericht am Freitagabend.
Bundesheer-Experte schätzt die Lage ein

Oberst Markus Reisner vom österreichischen Bundesheer hält den Angriff für sehr bemerkenswert und meint, er liefere: "hochbrisantem Zündstoff für eine neuerliche, gefährliche Eskalation". Die Station ist ein wichtiger Teil des russischen Frühwarnsystems für Interkontinentalraketen und damit für Russland extrem wichtig anfliegende nukleare Bedrohungen frühzeitig zu erkennen.
Oberst Reisner analysiert auf der Bundesheer Webseite drei Schlüsselfragen, die sich nach dem Angriff auf Armawir ergeben:
1. Warum ist der mutmaßliche ukrainische Drohnenangriff auf die russische Radarstation Armawir überaus bemerkenswert?
Weil die Anlage so immens wichtig für Russland ist, um atomare Bedrohungen zu erkennen. In ganz Russland gibt es derzeit nur bis zu zehn derartige Frühwarnradarsysteme, die im ganzen Land verteilt sind. Bei diesen Voronezh-DM-Radaren handelt es sich um "Over-the-Horizon" (OTH) - "Ultra High Frequency" (UHF)-Radare mit Reichweiten von über 6.000 Kilometern, die Informationen liefern sollen, um im äußersten Fall einen russischen atomaren Gegenschlag einleiten zu können.
2. Welchen Nutzen hätte die Ukraine von solch einem Angriff auf russische Frühwarnradarsysteme?
Die Ukraine verfügt nur mehr über Raketenwaffen mit begrenzter Reichweite. Oberst Reisner vermutet, dass die Ukraine befürchtet, dass die Station in Armawir den ukrainischen Einsatz des von den USA gelieferten Raketenystem Army Tactical Missile System (ATACMS) einschränken oder verhindern könnte. Allerdings hält Reisner das Armawir-System durch seine Fokusierung auf Interkontinentalraketen für dafür wenig geeignet.
3. Gibt es noch anderes Erklärungsmodell für einen Angriff und warum ist dieses bedeutungsvoll?
Russland, aktuell auf dem Vormarsch in der Ukraine, hat wiederholt mit seinem nuklearen Arsenal gedroht. Bereits im Herbst 2022 gab es Anzeichen für einen russischen taktischen Nukleareinsatz. Es wäre durchaus möglich, so Oberst Reisner, dass die USA mit dem von der Ukraine ausgeführten Angriff auf die Frühwarnstation in Armawir ein Signal nach Moskau schicken will, dass man solche Drohungen nicht länger akzeptiert.
Grund genug für einen Atomangriff?
Nun müsse man abwarten, ob Russland den Angriff auf Armawir als Angriff auf seine nukleare Abschreckungskapazität wertet, schreibt Oberst Reisner. Das russische Frühwarnerkennungssystem ist Teil der nuklearen Abschreckungsstrategie des Landes. Der Angriff auf Armavir könnte die Bedingungen erfüllen, die Russland im Jahr 2020 öffentlich für gegnerische Angriffe festgelegt hat, die einen nuklearen Vergeltungsschlag auslösen könnten.
Rogosin sieht USA als Drahtzieher
Von Moskauer Seite äußerte sich am Samstag der ehemalige russische Botschafter bei der NATO, Dmitri Rogosin. Im sozialen Netzwerk X schrieb er von einem Schaden am Frühwarnsystem - "einem Schlüsselelement der militärischen Steuerung der strategischen Nuklearstreitkräfte". Rogosin, mittlerweile Senator im russischen Föderationsrat, warf den USA vor, diesen Angriff geplant oder zumindest davon gewusst zu haben. Mit solchen Aktionen rücke die Welt näher an den Abgrund eines Atomkriegs, warnte er. Der Kreml oder das russische Verteidigungsministerium äußerten sich nicht.
Anlage in Armawir überwacht die Krim
Den Angaben nach geschah der Angriff in der Nacht auf Donnerstag, als die Ukraine auch einen Kommunikationsknoten der russischen Armee auf der Halbinsel Krim nahe Aluschta mit Raketen beschoss. Das russische Frühwarnradar vom Typ Woronesch-DM bei Armawir kann den Berichten zufolge angreifende Atomraketen auf 6.000 Kilometer Entfernung erkennen. In der Kette solcher Radarstationen überwacht es den Luftraum über der Krim und Südwesteuropa hinaus bis weit auf den Atlantik.
Kritik von westlichen Experten
Der Angriff erfolgte allen Darstellungen nach mit einer ukrainischen Drohne. Er fällt in eine Zeit, in der Ukraine mit ihren westlichen Partnern darüber verhandelt, deren Waffen auch gegen Ziele in Russland einsetzen zu dürfen. Es sei in Zeiten internationaler Spannungen keine gute Idee, solche Objekte anzugreifen, schrieb der unabhängige norwegische Militärexperte Thord Are Iversen auf X. "Es gibt haufenweise Ziele in Russland, die man mit Drohnen angreifen kann. Und es gibt eine Handvoll Ziele, die man vermeidet, und dies gehört dazu."
(APA/VOL.AT)
Du hast einen Hinweis für uns? Oder einen Insider-Tipp, was bei dir in der Gegend gerade passiert? Dann melde dich bei uns, damit wir darüber berichten können.
Wir gehen allen Hinweisen nach, die wir erhalten. Und damit wir schon einen Vorgeschmack und einen guten Überblick bekommen, freuen wir uns über Fotos, Videos oder Texte. Einfach das Formular unten ausfüllen und schon landet dein Tipp bei uns in der Redaktion.
Alternativ kannst du uns direkt über WhatsApp kontaktieren: Zum WhatsApp Chat
Herzlichen Dank für deine Zusendung.