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Mehrere Tote und Verletzte nach Amoklauf in Hamburg

In Hamburg kam es am Donnerstagabend zu einem tödlichen Amoklauf.
In Hamburg kam es am Donnerstagabend zu einem tödlichen Amoklauf. ©REUTERS
Während einer Veranstaltung der Zeugen Jehovas in Hamburg sind am Donnerstagabend mehrere Menschen bei einem Amoklauf getötet oder verletzt worden.

Bei den Schüssen in einem Gebäude der Zeugen Jehovas in Hamburg sind nach Angaben der Polizei von Freitagfrüh acht Menschen getötet worden. Unter ihnen sei "offenbar auch der mutmaßliche Täter", wie die Polizei Hamburg mitteilte. "Weitere Menschen wurden durch die Tat zum Teil schwer verletzt". Die Spurensicherung am Tatort ging am Morgen weiter. "Im Moment laufen hier die Übergaben. Das ist alles im Fluss", sagte ein Polizeisprecher. Bis in den Vormittag waren die Ermittler zur Spurensuche am Tatort unterwegs. Die ersten Leichen wurden mittlerweile abtransportiert.

Mutmaßlicher Täter war kein Extremist

Die Hamburger Innenbehörde, die Staatsanwaltschaft und die Polizei wollen am Freitagmittag mehr Details bekannt geben. Eine Pressekonferenz ist für 12.00 Uhr geplant. Darin werden voraussichtlich der Innensenator Andy Grote, ein Vertreter der Hamburger Staatsanwaltschaft, der Polizeipräsident Ralf Martin Meyer sowie der Leiter der Schutzpolizei, Matthias Tresp, sprechen. Der mutmaßliche Todesschütze ist den Behörden nach Informationen aus Sicherheitskreisen nicht als Extremist bekannt gewesen. Dass sein Name dennoch in den Datenbanken der Sicherheitsbehörden auftauchte, hat dem Vernehmen nach keinen kriminellen Hintergrund, sondern liegt an seiner Beantragung einer waffenrechtlichen Erlaubnis. Dafür ist immer auch eine Abfrage der Zuverlässigkeit nötig, bei der Bezüge zu Straftaten und Extremismus geprüft werden.

Todesopfer: Vier Männer, zwei Frauen und weiblicher Fötus

Bei den Todesopfern der Schüsse bei den Hamburger Zeugen Jehovas handelt es sich um vier Männer, zwei Frauen und einen weiblichen Fötus im Alter von 28 Wochen. Die Männer und Frauen seien zwischen 33 und 60 Jahre alt, sagte der Leiter des Staatsschutzes der Polizei, Thomas Radszuzweit, am Freitag. "Alle Todesopfer sind deutscher Staatsangehörigkeit und starben jeweils durch Schusseinwirkung."

Darüber hinaus seien sechs Frauen und zwei Männer im Alter zwischen 23 und 46 Jahren verletzt worden, mindestens vier von ihnen lebensbedrohlich, "teils mit multiplen Schusswunden", sagte Radszuzweit. Sechs der Verletzten seien deutsche Staatsangehörige, je eine Frau ist ugandischer beziehungsweise ukrainischer Staatsangehörigkeit.

Innensenator Andy Grote (SPD): "Eine Amoktat dieser Dimension - das kannten wir bislang nicht. Das ist die schlimmste Straftat, das schlimmste Verbrechen in der jüngeren Geschichte unserer Stadt."

Todesschütze ist 35 Jahre alter Deutscher

Der Todesschütze von Hamburg ist ein 35 Jahre alter Deutscher. Philipp F. sei ein ehemaliges Mitglied der Hamburger Gemeinde der Zeugen Jehovas gewesen und habe diese vor eineinhalb Jahren freiwillig, aber offensichtlich nicht im Guten verlassen. Das teilten Polizei, Staatsanwaltschaft und Innenbehörde am Freitag in Hamburg bei einer Pressekonferenz mit. Als Extremist war der mutmaßliche Schütze demnach nicht bekannt. Er soll in der Vergangenheit eine waffenrechtliche Erlaubnis beantragt haben.

Der Mann habe seit Dezember 2022 eine Waffenbesitzkarte gehabt, sagte Polizeipräsident Ralf Martin Meyer. "Seit dem 12. Dezember befand er sich somit im legalen Besitz einer halbautomatischen Pistole." Dabei handle es sich um die Tatwaffe. Der 35-Jährige gab am Donnerstagabend viele Schüsse ab. "Insgesamt hat er neun Magazine à 15 Schuss verschossen", sagte Radszuweit.

In seiner Wohnung wurde auch eine größere Menge Munition gefunden. Der Leiter der Staatsanwaltschaft, Ralf Peter Anders, sprach von 15 geladenen Magazinen mit jeweils 15 Patronen und vier Schachteln Munition mit weiteren 200 Patronen. Außerdem wurden Laptops und Smartphones sichergestellt, die noch ausgewertet werden.

Anonymer Hinweis auf mögliche psychische Erkrankung des Schützen

Die Waffenbehörde hat nach Angaben des Hamburger Polizeipräsidenten Ralf Martin Meyer im Jänner einen anonymen Hinweis auf eine mögliche psychische Erkrankung von Philipp F. erhalten. Laut des unbekannten Schreibers sei das Ziel gewesen, das Verhalten und die waffenrechtlichen Vorschriften in Bezug auf Philipp F. überprüfen zu lassen.

Die unbekannte Person habe geschrieben, dass die psychische Erkrankung möglicherweise ärztlich nicht diagnostiziert sei, da sich dieser nicht in ärztliche Behandlung begebe. F. habe laut dem Schreiben eine besondere Wut auf religiöse Anhänger, besonders gegen die Zeugen Jehovas und auf seinen ehemaligen Arbeitgeber gehegt.

Die Beamten der Waffenbehörde hätten nach dem Hinweis weiter recherchiert. Anfang Februar wurde der 35-Jährige von zwei Beamten der Waffenbehörde unangekündigt aufgesucht. Dies sei eine Standardkontrolle gewesen, die nach einem anonymen Hinweis erfolgt. F. habe sich kooperativ gezeigt, es habe keine relevanten Beanstandungen gegeben.

APA ©APA

Amoklauf in Hamburg: Polizei äußerte sich zunächst nicht zu Zahl der Toten

Zur Zahl der Toten äußerte sich zunächst weder die Polizei noch die Hamburger Innenbehörde. "Es ist nach ersten Erkenntnissen so, dass mehrere Tote unter den Opfern zu beklagen sind", sagte ein Polizeisprecher dazu. "Die Toten haben alle Schussverletzungen", hieß es. Unter den Toten soll möglicherweise auch der Täter sein: "Es gibt Hinweise darauf, dass es der Täter sein könnte. Aber ob es wirklich der Täter gewesen ist, das ist noch unklar."

Eine Nachbarin berichtete von mehreren Schüssen bei der Veranstaltung der Zeugen Jehovas. "Es waren ungefähr vier Schussperioden. In diesen Perioden fielen immer mehrere Schüsse, etwa im Abstand von 20 Sekunden bis einer Minute", berichtete Studentin Lara Bauch am späten Donnerstagabend. "Ich habe dann weiter aus dem Fenster geschaut und bei den Zeugen Jehovas eine Person ganz hektisch vom Erdgeschoss ins erste Geschoss laufen sehen." Später seien Menschen von Polizisten an Händen und Füßen auf die Straße getragen worden. Vier Stunden nach den tödlichen Schüssen betrat schließlich die Spurensicherung in der Nacht den Tatort.

Der "Spiegel" berichtete, dass es sich bei dem Tatverdächtigen um ein ehemaliges Mitglied der Zeugen Jehovas handeln soll. Weiter berichtete das Magazin von einer Pistole als Tatwaffe. Die Polizei konnte Freitagfrüh dazu jedoch keine Angaben machen - weder zu dem mutmaßlichen Täter oder zum genauen Tathergang.

Tote und Verletzte: Hintergründe der Tat in Hamburg zunächst unklar

Die Hintergründe der Schüsse im Stadtteil Alsterdorf waren nach Angaben der Ermittler zunächst unklar. Es gebe keinen Hinweis auf einen anderen oder einen flüchtigen Täter: "Im Moment ist die Lage soweit beruhigt", sagte ein Polizeisprecher am späten Abend.

Streifenwagen mit Blaulicht hatten den Tatort am Abend weiträumig abgesperrt. Beamte mit Maschinenpistolen sicherten den Bereich zusätzlich ab. Unmittelbar nach den Schüssen waren alle Fenster des Gebäudes hell erleuchtet, ein Hubschrauber war in der Luft, zahlreiche Rettungswagen standen in den Straßen.

Amoklauf: Amtliche Gefahrendurchsage in Hamburg

Über eine amtliche Gefahrendurchsage der Behörde für Inneres in Hamburg war die Rede von einer "extremen Gefahr". "Am heutigen Tage gegen 21.00 Uhr schoss(en) ein oder mehrere unbekannte Täter auf Personen in einer Kirche", hieß es in dem Text. Die Polizei sei gegen 21.15 Uhr telefonisch über die Schüsse informiert worden.

Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) zeigte sich bestürzt über die Schüsse während einer Veranstaltung der Zeugen Jehovas. "Die Meldungen aus Alsterdorf / Groß Borstel sind erschütternd", schrieb Tschentscher bei Twitter. "Den Angehörigen der Opfer gilt mein tiefes Mitgefühl. Die Einsatzkräfte arbeiten mit Hochdruck an der Verfolgung der Täter und der Aufklärung der Hintergründe." Tschentscher rief die Bürgerinnen und Bürger auf, die Hinweise der Polizei zu beachten.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte den Angriff in einem Tweet als brutale Gewalttat bezeichnet. "Schlimme Nachrichten aus #Hamburg. Mehrere Mitglieder einer Jehova-Gemeinde sind gestern Abend einer brutalen Gewalttat zum Opfer gefallen", postete er am Freitag über den Regierungsaccount auf Twitter. "Meine Gedanken sind bei ihnen und ihren Angehörigen. Und bei den Sicherheitskräften, die einen schweren Einsatz hinter sich haben."

"Es sind mehrere Personen in dem Gebäude gewesen während der Veranstaltung"

Welche Art von Veranstaltung in der Kirchengemeinde der Zeugen Jehovas abgehalten wurde, war zunächst unklar. Auf der Internetseite der Zeugen Jehovas war für den Donnerstagabend eine von zwei wöchentlichen Zusammenkünften angekündigt. Dazu ist den Informationen zufolge auch die Öffentlichkeit eingeladen. Bei den Zusammenkünften befasst man sich demzufolge mit der Bibel und damit, wie ihre Lehre im Leben berücksichtigt werden kann. Polizeiangaben zufolge hatten mehrere Menschen die Veranstaltung besucht: "Es sind mehrere Personen in dem Gebäude gewesen während der Veranstaltung", so ein Sprecher.

Tödlicher Amoklauf in Hamburg

Die Zeugen Jehovas sind eine christliche Gemeinschaft mit eigener Bibel-Auslegung. Die Anhänger glauben an Jehova als "allmächtigen Gott und Schöpfer" und sollen sich strengen Vorschriften unterwerfen. Sie sind davon überzeugt, dass eine neue Welt bevorsteht und sie als auserwählte Gemeinde gerettet werden. Weltweit haben die Zeugen Jehovas etwa acht Millionen Mitglieder. Die "Weltzentrale" ist in New York. Die deutsche Gemeinschaft mit weniger als 200.000 Mitgliedern gehört zu den größten in Europa.

Die Zeugen Jehovas zeigten sich "tief betroffen". "Unser tiefes Mitgefühl gilt den Familien der Opfer sowie den traumatisierten Augenzeugen. Die Seelsorger der örtlichen Gemeinde tun ihr Bestes, ihnen in dieser schweren Stunde Beistand zu leisten", hieß es in einem Statement auf der Website der Gemeinschaft.

Die Einsatzkräfte retteten nach den Worten des Innensenators sehr wahrscheinlich etliche Menschenleben: "Wir haben es mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit dem sehr, sehr schnellen und entschlossenen Eingreifen der Einsatzkräfte der Polizei zu verdanken, dass hier nicht noch mehr Opfer zu beklagen sind."

Tatort ist dreistöckiges Gewerbegebäude in Hamburg

Bei dem Tatort handelt es sich um ein dreistöckiges Gewerbegebäude, das an einer breiten Straße und neben einem Malerbetrieb sowie einer Baustelle mit drei großen Kränen liegt. Am frühen Morgen sicherte die Polizei noch weiter Spuren. An der Außenseite des Gebäudes haben die Ermittler noch in der Nacht zahlreiche kleine Nummerntafeln aufgestellt, um Spuren der Gewalttat zu markieren. Am Morgen war auch ein 3D-Scanner im Einsatz, um den Tatablauf zu dokumentieren. Der Eingang zu dem Gebäude der Zeugen Jehovas war am Morgen mit einem Sichtschutz abgedeckt.

Ein erster Leichenwagen war gegen 8.00 Uhr am Tatort vorgefahren. Gegen 6.00 Uhr wurde der Verkehr auf der viel befahrenen Straße Deelböge wieder freigegeben.

(APA/Red)

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