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Hafenstaat darf Rettungsschiff teilweise kontrollieren

Ein Staat, in dessen Hafen sich ein Rettungschiff befindet, darf dieses laut EuGH kontrollieren.
Ein Staat, in dessen Hafen sich ein Rettungschiff befindet, darf dieses laut EuGH kontrollieren. ©pixabay.com (Symbolbild)
Ein Staat, in dessen Hafen sich ein Rettungschiff befindet, darf dieses teilweise auf die Einhaltung der Sicherheitsvorschriften kontrollieren.

Zu der Kontrolle müsse der Staat allerdings belastbare Anhaltspunkte für eine Gefahr nachweisen, erklärte der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg am Montag. Es ging um eine Klage der deutschen Hilfsorganisation Sea Watch. Italien hatte im Sommer 2020 zwei ihrer unter deutscher Flagge fahrenden Schiffe festgehalten. (Az. C-14/21 u.a.)

Rettungsschiffe sind nicht für mehrere hundert Menschen ausgerichetet

Die italienischen Behörden begründeten das damit, dass diese Schiffe nicht dafür ausgerüstet seien, mehrere hundert Menschen an Bord zu haben. Sea Watch hatte hunderte Flüchtlinge aus Seenot im Mittelmeer gerettet und nach Italien gebracht. Die Organisation klagte dort gegen das Festhalten ihrer Schiffe mit dem Argument, dass diese in Deutschland bereits zertifiziert worden seien. Das italienische Gericht bat den EuGH um Auslegung des EU-Rechts.

Italienische Behörden dürfen Rettungsschiffe nicht ohne Grund kontrollieren

Italienische Behörden dürfen Rettungsschiffe wie die der deutschen Hilfsorganisation Sea-Watch nicht ohne Anhaltspunkte für eine Gefahr in ihren Häfen kontrollieren. Das geht aus einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs hervor. Die EU-Regeln zu den Kontrollen eines Hafenstaats seien auch auf Schiffe humanitärer Organisationen anwendbar, urteilten die Richter am Montag in Luxemburg (Rechtssachen C-14/21 und C-15/21).
Für eine Kontrolle müssten die Behörden detailliert nachweisen, "dass belastbare Anhaltspunkte für eine Gefahr für die Gesundheit, die Sicherheit, die Arbeitsbedingungen an Bord oder die Umwelt vorliegen". Allein die Anzahl der Personen an Bord - Rettungsschiffe steuern oft mit Hunderten Flüchtlingen und Migranten die Häfen an - sei für sich genommen kein Grund für eine Überprüfung.

Rettungsschiff darf teilweise von Hafenstaat kontrolliert werden

Dieser erklärte nun, dass der Hafenstaat - in diesem Fall also Italien - keinen Nachweis über andere als die vom Flaggenstaat - hier Deutschland - ausgestellten Zeugnisse verlangen dürfe. Sollten sich bei der Überprüfung eines Schiffs Mängel herausstellen, dürften Abhilfemaßnahmen ergriffen werden. Diese müssten aber geeignet, erforderlich und angemessen sein. Die Aufhebung des Festhaltens dürfe nicht davon abhängig gemacht werden, dass das Schiff keine Zeugnisse des Hafenstaats habe.

EuGH: Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit

Der EuGH verwies in seinem Urteil auf den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit: Hafenstaat und Flaggenstaat seien in der EU verpflichtet, bei der Ausübung ihrer Befugnisse zusammenzuarbeiten. Über die Klagen muss nun das italienische Gericht entscheiden. Es ist dabei an die Rechtsauffassung des EuGH gebunden.

EuGH: Pflicht Personen in Seenot zu helfen

Der EuGH betonte, dass es im Völkerrecht die Pflicht gebe, Personen in Seenot zu helfen. Menschen, die nach einem Rettungseinsatz an Bord seien, müssten bei Sicherheitsüberprüfungen außer Betracht bleiben. "Die Anzahl der Personen an Bord, selbst wenn sie weit über der zulässigen Anzahl liegt, kann daher für sich genommen keinen Grund darstellen, der eine Kontrolle rechtfertigt", teilte der EuGH mit. Nachdem die Geretteten von Bord gegangenen seien, dürfe der Hafenstaat das Schiff jedoch kontrollieren.
Bei der Begründung einer solchen Kontrolle dürfe auch berücksichtigt werden, dass ein als Frachtschiff zertifiziertes Schiff systematisch als Rettungsschiff im Einsatz sei. Jedoch dürften nur Nachweise über Zeugnisse verlangt werden, die auch im Flaggenstaat nötig sind. Falls eine Kontrolle Mängel ergebe, dürfe der Hafenstaat Maßnahmen ergreifen, die "geeignet, erforderlich und angemessen" seien.

Sea-Watch: Urteil ist großer Erfolg

"Das Urteil ist ein großer Erfolg für uns", sagte ein Sprecher von Sea-Watch der Deutschen Presse-Agentur. Italien müsse jetzt konkrete Anhaltspunkte für eine Hafenkontrolle vorlegen. Die Organisation sprach davon, dass das Mittelmeerland zuvor darauf verwiesen habe, dass die Sea-Watch-Schiffe nicht in der richtigen Kategorie als Rettungsschiffe zertifiziert seien. Der deutsche Flaggenstaat hingegen sieht laut der Organisation eine solche Kategorie für zivile Schiffe überhaupt nicht vor.

Seenotretter beklagen fadenscheinige Begründungen für Kontrollen

Seenotretter beklagen immer wieder, dass die italienischen Behörden ihre Schiffe mit fadenscheinigen Begründungen festhalten. Bei dem EuGH-Urteil vom Montag ging es um die unter deutscher Flagge fahrenden Schiffe "Sea-Watch 3" und "Sea-Watch 4". Sie fahren regelmäßig ins zentrale Mittelmeer, um dort Menschen zu retten, die auf der Flucht von Nordafrika in Richtung EU in Seenot geraten sind.

Sea-Watch klagte gegen Überprüfung der Rettungsschiffe

Im Sommer 2020 waren beide Schiffe, die in Deutschland als Frachter zertifiziert sind, nach Rettungseinsätzen von den italienischen Behörden überprüft worden. Begründet wurde dies damit, dass sie nicht als Rettungsschiffe zertifiziert seien und deutlich mehr Personen an Bord aufgenommen hätten als zulässig. Aufgrund technischer und operativer Mängel sahen die Hafenbehörden eine Gefahr für die Sicherheit, die Gesundheit oder die Umwelt und hielten die Schiffe deshalb fest.

Sea-Watch klagte dagegen. Nach dem Grundsatzurteil des EuGH muss nun ein italienisches Gericht in dem konkreten Fall entscheiden. Sea-Watch rechnet damit, dass der Prozess vor dem Gericht in Palermo im Herbst weitergehen könnte.

(APA/Red)

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