"Armutspolitik der Landesregierung ist wirkungslos"

Wie die Erhebungen der Statistik Austria zu Armut und sozialer Ausgrenzung (EU-SILC) der vergangenen Jahre zeigen würden, hätten die Maßnahmen der Landesregierung zur Armutsprävention nichts bewirkt, kritisiert die Vorarlberger Armutskonferenz. Seit 2012 stiegen in Vorarlberg die Armutsgefährdungsquoten unbeeinflusst von den Maßnahmen der Landesregierung, während sie im Bundesdurchschnitt leicht sanken.
Höchster Wert seit 2003
Laut Michael Diettrich, Sprecher der Vorarlberger Armutskonferenz, war 2019 ein Viertel der Vorarlberger Bevölkerung armuts- oder ausgrenzungsgefährdet. Demzufolge liege die Armutsgefährdungsschwelle, die 60 Prozent eines mittleren Einkommens beträgt, für einen Einpersonenhaushalt bei monatlich € 1.328, für eine Familie mit zwei Kindern bei € 2.788. In Vorarlberg leben derzeit um die 75.000 Menschen in Haushalten mit Einkommen unterhalb der entsprechenden Armutsgefährdungsschwelle und gelten deshalb als armutsgefährdet. Das sind rund 19 Prozent der Bevölkerung, der höchste Wert seit Beginn dieser Erhebungen im Jahr 2003, so Diettrich.

Realistischer sei es allerdings, wenn man zu diesen "nur" Armutsgefährdeten noch diejenigen hinzurechne, deren Einkommen zwar über der Armutsgefährdungsschwelle liegt, die aber dennoch erheblich materiell depriviert sind (z.B. können sie die Miete nicht regelmäßig zahlen, unerwartete Ausgaben nicht tätigen, Wohnung nicht warm halten). In dieser von Statistik Austria als armuts- oder ausgrenzungsgefährdet bezeichneten Gruppe komme man 2019 in Vorarlberg auf rund 91.000 Menschen oder 23 Prozent der Gesamtbevölkerung. "Da geht es um deutlich mehr als nur um Sozialhilfebezieher, über die beim Thema Armut ja gerne gestritten wird. Das waren 2019 gerade mal rund 12.000 Menschen. Hier geht es de facto um fast ein Viertel der Vorarlberger Bevölkerung", erläutert der Sprecher der Vorarlberger Armutskonferenz.
Quoten in Österreich leicht gesunken
Bedenklich sei, dass die Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdung in Vorarlberg mittlerweile höher liege als in der Finanz- und Wirtschaftskrise 2009 und seit dem Jahr 2012 kontinuierlich gestiegen sei. Im gleichen Zeitraum seien die Gefährdungsquoten in ganz Österreich nicht nur niedriger, sondern auch leicht gesunken.
Die hohe Armutsgefährdung in Vorarlberg spiegle sich auch in einem Vergleich der Haushaltseinkommen mit anderen Bundesländern wider, den Statistik Austria vorgenommen hat. Um einen solchen Vergleich für Haushalte unterschiedlicher Größe überhaupt vornehmen zu können, muss man die tatsächlichen Haushaltseinkommen ins Verhältnis setzen zu der Zahl der Haushaltsmitglieder, die mit dem Einkommen auskommen müssen. Es sei eben ein bedeutsamer Unterschied für die Lebenssituation der Haushaltsmitglieder, ob € 2.500 für einen Einpersonenhaushalt oder für eine vierköpfige Familie reichen müssten. In einem statistischen Verfahren wurden deshalb die verfügbaren Nettoeinkommen von Haushalten unterschiedlicher Größe so umgerechnet, als bestünden sie nur aus einer Person. Dieses sogenannte Äquivalenzeinkommen beschreibe die realistische Einkommenssituation der Haushalte im Verhältnis zur Zahl ihrer Mitglieder und ermögliche Vergleiche der Lebenssituation von Haushalten unterschiedlicher Größe.
Bundesländervergleich
Bei den auf diese Weise äquivalisierten mittleren Einkommen lag Vorarlberg 2019 im (unteren) Mittelfeld aller Bundesländer: Die Hälfte der Vorarlberger Haushalte verfügte über ein äquivalisiertes Jahresnettoeinkommen von maximal € 25.361. Nahezu alle Bundesländer bewegten sich in einem Bereich zwischen € 25.000 bis € 26.000, lediglich Wien fiel mit € 24.082 nach unten ab, während sich Oberösterreich mit € 26.349 etwas und Niederösterreich mit € 27.554 deutlicher nach oben absetzten. Das untere Viertel der Haushalte hatte in Vorarlberg markant weniger als in den anderen Bundesländern: Es verfügte im Maximum über € 17.682, nur Wien hatte noch weniger (€ 16.313), während der österreichische Durchschnitt von € 19.098 schon € 1.400 entfernt lag.
Gegenüber dem Spitzenreiter Niederösterreich mit einem Maximaleinkommen für das untere Viertel von € 20.833 betrug der Abstand sogar fast € 3.000. Mit vergleichsweise besonders wenig Einkommen mussten die unteren zehn Prozent der Vorarlberger Haushalte zurechtkommen: Hier lagen Vorarlberg (mit max. € 11.936) und Wien (mit max. € 11.264) noch sehr viel deutlicher hinter allen anderen Bundesländern und hatten gegenüber 2013 sogar reale Einkommensverluste zu verzeichnen. Der Abstand der unteren zehn Prozent in Vorarlberg zum österreichischen Durchschnitt betrug knapp € 1.700, gegenüber dem Spitzenreiter Niederösterreich sogar fast € 3.700. "Das ist für ein Bundesland, das nach Salzburg und Wien (!) die höchste Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung erbringt, ein Armutszeugnis und es zeugt auch nicht von einem besonderen Engagement der Landesregierung für diejenigen, die am unteren Ende der Einkommensskala stehen", kritisiert Michael Diettrich.

Armutskonferenz fordert Verbesserung der Wohnbeihilfe
Die Armutskonferenz fordere deshalb von der Landesregierung deutlich bessere Sozialleistungen, die sich gezielt an das untere Viertel bis Drittel der Haushalte richten. "Und wir brauchen auch mehr als nur Armutsprävention: Das klingt alles schön und gut, aber die Lebenssituation der Menschen muss sich hier und heute verändern und nicht erst in der Zukunft", verlangt Diettrich. Aus Sicht der Armutskonferenz wäre besonders eine substantielle Reform und Verbesserung der Wohnbeihilfe eine solche zielgerichtete Maßnahme. "Die explodierenden Mieten sind ein herausgehobener Belastungsfaktor für Menschen mit geringem Einkommen. Vor diesem Hintergrund zeigt die seit Jahren sinkende Zahl an Wohnbeihilfebeziehern, wie realitätsfern das derzeitige Beihilfesystem und seine Berechnungsgrundlagen sind. Wenn man sich schon scheut, die Sozialhilfe als Leistung für Menschen ohne eigenes Einkommen über die Armutsgefährdungsschwelle anzuheben, weil dem bundesgesetzliche Regelungen entgegenstehen, muss man wenigstens bei der Wohnbeihilfe aktiv werden. Die richtet sich an Menschen mit geringem eigenen Einkommen und liegt ausschließlich in Landeskompetenz. Angesichts von rund 91.000 Menschen, die hierzulande armuts- oder ausgrenzungsgefährdet sind, erwartet die Armutskonferenz, dass die Landesregierung hier endlich Gas gibt“, konkretisiert Diettrich die Vorstellungen der Armutskonferenz.
(Red.)
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