Dementsprechend universell und erfrischend ist das Coming-of-Age-Werk des Grazers Jakob M. Erwa.
Die Mitte der Welt – Die Handlung
Als der 17-jährige Phil (großartig: Louis Hofmann) vom dreiwöchigen Sommercamp zurückkehrt, herrscht zwischen seiner Mutter Glass (Sabine Timoteo) und seiner Zwillingsschwester Dianne (Ada Philine Stappenbeck) Funkstille. Phil ist irritiert, lenkt sich aber ab – erst mit seiner besten Freundin Kat (Svenja Jung), dann mit dem feschen neuen Mitschüler Nicholas (Jannik Schümann). Der hält mit seinem Interesse für Phil nicht hinterm Berg und verwickelt ihn in eine leidenschaftliche Affäre, gibt sich sonst aber recht verschlossen. Für Phil wird das Unausgesprochene allerorts bald zu viel: Sowohl in seiner Beziehung mit Nicholas als auch im zunehmend fragilen Familienleben braucht es Klarheit. Und da wäre auch noch das große Geheimnis um seinen amerikanischen Vater, dessen Identität Phil nicht kennt.
Die Mitte der Welt – Die Kritik
Es verwundert nicht, dass bisherige Versuche, “Die Mitte der Welt” seit Erscheinen 1998 zu verfilmen, gescheitert sind: Die Erzählung des Berliner Autors Andreas Steinhöfel ist von Zeitsprüngen und einer Parallelhandlung geprägt, stellt die Schwere dunkler Familiengeheimnisse neben die Leichtigkeit junger erster Liebe. Der 35-jährige Erwa, der sich bisher etwa mit der Jugendserie “tschuschen:power” und dem Genrefilm “HomeSick” hervorgetan hat, meistert die Herausforderung bravourös, verwebt die verschiedenen Ebenen und Charaktere stimmig, packend und einfühlsam, sodass sie sich gegenseitig stützen. Als Zuseher wird man so von Beginn an ins Geschehen gezogen, lacht und weint und rätselt mit Phil mit und sehnt die möglicherweise tragische Auflösung herbei.
Der Film an sich ist dann auch wie sein Protagonist: zurückhaltend und doch mutig, überglücklich und mit “blindem Fleck”, wie Phil das Gefühl des abwesenden Vaters beschreibt. Es geht um das Erwachsenwerden, eignet sich altersunabhängig aber auch als Plädoyer für Kommunikation und das Verarbeiten von Traumata als Notwendigkeit, um voranzukommen – ungeachtet dessen, was eine Konfrontation hervorbringen könnte. Erwa fängt die jugendliche Aufbruchsstimmung ebenso ein wie die beklemmende Atmosphäre, wobei das von einem Sturm verwüstete Waldstück hinter dem Haus als Metapher für das nie aufgeräumte Seelenleben der Protagonisten herhält. Steinhöfels Sprache – “Und eine kleine, silberne Kälte nistete sich in unsere Mitte ein” – stellt er frische Elemente zur Seite: Den Augenblick, in dem Phil Nicholas erstmals erblickt, gestaltet er als typischen “meet cute”-Moment inklusive Zeitlupe, Bildfärbung und verwehten Haaren – “boy meets boy” statt “boy meets girl” eben.
Und auch sonst sprudelt der Film vor schönen Ideen und Bildern: Da regnet es goldenes Konfetti von der Decke, als Phil sein erstes Mal erlebt, hält das Dreiergespann Phil/Nicholas/Kat die unbeschwerte Zeit selbst mit dem Handy fest und erscheinen Fotos von u.a. Obama, Da Vinci und Luke Skywalker auf der Leinwand, als Phil aufzählt, aus wem trotz Kindheit ohne Vater “was geworden” ist. Wer sich bei derartigen Stilbrüchen an Mike Mills’ großartigen Film “Beginners” (2011) erinnert fühlt, liegt richtig: Von Mills’ Bildsprache hat sich Erwa laut Presseunterlagen ebenso inspirieren lassen wie von Susanne Bier oder Sofia Coppola. Das mag ab und an etwas zu stark auffallen, wirkt aber dennoch stimmig und dürfte jugendliche wie auch erwachsene Seher ansprechen. Das liegt auch an dem bunt gemischten Cast, wobei neben den großartigen jungen Darstellern Nina Proll in einer Nebenrolle als Phils Vertraute die eine oder andere starke Szene hat – und manch pubertäre Dramatik mit einem “Heast, Bub” wunderbar herunterzubrechen vermag.
(APA)
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