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"Bataclan"-Überlebende berichtet: "Dutzende vor meinen Augen erschossen"

Isobel Bowdery (22) überlebte den Anschlag im "Bataclan" unverletzt.
Isobel Bowdery (22) überlebte den Anschlag im "Bataclan" unverletzt. ©Facebook/Isobel Bowdery
Paris. Die südafrikanische Studentin Isobel Bowdery (22) war am Freitagabend auf dem Konzert der "Eagles of Death Metal", als die Terroristen das Feuer eröffneten. Sie überlebte unverletzt, doch wie nah sie dem Tod war, zeigt das Blut auf ihrem T-Shirt. Das Foto davon und ihre Geschichte teilte sie auf Facebook.

“Du glaubst niemals, dass dir so etwas passieren wird. Es war einfach ein Freitagabend auf einem Rockkonzert. Die Atmosphäre war unbeschwert und jeder hat getanzt und gelacht.” So beginnt Isobel Bowdery den Eintrag auf ihrem Facebook-Profil. Dazu postet sie ein Foto des blutverschmierten weißen T-Shirts, dass sie am Freitagabend trug.

you never think it will happen to you. It was just a friday night at a rock show. the atmosphere was so happy and…

Posted by Isobel Bowdery on Saturday, November 14, 2015

“Als die Männer durch den Eingang kamen und anfingen zu schießen, dachten wir naiverweise noch, es sei alles Teil der Show.”

Schreie von Männern

Doch schnell wurde klar, dass das keine Einlage war: “Dutzende Menschen wurden direkt vor mir erschossen. Blutlachen breiteten sich auf dem Boden aus. Es war nicht nur ein Terror-Angriff, es war ein Massaker.” Und Bowdery beschreibt den Horror bildhaft weiter: “Die Schreie von Männern, die ihre tote Freundin im Arm hielten, gellten durch die kleine Konzerthalle.”

Die 22-jährige selbst blieb unverletzt, stellte sich tot: “Eine Stunde lang lag ich am Boden zwischen Menschen, die sahen dass sich ihre Liebsten nicht mehr bewegten.”

“Ich hatte unglaubliches Glück – andere nicht”

Sie selbst habe versucht, nicht zu atmen, sich nicht zu bewegen, nicht zu weinen. “Ich wollte diesen Männern nicht die Angst zeigen, die sie sehen wollten.” Die Bilder der Angreifer haben sich in ihre Erinnerung eingeprägt, wie ruhig und sorgfältig sie auf die Menschen zielten.

“Ich habe unglaubliches Glück gehabt. Aber so viele andere hatten das nicht.” Sie dankt dem unbekannten Mann, der versuchte, sie mit seinem Körper zu schützen als sie wimmernd am Boden lag. Als sie irgendwann nichts mehr hörte, lief sie nach draußen. Eine Frau öffnete ihre Tür für die Überlebenden und bot ihnen Schutz, ein Freund kauft ihr ein neues Oberteil, damit sie nicht weiter das blutverschmierte tragen musste.

Sie denkt aber auch an die Angehörigen der über 80 Opfer: “Ich verspreche euch, dass ihre letzten Gedanken nicht diesen Tieren galten, die das angerichtet haben, sondern denjenigen, die sie lieben.”

Video: Hier beginnt das Massaker im “Bataclan”

Die Metal-Band “Eagles of Death Metal” spielte gerade den sechsten Song des Abends, als vier maskierte und schwer bewaffnete Angreifer das Feuer eröffneten. Die Tiroler Band “White Miles” war zuvor als Vorgruppe der “Eagle” aufgetreten. Sie blieben bei den Terrorakten unverletzt, erlebten sie laut eigenen Angaben “im Hinterhof” mit.

“Dann hörte er auf zu atmen”

Auch die in Paris lebende Amerikanerin Helen Wilson (49) wird den Horror dieses Abends niemals vergessen. Dem britischen “Telegraph” erzählt sie, wie sehr sie sich gefreut hatte, als ihr Ex-Freund Nick Alexander anrief und sagte, dass er in der Stadt sei und ob sie mit auf das Konzert im “Bataclan” kommen wolle. Der Brite arbeitete dort am Merchendise-Stand der “Eagles of Death Metal”.

Der “Daily Mail” schildert sie auch, wie einer der Terroristen gezielt auf Rollstuhlfahrer feuerte, für die in der Konzerthalle ein eigener Bereich eingerichtet war. Sie und Nick hätten sich mit allen anderen zu Boden geworfen, sich totgestellt. Doch als sich jemand neben ihnen bewegte, sei einer der Terroristen zu ihnen gekommen.

Der junge Attentäter eröffnete mit seiner Kalaschnikow das Feuer. Er traf Nick, er traf Helen. Während sie “nur” zwei Kugeln in die Beine bekam, wusste Helen zunächst nicht, wie schwer Nick verletzt war – bis er aufhörte zu atmen. “Ich versuchte, mit ihm zu reden, versuchte ihn mit Mund-zu-Mund-Beatmung wiederzubeleben. Ich hielt ihn fest und sagte ihm, dass ich ihn liebe.” Irgendwann kam die Polizei und trug Helen ins Freie.

“Bitte helft mir ihn zu finden”

Als sich die Nachricht vom Massaker im “Bataclan” auf der ganzen Welt verbreitete, verzweifelte eine Frau auf der anderen Seite des Atlantiks in New York. Polina Buckley lebt in New York, war die aktuelle Freundin von Nick Alexander. Versuche, mit ihm Kontakt aufzunehmen, schlugen fehl, Nick ging nicht ans Telefon.

Schließlich postete sie ein Bild von Nick auf Twitter: “Bitte helft mir, Nick Alexander zu finden.”

  Als die Nachricht vom Tod des Briten traurige Gewissheit wurde, zündete sie vor der französischen Botschaft in New York eine Kerze für ihn an. Auf Twitter verabschiedete sie sich: “Du warst und wirst immer die Liebe meines Lebens bleiben, Nick Alexander. Schlaf gut, mein Prinz.”  

Todesfalle “Bataclan”

Die meisten der insgesamt 129 Todesopfer der Anschläge von Paris starben im kleinen Konzerthaus “Bataclan”, als vier Terroristen ein Konzert stürmten. Neben automatischen Waffen setzten sie auch ihre Sprengstoffwesten ein, die Pariser Behörden sprachen nach der Erstürmung des Gebäudes durch die Polizei von einem “wahren Gemetzel.” Ein gegenüber vom “Bataclan” wohnender Reporter der “Le Monde” filmte aus seinem Fenster, wie sich die Menschen nach Beginn des Anschlags panisch aus dem Gebäude in Sicherheit brachten:

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