AA

Wirtschaftsexperte Schulmeister: „Diese Rezession haben wir selbst produziert“

Wirtschaftskrise: Experte Schulmeister hält sie für selbstgemacht
Wirtschaftskrise: Experte Schulmeister hält sie für selbstgemacht ©APA/HELMUT FOHRINGER
Schwarzach - Stephan Schulmeister gehört zu den angesehensten Wirtschaftsforschern des Landes. Im Interview erklärt er, warum die gegenwärtige Krise selbstgemacht ist – und welche radikalen Maßnahmen es braucht, um der europäischen Wirtschaft wieder auf die Sprünge zu helfen.
Stephan Schulmeister im Gespräch

Aus seiner Ablehnung für den Europäischen Fiskalpakt macht Schulmeister keinen Hehl. Hier werde nach dem simplen Prinzip vorgegangen „Der Schuldner ist schuld“. Anders gesagt: Die Staaten, die jetzt in finanziellen Schwierigkeiten stecken, haben einfach über ihren Verhältnissen gelebt – so die Vorstellung. „Was man dabei nicht versteht, ist, dass der Staat Teil des wirtschaftlichen Gesamtsystems ist und ein viel größeres Gewicht hat als ein einzelner Haushalt.“ Drosselt er seine Ausgaben, dämpft er damit zugleich das Wirtschaftswachstum. Genau das passiere seit Jahren in Südeuropa.

„Finanzalchemie“ Schuld an Krise

Im Gegensatz dazu sieht Schulmeister die tiefere Ursache für die gegenwärtige Wirtschaftskrise im Auseinanderdriften der Realwirtschaft und was er polemisch als  „Finanzalchemie“ bezeichnet. Darunter versteht er den „Versuch, durch Tausch Geld gegen Geld reicher zu werden.“ In der zweiten Hälfte der Nachkriegszeit haben sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu Gunsten der „Finanzalchemie“ verschoben, so Schulmeister. Schuld daran sei der Einfluss neoliberaler Wirtschaftstheoretiker gewesen, die die uneingeschränkte Freiheit aller Märkte – also auch der Finanzmärkte – propagierten. Das alles hat dazu geführt, dass die für die Realwirtschaft so wichtigen Kurse – allen voran Währungswechselkurse, das Zinsniveau und Rohstoffpreise – instabil geworden sind, was realwirtschaftliche Aktivitäten erheblich erschwert hat.

„Spielanordnung gleich geblieben“

Eine Änderung ist bis heute nicht eingetreten: „Die grundsätzliche Spielanordnung ist tatsächlich gleich geblieben.“ Mehr noch: Die Akteure auf den Finanzmärkten haben sich längst ein neues „Spiel“ gesucht – das Spekulieren gegen Staaten. Und so habe sich die Krise „wenn auch nicht spektakulär, so doch sozusagen schleichend weiter vertieft“. Schulmeister spart nicht mit Kritik an den Verantwortlichen: „Diese Rezession haben wir selbst produziert: Durch zu wenig Mut, die Systembedingungen etwas grundlegender zu ändern und dadurch, dass man einfach auf die alten Rezepte zurückgegriffen hat, die im Grunde aus einem Weltbild stammen, das in die Krise geführt hat.“ Der europäische Fiskalpakt sei das beste Beispiel dafür.

Schulmeisters „New Deal“

Der Weg aus der Krise sei nur mit einem mutigen neuen Ansatz zu schaffen, sozusagen einem „New Deal“ für Europa. Schulmeister lehnt sich hier begrifflich an das Wirtschaftsförderungsprogramm von US-Präsident Roosevelt an, der damit die Wirtschaftskrise der 1930er erfolgreich bewältigen konnte. Der Wirtschaftsexperte sieht zwei Grundpfeiler, auf denen ein solches Programm beruhen sollte: Erstens müssten die Spielregeln wieder so gestaltet werden, dass die Realwirtschaft gegenüber der Finanzwirtschaft im Vorteil ist – etwa durch Stabilisierung des Zinsniveaus in Europa. Und zweitens solle man zurückkehren zum System der festen Wechselkurse: „Wenn die fünf wichtigsten Notenbanken der Welt sich einigen würden auf bestimmte Kursniveaus, wäre dieses ganze Spekulationskasino, behaupte ich, vom einen auf den anderen Tag geschlossen.“ (MST)

Stephan Schulmeister im Gespräch:

 

  • VOL.AT
  • Wirtschaftsexperte Schulmeister: „Diese Rezession haben wir selbst produziert“