Mayröcker-Porträt "Das Schreiben und das Schweigen"
Gesprochen hat Mayröcker trotzdem viel. Aus dem Off erzählt die Grande Dame der österreichischen Lyrik äußerst offen über ihre Arbeitsweise, kleine und große Erinnerungen und ihr sie stets umgebendes Chaos. Eine wunderbar ungeschminkte Hommage an die Autorin.
Der Film beginnt mit einem Klischee: Im letzten Winkel des Zimmers lauert die Kamera hinter einem Stoß Papier. Und lenkt den Blick auf jenes unermessliche Chaos, für das Mayröcker weithin bekannt ist. Man sieht die heute 83-Jährige das Vorhaus betreten, in mehreren hart geschnittenen Einstellungen offenbart Tartarotti das ganze Ausmaß der heillosen Unordnung. Aus dem Off der ironische Kommentar der Lyrikerin: “Eigentlich hab ich mit Null hier angefangen”, so Mayröcker mit gespielter Verwunderung, “alles war leer, da war nur meine Schreibmaschine”. Und weiter: “Ich kann überhaupt nix wegräumen, ich brauch das alles. Es ist nicht so ungeordnet, wie es aussieht”, fügt sie mit einem leisen Lachen hinzu.
Dass Mayröcker kein einziges Mal in einer typischen Interview-Situation zu sehen ist, hat nicht nur mit dem Handwerk der Regisseurin zu tun. Gleich zu Beginn der Dreharbeiten stellte Mayröcker eine Bedingung: kein Team, für das ist in der kleinen Wohnung in der Zentagasse in Wien-Margareten kein Platz. Vielmehr räumt die Autorin der Regisseurin mit viel Liebe und Mühe ein A4-Blatt großes “Fleckerl” frei, “da kannst du dein Mikrofon hinstellen”. Und so kam es, dass Tartarotti die meiste Zeit entweder mit Kamera oder mit Ton arbeitete. “Das Problem war die Gleichzeitigkeit”, erst beim Schnitt habe sie die beiden Medien montiert, wie die Regisseurin, die bereits vor 20 Jahren ein filmisches Porträt der Autorin vorlegte, im Anschluss an die gestrige Premiere erläuterte. Und dass die Wünsche Mayröckers von ihrer gesamten Umgebung eingehalten werden müssen, zeigt sich im Laufe des Streifens noch oft, nie jedoch ohne ironischen Kommentar der Autorin: “Ich kann mich nicht konzentrieren, wenn du da bist. Schreiben ist eine intime Sache, da hab ich sogar das Gefühl, ich bin schon zu viel.”
Auch Peter Huemer musste bei einer von Tartarotti festgehaltenen “Diskussionsveranstaltung” sein Konzept ad absurdum führen. Mayröcker wolle eigentlich kein Gespräch führen, Publikumsfragen seien überhaupt nicht erwünscht. Die Veranstaltung blieb also sehr kurz. Mehr Zeit nimmt sich Mayröcker allerdings bei Lesungen, wo sie zwar geduldig alle Widmungs-Wünsche erfüllt, es mit der Richtigkeit der Namen allerdings nicht so ernst nimmt, wie man einmal sieht. Wahrer Stimmungsbarometer ist jedoch stets Mayröckers Blutdruckmesser, der ebenfalls des öfteren Eingang in die Dreharbeiten fand. Von ihm macht sie nicht nur Teilnahmen an Veranstaltungen abhängig, auch andere “Anstrengungen” wie Telefonate, Besuche oder das Schreiben selbst müssen dran glauben.
Tartarotti begleitete die Autorin auch nach Frankfurt und Berlin, auch Lesungen in Wien wurden mitgeschnitten. Zentrum des Films bleibt jedoch die Wohnung: Das Chaos an Zetteln, Zeitungen und Plakaten, das sogar vor dem Fußboden und der Küche (wo es sich allerdings mehr um unzählige Medikamenten-Schachteln handelt) nicht Halt macht, habe System: “Surreale Dinge liegen in den Kisten. Wie Kochrezepte, die ich dann rausziehe wie bei der Lotterie.” Die durch die hohen Büchertürme entstehende Schummrigkeit in Mayröckers Wortpalast kommt der Autorin durchaus zu Gute, wie sie in gewohnt ironischer Manier meint: “Ich schreibe immer am Vormittag, aber da muss diese blöde Sonne weg sein. Ich brauch beim Schreiben einen Ausblick. Trübe Tage sind leider so selten in Wien, es scheint ja die ganze Zeit die Sonne.”
Zentrum ihrer Lebenswelt ist ihre “Hermes Baby”-Schreibmaschine, von der sie zwei weitere vorrätig hat. Schließlich müsse man gewappnet sein, “wenn sie einmal abstürzt”, so Mayröcker, die auf ihre Anspielung an die Computerwelt Lacher im Publikum verzeichnete. Lapidar fügt sie hinzu: “Ich muss ja durchkommen bis zum Schluss.” Überhaupt zieht sich dieser Schluss, das Ende, durch die gesamte Produktion. “Ich lebe ja so gern”, sagt Mayröcker, als sie den Nachlass von Ernst Jandl inspiziert. Dass ihr eigener Vorlass nach und nach in die Wienbibliothek wandert, betrübt Mayröcker ein wenig. So meint sie schmunzelnd: “Ich würde das alles lieber behalten. Wenn’s mir mal sehr schlecht geht, könnte ich das alles verkaufen.”
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