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"Amnestie durch die Hintertür"

Mit einer Art "Amnestie durch die Hintertür" hat das Berufungsgericht im italienischen Fußball-Skandal Juventus Turin & Co. vor ruinösen Strafen und die Liga vor einer totalen Blockade bewahrt.

Inter Mailand ist zum italienischen Meister ernannt worden, für die Sünder gab es Gnade.

Strafen deutlich abgemildert

Die Richter milderten fast alle Strafen deutlich ab: Dem als einzigen wegen der Liga-Manipulationen zum Zwangsabstieg in die Serie B verurteilten Rekordmeister Juve wird durch weniger Strafpunkte der direkte Wiederaufstieg, dem AC Milan die Teilnahme an der Champions League sowie AC Fiorentina und Lazio Rom der Verbleib in der ersten Liga ermöglicht. „Die Show ist gerettet – das hässliche Nachspiel des großen Prozesses“, spottete die Zeitung „La Repubblica“ am Mittwoch.

Am Abend wurden dann Inter offiziell zum Meister 2006 erklärt worden. „Es gab keinen Grund, Inter den Titel als bestplatzierte Mannschaft nicht zu verleihen“, erklärte der kommissarischen FIGC-Präsident Guido Rossi und setzte damit die von einer eigens einberufenen Expertenkommission getroffene Entscheidung um. Inter Mailand gewann damit seine 14. Meisterschaft. Zuvor waren Juventus Turin vom FIGC-Sportgericht wegen der Liga-Manipulationen die Titel 2005 und 2006 aberkannt worden. Der Titel 2005 wurde nicht vergeben.

Inter-Besitzer Massimo Moratti ist auch Favorit auf den Posten des Liga-Chefs. Der Mailänder Ölmagnat gilt als Saubermann, weshalb ihn viele in der „Stunde Null“ gerne als Nachfolger des zurückgetretenen Adriano Galliani sahen. „Ich fühle mich geehrt“, sagte Moratti, weigerte sich bei der Wahl am Mittwoch jedoch, nachdem er im ersten Wahldurchgang nur 22 Stimmen bekommen hatte. Nach dem Verband wird nun wohl auch die Liga von einem kommissarischer Präsidenten geführt werden müssen.

„Farce“ oder „Weises Urteil mit Augenmaߓ? – Italien schwankte zwischen Erleichterung und Wut. Nach dem durch den Skandal überschatteten WM-Triumph jubeln zumindest die Tifosi der geretteten Klubs wieder: In letzter Sekunde meldete Italien am Mittwoch seine Europacup-Teilnehmer; die Ligen können Ende August pünktlich starten.

„Das Urteil ist lächerlich“, schimpfte aber FC Palermos Präsident Maurizio Zamparini, für den Richter Piero Sandulli Gnade vor Recht ergehen ließ. Juve, Fiorentina und Lazio sehen dies anders, fühlen sich völlig unschuldig und kündigten sogar Berufung vor dem Gericht des Nationalen Olympischen Komitees (CONI) an, bevor sie das Verwaltungsgericht in Rom anrufen wollen.

Hier werden aber allenfalls noch „Rabatte“ bei den Strafpunkten für Juve (-17), Florenz (-19), Lazio (-11) und Milan (-8) erwartet, das das Urteil als einziger Klub akzeptierte, nachdem sich Milan-Boss Silvio Berlusconi „einigermaßen zufrieden“ zeigte.

Juves Verbleib in der Serie A gilt als ausgeschlossen, da seine Ex-Manager Luciano Moggi und Antonio Giraudo zusammen mit Schiedsrichter-Koordinator Pierluigi Pairetto und Ex-Star-Schiri Massimo De Sanctis eindeutig die Köpfe der so genannten „Fußball-Mafia“ waren. Ein erneutes Durcheinanderwürfeln der Ligen ist deshalb nicht zu erwarten, so sehr Juve-Präsident Cobolli Gigli dies auch hofft. Er fordert für Juve die „Serie A mit Strafpunkten und einen Titel zurück“ und will „so lange prozessieren, bis Juve Gerechtigkeit widerfährt“. „Wir sind die einzigen, die zahlen“, klagte Gigli.

Der Zwangsabstieg kostet Juve rund 350 Millionen Euro, errechneten Finanzexperten. Von den Turinern angedachte Schadenersatzklagen gegen Moggi werden dieses Loch nicht stopfen. Der gerade begonnene Umbau des „Stadio delle Alpi“ in eine moderne Fußball-Arena mit Einkaufs- und Freizeitcenter scheint in Gefahr. In Turin wird man nervös, weshalb der zur Dynastie der Agnellis gehörende Fiat-Präsident Luca di Montezemolo beruhigte: „Die Familie Agnelli wird Juve nicht verkaufen.“

Auch der Ausverkauf der Stars soll gestoppt werden, nachdem Fabio Cannavaro und Emerson bereits Ex-Trainer Fabio Capello zu Real Madrid gefolgt und Gianluca Zambrotta zum FC Barcelona geflüchtet sind. „Es bleiben alle“, sagte Trainer Didier Deschamps. „Jetzt ist der Wiederaufstieg greifbar“, schöpfte Turins Bürgermeister Sergio Chiamparini neue Hoffnung. Angesichts des von der Anklage geforderten Abstiegs in die Hölle der dritten Liga, ist ein Jahr Fegefeuer in der Serie B erträglich.

„Wenigstens sind wir wieder im Paradies“, freute sich Fiorentina-Sportdirektor Pantaleo Corrino über den Rückbeförderung seines Clubs in die Serie A. Club-Präsident Diego Della Valle gab sich dagegen weniger versöhnlich und beschimpfte den kommissarischen FIGC-Präsidenten Guido Rossi als selbstherrlichen Potentaten und forderte ihn auf: „Geh nach Hause!“

Klubs planen Einspruch gegen Gerichts-Urteile

Trotz der abgemilderten Urteile im Berufungsprozess rund um den italienischen Fußballskandal sind die in die Absprachenaffäre verwickelten Vereine nicht zufrieden. Alle betroffenen Klubs mit Ausnahme des AC Milan, der sich seine weitere Vorgehensweise noch offen hielt, wollen bei einem Verwaltungsgericht in Rom Einspruch gegen den Punkteabzug einlegen und parallel dazu auch beim Nationalen Olympischen Komitee (CONI) gegen die Urteile berufen.

Juventus will sich mit der Anfechtung der Entscheidung den Abstieg in die Serie B ersparen. Bisher war die „alte Dame“ noch nie in ihrer 109-jährigen Geschichte in die zweiten Liga. Obwohl die Turiner zum Zwangsabstieg und einem Punkteminus von 17 Zählern (statt ursprünglich 30) für die kommende Saison belegt wurden, hoffen sie weiterhin auf einen Verbleib in der Serie A. Außerdem will der Rekordmeister seine beiden Meistertitel aus den Saisonen 2004/05 und 2005/06, die von den Richtern wegen Schiedsrichterabsprachen aberkannt wurden, behalten.

„Dieses Urteil ist ein Skandal. Juve zahlt für alle. Wir werden nicht Halt machen, bis dieses Urteil rückgängig gemacht wird“, sagte Juve-Präsident Giovanni Cobolli Gigli. Auch der Ex-Juve-Geschäftsführer Antonio Giraudo, der zu einer fünfjährigen Berufssperre verurteilt wurde, kündigte rechtliche Schritte gegen das Urteil an.

Kritisch zeigte sich auch der Hauptangeklagte dieses Prozesses, Ex-Juve-Sportdirektor Luciano Moggi, der als Drahtzieher des ausgedehnten Skandals gilt. Moggi zählt zu den wenigen Angeklagten im Verfahren, für die das erstinstanzliche Urteil bestätigt wurde. Der Manager wurde mit einer fünfjährigen Berufssperre bestraft. „Ich bin sprachlos. Dieses Urteil ist unannehmbar. Nur Juve ist für die Affäre verantwortlich gemacht worden“, erklärte Moggis Rechtsanwalt Fulvio Gianaria.

Juves Beispiel will auch Fiorentina-Klubchef Diego Della Valle folgen, der zu drei Jahren und neun Monaten Berufssperre sowie zur Zahlung von 55.000 Euro verurteilt wurde. „Fiorentina bleibt zwar in der Serie A, verliert aber wegen des Punkteabzugs aus der vergangenen Saison das Recht, an der Champions League teilzunehmen. Dagegen werden wir Einspruch einlegen“, betonte Della Valle, dessen Klub mit einem Minus von 19 Punkten ins kommende Spieljahr gehen muss.

Ähnlich äußerte sich Lazio-Boss Claudio Lotito. „Lazio hat keine Regeln verletzt. Es ist ungerecht, dass wir nicht am UEFA-Cup teilnehmen dürfen“, bemängelte Lotito. Die Römer dürfen zwar weiterhin in der Serie A spielen, sie wurden aber auf den 16. Tabellenendplatz 2005/06 zurückversetzt und beginnen das neue Spieljahr mit einem Minus von 11 Zählern.

Halbwegs zufrieden zeigte man sich nur im Lager des AC Milan. Der Ancelotti-Elf wurden in zweiter Instanz 30 statt 44 Punkten abgezogen, wodurch die Mailänder in der Champions-League-Qualifikation starten dürfen. Außerdem wurden die Strafpunkte für 2006/07 von 15 auf 8 Zähler reduziert, was die Titelchancen nicht unwesentlich erhöht. „Wir wollten einen Freispruch, also kann dieses Urteil nicht als Sieg angesehen werden. Aber im Vergleich zur ersten Instanz ist das schon weit besser“, erklärte Milan-Anwalt Leandro Cantamessa.

Das römische Verwaltungsgericht wird Mitte August die Rekurse der Klubs überprüfen. Nach Angaben italienischer Medien ist eine Verschiebung des für 27. August geplanten Meisterschaftsbeginns unumgänglich. Der Saisonstart könnte am 10. September erfolgen.

Die Urteile wurden nicht nur von den Vereinen, sondern auch von den italienischen Medien kritisch aufgenommen – allerdings aus einem anderen Grund. Als „eine italienische Komödie“, bezeichnete die Römer Tageszeitung „La Repubblica“ das Ergebnis. „Mildere Strafen, doch die Klubs feiern nicht. Alle wollen Einspruch einreichen. In die Serie B geht nur Juve. Dies bestätigt die zentrale Rolle der Turiner im Skandal. Es war logisch, dass Juventus mehr als die anderen für die Affäre zahlen würde“, kommentierte die „Gazzetta dello Sport“ neutraler.

Empört über die Entscheidungen zeigte sich der kommissarische Präsident des Fußballverbands (FIGC), Guido Rossi, der laut italienischen Medien nun über seinen Rücktritt nachdenkt. Vor dem Urteil hatte Rossi von „gravierenden und stark verbreiteten Vergehen“ gesprochen, für die „die wichtigsten Institutionen des italienischen Fußballs, ihre Führungsorgane, die Justiz und Klubs“ verantwortlich seien. Unermüdlich hatten er und der von ihm ernannte Staatsanwalt Francesco Saverio Borrelli auf die Notwendigkeit einer Moralisierung im italienischen Fußball gepocht. Beide wurden zutiefst enttäuscht.

Verärgert reagierte auch Staatsanwalt Stefano Palazzi, der für Juventus die Serie C und für die anderen verwickelten Klubs die Serie B gefordert hatte. „Ich bin mit diesen Urteilen nicht einverstanden. Die Richter haben nicht zugeben wollen, dass auch Lazio und Fiorentina sich des Sportbetrugs verantwortlich gemacht haben“, meinte Palazzi.

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