Kaum war der Film über sein Leben zu Ende, schwang der Kritiker schon die Keule: Der Schluss, das geht nicht! rief Marcel Reich-Ranicki nach der Premiere der ZDF-Dokumentation im Frankfurter Filmmuseum am Dienstag aus. Gemeint ist seine Interview- Äußerung: Alles, was ich getan habe, konnten andere Leute auch tun, die am Schluss der Dokumentation Ich, Reich-Ranicki, steht, die am 13. Oktober (22.35 Uhr) im ZDF zu sehen ist. Dem Literaturpapst gefällt aber nicht einmal der Tenor der 105 Minuten langen Filmbiografie so recht, in der er die meiste Zeit selbst zu Wort kommt. Die Enttäuschung über die Äußerung mancher Weggefährten in dem Film ist ihm auch anzumerken: Gerade sein Mitstreiter aus dem Literarischen Quartett, Hellmuth Karasek, habe schon viel Interessanteres über ihn gesagt, bedauert Reich-Ranicki.
In meinem Alter will man die Frage stellen: Was wird übrig bleiben? Was habe ich geleistet?, berichtet der 86-Jährige sichtlich bewegt. Daran seien die Film-Autoren, Grimme-Preisträger Lutz Hachmeister und 3sat-Moderator Gert Scobel (Kulturzeit), aber nicht interessiert. Das ist Euer Recht, stellt Reich-Ranicki fest. Aber, das ist mir alles so fremd. Mit den Worten eines Freundes nennt er dann selbst seine drei größten Leistungen: Die 24-bändige Lyriksammlung Frankfurter Anthologie, den Kanon. Die deutsche Literatur und seine Biografie Mein Leben (1999) – Alle drei kämen im Film kaum vor.
Der Starkritiker vermisst in der chronologisch erzählten Montage aus Interviews, Fotos, Archiv- und Spielfilmausschnitten auch eine Antwort auf die Frage: Was war es denn, was mich an dieser deutschen Literatur so fasziniert hat? Keine Erklärung gebe es auf die entscheidende Frage, wie ein Junge, der mit neun Jahren aus einer polnischen Kleinstadt nach Berlin kommt, kaum deutsch kann, nie Germanistik oder überhaupt irgendetwas studiert hat – als Jude wurde er 1938 abgelehnt – später zu dem wird, was viele den wichtigsten Kritiker deutscher Literatur nennen.
Darauf versucht der in gut einem Jahr entstandene Film gleich zu Beginn eine Antwort zu geben: Die Einsamkeit, die Isolation, das Außenseiter-Dasein hätten den jungen Reich-Ranicki dazu getrieben, einen Ausgleich zu suchen: die Literatur. Eine Schlüsselszene ist Reich-Ranickis zweiwöchige Haft in einer Einzelzelle in Polen, nachdem er wegen ideologischer Fremdheit aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen worden war. Dort habe er Das siebte Kreuz von Anna Seghers (1942) gelesen und sich vorgenommen, wenn ich hier lebend wieder auskomme, mich der Literatur zuzuwenden.
Der Film, der aus dem Inneren des ZDF angeregt wurde, wolle dem Publikum Reich-Ranickis Biografie näher bringen, erläutert Hachmeister. Er habe aber auch eine didaktisch-pädagogische Funktion, denn viele die angäben, Mein Leben gelesen zu haben, kennten die wichtigsten Eckpunkte aus Reich-Ranickis Biografie nicht. Die Dokumentation mit teils raren Fundstücken aus Archiven und Interview-Beiträgen – etwa von Schriftsteller Dieter Wellershoff, FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher oder Ranickis Sohn Andrew – sei als Charakterstudie angelegt.
Es ist ein Film, der aus sich selber heraus spricht, ergänzt Co- Autor Scobel. Mit dem sehr äußerlichen Medium Fernsehen solle gezeigt werden, was einen Menschen innerlich bewegt. Was von Reich-Ranicki bleibe, werde sich von selbst zeigen. Das brauchten wir nicht zu zeigen, verteidigt sich Scobel.
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