Atomenergie-Renaissance in Osteuropa
Auf mehr Atomstrom hoffen unter anderem die Slowakische Republik, Rumänien und Bulgarien. In Litauen planen die drei Balten-Republiken und Polen sogar eine Weltpremiere: Erstmals wollen vier Staaten ein neues Atomkraftwerk gemeinsam finanzieren, bauen und nutzen. Hauptmotivation: Die osteuropäischen Staaten streben nach Unabhängigkeit von Russlands Gas und Öl.
Litauen, Estland, Lettland und Polen wollen ihr Gemeinschaftsprojekt in Ignalina realisieren. Dort ist vorerst noch der letzte Reaktor vom sowjetischen Tschernobyl-Typ innerhalb der EU in Betrieb. Er muss laut Litauens EU-Beitrittsvertrag jedoch Ende 2008 abgeschaltet werden. Bereits Ende 2004 wurde ein erster Reaktor in Ignalina vertragsgemäß abgestellt. Die Balten und Polen wollen nun am selben Standort bis 2015 für rund sechs Milliarden Euro eine neues AKW errichten – mit einer Gesamtleistung von 3200 Megawatt in bis zu vier Reaktoren.
Weniger abhängig vom Gas
Ohne Atomkraft könnten wir zweifellos überleben, aber wir würden deutlich abhängiger vom Gas, erklärt Saulius Specius, energiepolitischer Berater des litauischen Ministerpräsidenten. Litauen bezieht sein Gas zu 100 Prozent aus Russland und deckt damit 30 Prozent seines Energiebedarfs. Ohne Atomkraft stiege dieser Anteil auf 50 Prozent. 2050 will Litauen 40 bis 50 Prozent seines Strombedarfs mit Hilfe des neuen Atomkraftwerks decken.
Mehr energiepolitische Unabhängigkeit von Moskau hat auch für die anderen ehemals kommunistischen EU-Mitglieder Priorität. Sie misstrauen Moskau, das mit seinen enormen Vorräten an Gas und Öl aus ihrer Sicht allzu arrogant auftritt. Die Sorge um den Klimawandel kommt hinzu. Erdöl wird unvermeidlich teurer.
In den Beitrittsverhandlungen mit den neuen EU-Mitgliedern setzten die alten EU-Staaten die Schließung mehrere Kernkraftwerke sowjetischer Bauart durch: in der Slowakei, in Litauen und zuletzt in Bulgarien. Doch jetzt gewinnen in der Region wieder die Verfechter der Atomtechnologie die Oberhand, von denen viele noch zu Sowjetzeiten geschult wurden.
In der Slowakei will das italienische Unternehmen Enel, das die ehemals staatliche Stromgesellschaft Slovenske Elektrarne kontrolliert, bis 2013 zwei neue Reaktoren im Kraftwerk von Mochovce im Westen des Landes bauen. Auch Rumänien will seine Atomstromproduktion steigern: Schon in diesem Jahr soll der zweite Teil des Kraftwerks von Cernavoda im Südwesten des Landes in Betrieb genommen werden. Zwei weitere Reaktoren sind für 2014 geplant. Bulgarien hat Ende November mit der russischen Gesellschaft Atomstrojexport den Bau eines neuen Atommeilers in Belene an der Donau vereinbart und würde am liebsten zwei gerade nach EU-Vereinbarung geschlossene Reaktoren in Koslodui wieder ans Netz nehmen.
Wird das Projekt von Ignalina verwirklicht, betreiben in acht Jahren alle zehn ehemals kommunistischen Länder der EU Atomkraftwerke, sei es im eigenen Land oder in Kooperation mit Nachbarn, wie bei dem baltischen Vierer-Projekt. Von den 15 alten EU-Ländern hingegen haben sieben keine eigenen AKW – wegen des Gefahrenrisikos und der Abfälle, die über Jahrtausende radioaktiv strahlen. Andere wie Deutschland und Schweden haben sich für einen allmählichen Atomausstieg entschieden.
Die Regierungen im östlichen Teil der EU können für ihren Kurs in Richtung mehr Atomenergie jedoch mit Unterstützung der eigenen Bevölkerung rechnen. Das zeigt eine Eurobarometer-Umfrage im Auftrag der Europäischen Kommission vom September 2005. Danach waren nur acht Prozent der Österreicher für die Nutzung von Nuklearenergie; die Ungarn, Slowaken und Tschechen hingegen waren deutlich dafür – mit Mehrheiten von 56 bis 65 Prozent.
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