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Neues Buch von Arno Geiger

Bregenz/Wien - Interviews mit Arno Geiger pflegen in den vergangenen Jahren mit der Erinnerung an den 17. Oktober 2005 zu beginnen. Der Tag, als der Vorarlberger Autor für seinen Familienroman "Es geht uns gut" in Frankfurt zum Gewinner des ersten Deutschen Buchpreises ausgerufen wurde. Der Tag, an dem sich im Leben des heute 41-Jährigen alles verändert hat. "Das kann kein zweites Mal passieren", ist er im APA-Gespräch überzeugt.

Seit damals gehören Interviews zum Begleitprogramm jedes neuen Buches des in Wien lebenden Bregenzers. Kommende Woche ist es wieder soweit: “Alles über Sally” heißt der neue Roman, von dem der Hanser Verlag eine Startauflage von 50.000 Stück ausliefert. Seine diese Woche beginnende Lesereise reicht bis in den Mai.

Als Bühnentechniker bei den Bregenzer Festspielen braucht Geiger schon seit längerem nicht mehr zu arbeiten. 17 Jahre lang hat er hier jeweils von Mai bis September hinter den Kulissen gejobbt. “Für meine Entwicklung war es unglaublich wichtig, da ich dort die unterschiedlichsten Lebensentwürfe vorgeführt bekommen habe, die ich als Mittelschichtkind nicht gekannt habe. Es hat mir auch die Angst davor genommen, selbst meinen eigenen Weg zu gehen.” 2006 kehrte er als Eröffnungsredner zu den Bregenzer Festspielen zurück – und hob dabei die Vorteile hervor, die es habe, im Verborgenen beobachten zu können.

Wer positiv lebt, kann an allem Gutes entdecken. Auch, dass er den großen Durchbruch erst nach “Jahren, in denen ich von Kritikern zwar meist gelobt, in der Folge aber immer wieder mir selbst überlassen wurde”, geschafft hat, sieht der sympathische Autor mit der alemannischen Sprachmelodie heute als glücklichen Umstand: “Großen Erfolg gleich beim Debüt – das hätte ich nicht gebraucht. Ich hab bei zwei wichtigen Debütantenpreisen erst in der Stichwahl gegen Zoe Jenny verloren. Ich bin zurück an den Schreibtisch, während sie sofort durch die ganze Maschinerie gejagt wurde.”

Nach dem Erzählband “Anna nicht vergessen” (2007), in dem Geiger mit großer Lust viele verschiedene Erzählformen ausprobierte, ist “Alles über Sally” ein geradezu klassisch anmutender Beziehungsroman, in dessen Mittelpunkt ein Ehepaar steht, das bereits dreißig gemeinsam verbrachte Jahre hinter sich hat: Alfred und Sally. Am Anfang sei die “vage Idee der Person” gestanden, die ihn interessiert habe, erzählt Geiger: “Ich wollte mehr über Sally wissen. Warum ich über eine 50-jährige Frau schreiben will? Ich weiß es nicht. Das hat sicher mit Dingen zu tun, über die man selbst gar nicht ganz Bescheid weiß.”

Doch da gibt es noch Alfred, den etwas älteren Ehemann, der im Gegensatz zu der agilen, jugendlichen, lebenshungrigen und sexuell auch auswärts aktiven Sally als passiver, in die eigenen vier Wände zurückgezogener, reichlich selbstmitleidiger Mann gezeichnet wird. “Meine Lebensgefährtin hat gesagt: Du hast schon viel von Alfred!”, erzählt Geiger, “Ich war empört: Nein! Ganz viel mehr von der Sally!”

Doch dem Autor ist völlig klar: “Natürlich splittet man sich beim Romanschreiben immer auch selbst auf. Momenthaftigkeit und Dauer – ich habe Sehnsucht nach beidem. Das Leben ist nicht denkbar ohne das Verlangen nach Glück. Gleichzeitig lockt es uns ständig in Gefahren. Weil wir das wissen, haben wir auch das Verlangen nach Dauer. Ich würde den Spagat gerne meistern. Das ist allerdings manchmal unelegant.”

Wenn man dem Autor so zuhört, möchte man fast seiner Lebensgefährtin recht geben. Denn zumindest öffentlich scheint er dem Lebensentwurf Alfreds deutlich mehr Sympathie entgegenzubringen: “Die ganze Aufregung und Geilheit scheint rückblickend oft sehr banal. Untreue ist außerdem durch und durch vermintes Terrain. Alfred hat die tiefe Erkenntnis, dass es etwas gibt, das für ihn mehr Potenzial hat, nämlich seine Beziehung zu Sally.”

Wie Alfred ist auch Arno Geiger regelmäßiger Tagebuchschreiber. Als Jugendlicher hat er damit begonnen, nach längerer Pause ist er seit rund sechs Jahren wieder intensiv damit beschäftigt. “Für einen Schriftsteller ist es ein typisches Begehren, Dinge festhalten zu wollen. Bücher sind etwas Konservatives, Papier ist unglaublich haltbar. Schreiben ist Festhalten. Und dann ist es auch das Interesse an der eigenen Entwicklung. Aber ich bin kein rücksichtsloser Tagebuchschreiber, nur mir gegenüber.” Wird beim Schreiben bereits eine mögliche spätere Veröffentlichung mitgedacht? “Die Intelligenz sagt einem, dass das früher oder später gelesen wird, wenn ich es nicht vorher vernichte. Die Notiz ‘Im Falle meines Todes vernichten!’ bringt überhaupt nichts.”

Bei seinen gelegentlichen Todesvisionen zählen das Überfahren-Werden von Wiener Bussen oder Müllautos zu den Favoriten. Doch das hat in seiner Literatur nichts verloren. Er sei nicht beständig der Versuchung ausgesetzt, private Situationen oder Gespräche auf literarische Verwertbarkeit zu überprüfen, versichert er lächelnd: “Ich beschütze die Privatperson vor dem Schriftsteller. Früher hatte ich neben meinem Bett Zettel und Notizblock liegen. Damit habe ich aber vor einigen Jahren aufgehört.”

Fast ebenso viel Bekanntheit wie seine Bücher haben seine einfühlsamen Reportagen über ein Kind mit Down-Syndrom oder seinen an Alzheimer erkrankten Vater erlangt. Sie hält Geiger für einen ganz wichtigen Teil seines Werks. Die Frage aber, ob für ihn jemals auch ein Sozialberuf infrage gekommen sei, weist er fast empört zurück: “Aber genau das ist doch der Schriftstellerberuf! Ich bin kein Schriftsteller, dessen Werk sich in Egomanie gründet. Mein Schreiben gründet sich in einem ganz grundsätzlichem Interesse an Menschen. Ich halte nichts anderes für literaturfähig.”

(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)

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