Die Giftschlamm-Katastrophe in Westungarn könnte laut Greenpeace noch weit schlimmere Ausmaße haben als ursprünglich befürchtet: So sei allein der Arsengehalt des freigesetzten Rotschlamms doppelt so hoch wie erwartet, sagte Greenpeace-Chemiker Herwig Schuster am Freitag bei einer Pressekonferenz in Wien.
Er berief sich dabei auf Messungen der Umweltschützer, die in Labors des Umweltbundesamtes sowie in Budapest analysiert wurden.
Ebenfalls höhere Werte als befürchtet wurden bei Quecksilber festgestellt. Bei Chrom blieben die Werte im Rahmen des Erwarteten, hier seien aber weitere Messungen nötig. Es sei zu befürchten, dass die betroffenen Gebiete “auf viele Jahre unbewohnbar sind”, sagte Schuster. Kritik gab es an der ungarischen Regierung: “Ich wundere mich, warum wir diese Ergebnisse veröffentlichen müssen.”
Die genauen Werte, die bei der Analyse des Wiener Umweltbundesamtes festgestellt worden sind: Pro Kilogramm Trockenmasse wurden 110 Milligramm Arsen, 600 Milligramm Chrom und 1,3 Milligramm Quecksilber gefunden. Hochgerechnet auf die Gesamtmenge des ausgelaufenen Rotschlamms bedeutet dies, dass 50 Tonnen Arsen, 300 Tonnen Chrom und eine halbe Tonne Quecksilber freigesetzt worden sind. Das seien sehr vorsichtige Schätzungen, wie Greenpeace betonte.
Auch die Kontrolluntersuchungen des Budapester Labors erbrachten den Umweltschützern ähnliche Werte und lagen alle innerhalb einer Schwankungsbreite von plus/minus zehn Prozent. Ein Fehler eines Labors könne damit mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. Greenpeace hat nun eine genauere Analyse der Chrom-Verbindungen beauftragt, um die genaue Zusammensetzung und damit die Gefahr, die von diesem Schwermetall ausgeht, besser bewerten zu können. Außerdem seien Screenings auf weitere Metalle in Arbeit. Ergebnisse sind in beiden Fällen am 11. Oktober zu erwarten.
Vor allem das Arsen bereitet den Umweltschützern große Sorgen: Die Substanz sei sehr gut wasserlöslich. Wenn der pH-Wert im Schlamm wie derzeit im stark basischen Bereich von 13 bis 14 liege, würden die meisten Metalle im gebundener Form vorliegen. Sinkt der Wert jedoch – etwa durch Verdünnung mit Regenwasser oder im Grundwasser und Flüssen -, werden die Schadstoffe freigesetzt. Die Analyse des ungarischen Balint-Labors deutet darauf hin, dass dieser Prozess bereits im Gange sei. In einer Wasserprobe wurden 0,25 Milligramm Arsen gefunden, was laut Greenpeace das 25-Fache des Grenzwertes ist.
So könnte sich die Meldung, dass sich der laugenhaltige Schlamm aus dem westungarischen Bauxitwerk im Wasser der Donau so stark verteilt habe, dass er kurzfristig kaum mehr eine Gefahr darstellt, als langfristig umso problematischer herausstellen. In der Stadt Györ wurde Freitag früh an der Einmündung der Raab in die Moson-Donau ein pH-Wert von 8,4, im Ort Gönyü an der Einmündung des Moson-Seitenarms in den Hauptarm der Donau ein ph-Wert von 8,3 gemessen, berichtete die deutsche Nachrichtenagentur dpa unter Berufung auf das Umweltamt in Györ.
Vor allem Arsen und Quecksilber könnten im Hinblick auf die Langzeitfolgen der Katastrophe verheerende Folgen haben: “Es besteht die Gefahr, dass das Arsen das Trinkwasser in einer sehr großen Region kontaminieren wird”, sagte Greenpeace-Chemiker Herwig Schuster. Das Wasser würde damit unbrauchbar. Quecksilber könnte sich bei der Freisetzung im Wasser in der Nahrungskette, vor allem im Fisch schrittweise anreichern. Schäden am Nervensystem wären die Folge bei Menschen, die den Fisch essen würden.
Greenpeace-Aktivist Bernd Schaudinnus, der aus dem Katastrophengebiet kam, berichtete von Feuerwehrleuten, die den Schlamm einen Tag lang ohne entsprechenden Schutz geborgen hatten. Sie hatten völlig verätzte Hände. “Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Politiker nicht gewusst haben, was da drin ist.” Auch Schuster bekrittelte die Informationspolitik der Regierung: “Wenn in Österreich so etwas passiert, hat das Umweltbundesamt eine Datenbank, wo man schnell nachschauen kann, was eigentlich los ist.” Ungarns Premierminister Viktor Orban müsse “sofort alle verfügbaren Informationen auf den Tisch legen”. Das Vermögen der Eigentümer sollte für den Schadenersatz herangezogen werden.
Wie der Schlamm nun entsorgt werden soll, scheint überhaupt nicht klar. Kurzfristig seien Sicherungsmaßnahmen für bestehende Dämme das wichtigste, nicht zuletzt, weil auch das Nachbarbecken gefährdet sein dürfte, sagte Schuster. Die Feuerwehr spritze den Schlamm weg. Hier müsse man aber Sperren errichten, damit die Schadstoffe nicht in die Kanalisation gelangen kann. Der Schlamm müsste in Deponien, die der entsprechenden EU-Verordnung entsprechen, gelagert werden. Das könnte durchaus sein, dass solche Lagerstätten nur in Westeuropa zu finden sind, meinte der Greenpeace-Chemiker.
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