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Geheimnisvolle Insel des Lächelns

©C.Jörg-Brosche
Das bergige Landesinnere Sardiniens bietet jede Menge Geschichte(n), Mythen und Märchen.
Bilder

Der femina agabbadora begegnete man besser nur einmal im Leben – und zwar ganz am Anfang. Als Dorf-Hebamme half sie dem Nachwuchs, gesund das Licht der Welt zu erblicken. Die angesehene Frau hatte aber auch noch eine zweite Aufgabe – als aktive Sterbehelferin. Wenn es auf Sardinien dereinst für jemanden Zeit war, wurde die femina agabbadora gerufen und bereitete dem erlöschenden Leben ein jähes Ende. Auf gewaltsamste, brutalste Art – mit Hilfe eines riesigen Hammers, dem malteddu. Die Frau gab Leben – und nahm Leben. Gruselig! Doch wann wusste die Familie des Todgeweihten, dass dessen Ende tatsächlich unmittelbar bevorstand und die agabbadora zu rufen war? Da hatte man „zweifelfreie“ Methoden: Unter dem Kopfpolster des Kranken wurde eine kleine Nachbildung eines Ochsenjochs gelegt – als Symbol der Kraft und Stärke.

Ungesundes Lächeln
Dort verblieb das giogo für drei Tage und drei Nächte. War der Todgeweihte dann immer noch am Leben, eilte die agabbadora herbei und schwang ihren riesigen Holzhammer für den tödlichen Schlag. Wohlgemerkt: Die letzte Holzhammer-Euthanasie der femina agabbadora fand angeblich 1952 statt! Sardinien ist nicht nur die italienische Bilderbuch- Badeinsel mit den schönsten Stränden des Mittelmeers, die Insel gilt – bzw. war dereinst – auch das Reich der Banditen und Räuber, der Mythen und Legenden, der urwüchsigen Traditionen und Bräuche, der rätselhaften Sagen und schaurigen Gruselgeschichten.

Interessante Geschichten
Verlässt man den Küstenstreifen Richtung Landesinneren, besucht die Dörfer und einsamen Landstriche jenseits des Badetourismus und ist bereit, hier etwas tiefer in das Leben und die Vergangenheit der Bevölkerung einzutauchen, stößt man auf Schritt und Tritt auf interessante Geschichten eines martialischen Volkes, das durch die abgeschiedene Insellage sehr viele Eigenheiten entwickelte und stets alles, was über das Meer kam, als Feind betrachtete. Die Sarden waren niemals Seefahrer, nicht einmal Fischer im größeren Stil – und so findet man die wahre Seele der Insel in der Mitte. Makabren Storys und Traditionen begegnet man zahlreich im Landesinneren Sardiniens. Zum Beispiel in der Gallura, der Region im Nordosten mit für Sardinien ungewöhnlich adretten Städtchen und einer der reizvollsten Berglandschaften der Insel. Volkskundlich Interessierten sei das Museo Etnografico Galluras (www. galluras.it) in Luras wärmstens empfohlen. Direttore Pier Giacomo Pala trug einen guten Teil der 5000 Exponate persönlich zusammen – so auch den malteddu, den Holzhammer der femina agabbadora. Es handelt sich um das einzige Exemplar, das Pala zwölf Jahre lang suchte und schließlich in der Steinmauer einer Nuraghe (den rätselhaften, prähistorischen Turmbauten, von denen es angeblich 7000 auf der ganzen Insel gibt) fand. Das Museum in einem typisch galluresischen Granitsteinhaus ist absolut sehenswert!

Städtisches Kleinod
Im Zentrum der Gallura liegt vor der eindrucksvollen Kulisse der Aggius-Berge das Städtchen Tempio Pausania – eines der freundlichsten der Insel, mit Prachtbauten aus dem typischen rosa Granit. Dieses Material ziert auch den Sockel der Freiheitsstatue in New York sowie das Innere des Flughafens von Kuwait! Die traurige Berühmtheit: Hier wurde in den 70ern des letzten Jahrhunderts der italienische Barde Fabrizio De André von sardischen Banditen gekidnappt und fünf Monate lang festgehalten. Mit Happy End allerdings!
Seinen wahren Charme entfaltet der Ort am Abend, wenn ein guter Teil der 13.000 Einwohner zur passeggiata auf den Beinen ist. Die 500 m hoch gelegene Stadt leistet sich den Luxus einer Sommerund einer Winter-Flaniermeile. In der warmen Jahreszeit lustwandelt man im kühlen, weil windausgesetzten Park von San Lorenzo, im Winter bleibt man in der geschützten Fußgängerzone zwischen der Piazza Gallura und der Via Roma.

Geschichte und Badespaß
In der unmittelbaren Umgebung von Tempio Pausania wird älteste Geschichte lebendig: Da findet man die Nuraghe Maiori, eine des besterhaltenen megalithischen Anlagen der Gallura oder das prähistorische Massengrab Tomba Gigante von Li Lolghi aus der Bronzezeit (rund 1600 v. Chr.). Und wer dann doch auch dem üblichen Sardinien- Klischee nachkommen will – den Badefreuden, der ist in einer knappen Stunde an der Nordküste der Insel und kann mit kurzen Spaziergängen die einsamsten und herrlichsten Strände erwandern. Etwa die Buchten bei Porto Rafael, die Cala di Trana oder die Strände La Licciola bei Valle dell’ Erica und Tinnari bei Isola Rossa.

Nach Sizilien die zweitgrößte Insel im Mittelmeer
Sardinien ist nach Sizilien die zweitgrößte Insel im Mittelmeerraum. Der größte Teil der Bevölkerung spricht einen der Dialekte der sardischen Sprache, die zur Familie der romanischen Sprachen gehört. In der Praxis dominiert im öffentlichen und privaten Leben aber das Italienische. Der Tourismus hat sich in den letzten Jahren entwickelt, die Insel ist praktisch ein Ganzjahresziel.

1800
Kilometer lang ist die Küstenlinie Sardiniens – charakteristisch sind traumhaft schöne weiße Sandbuchten, umrahmt von rosa Granitfelsen vor einem türkisleuchtenden Meer. Besonders erfreulich: Die Küste ist vorwiegend unverbaut! Denn für Strandregionen gilt seit 1960 eine gesetzliche Schutzzone zwischen 300 und 2000 Metern, innerhalb der kein Hotel gebaut werden darf.

„Drei Becher“ mit Miesmuscheln und Risotto
Es gibt einen appetitlichen Grund für einen Besuch im Dörfchen Luras: das Restaurant I Tre Bicchiere (www. itrebicchieri.com). Hier verwöhnt Francesco Giua mit Köstlichkeiten wie Miesmuschel- Pasta, unter einer Blätterteighaube gedämpften Dorade oder Erdbeer-Risotto. Eine wohltuend leichte Abwechslung in der sonst oft Spanferkel- und Wildschweinschweren sardischen Küche.

Zentrum der Korkeichen
Dass Tempio Pausania das Zentrum der Korkeichenproduktion der Gallura ist, merkt man nicht nur bei der Anfahrt von Norden her, die, je näher man der Stadt kommt, immer häufiger von Korkeichenwäldern gesäumt wird. In der Via Roma findet man die todchice Boutique von Anna Grindi (www.suberis. it): Die elegante Signora stellt Kleidung, Taschen und Wohnaccessoires aus hundert Prozent Kork her.
Das Korkmaterial der geschmackvollen wie exklusiven Mode vorwiegend im typischen Braunton des Korks ist wasch- und bügelbar und greift sich angenehm weich und samtig an. Die definitiv nicht billige, reine Handarbeit wird in die ganze Welt exportiert – Hauptabnehmer sind Japan und die USA.

Luxusresort in einem Leuchtturm
Das ultimative Luxusdomizil Sardiniens ist der Highend-Leuchtturm Faro Capospartivento an der Südspitze der Insel. Er liegt inmitten unberührter Natur hoch auf den Klippen, hat einen einsamen, feinen Sandstrand zu Füßen und bietet fünf Suiten vom Feinsten samt Bibliothek, Weinkeller, Kaminzimmer, Pool, Outdoor- Jacuzzi, Terrassen, Garten sowie Housekeeping. Die Nacht in der Suite kostet ab 400 Euro für zwei Personen.

Reiseinfos

Anreise: Mit dem Auto in nur fünf Stunden oder gemütlich über Nacht (mit Bett in der Kabine) bringt die Fähre Autofahrer von Genua, Livorno oder Piombino nach Sardinien (z. B. www.mobylines.de, www.gnv.it) – keine schlechte Anreisevariante, da man vor Ort unbedingt ein Auto braucht und Mietwagen recht teuer sind! Flug: Intersky flog bis 16. Oktober jeden Samstag und Sonntag von Friedrichshafen nach Olbia im Norden Sardiniens (ab 49,99 Euro oneway – www.intersky.biz).
Beste Reisezeit: Für den Badeurlaub Mai bis September, wobei es im Hochsommer sehr heiß werden kann.
Sardinien individuell:www.hosteras.it/de ist ein neues Sardinien- Internetportal, von Sarden für Sardinienfreunde gemacht. Hier findet man Hotels, Packages, Sonderangebote und vieles mehr (auch auf deutsch: www.hosteras.it/de, E-Mail sales@hosteras.it, Tel. +39 070 276691).
Unterkunft: Hoteltipps in der Gallura (Nord-Sardinien): Hotel Limbara, Tempio Pausania, www.limbarahotel.it: Zu Füßen des Monte Limbara mit traumhaftem Ausblick! Hotel Aldiola Lago di Liscia, Sant’Antonio di Gallura, www.aldiolacountry.com: Gemütliches Villen- Resort oberhalb des Stausees Lago di Liscia; gute Küche. Agriturismo Li Espi, Palau, www.liespi.it: Origineller Agriturismo nahe der schönsten Strände der Nordküste. Leuchtturm Faro Capospartivento: Zu buchen über Hosteras, Tel. +39 070 276691, E-Mail rs@hosteras.it; 1 Nacht inkl. Frühstück in der Suite ab 400 Euro für zwei Personen.
Allgemeine Informationen: Italienische Zentrale für Tourismus ENIT, Kärntner Ring 4, 1010 Wien, T. 01 5051639, www.enit.at, delegation.wien@enit.at; www.sardegnaturismo.it/en.

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