AA

Pilgerfahrt zu Tempeln und Tee

Impressionen aus Indiens faszinierender Götterwelt und den höchsten Teeplantagen der Welt.
Tempelanlagen und Teeplantagen

In den dunklen Gängen herrscht hektisches Treiben. Junge Männer, jeder nur mit einem schwarzen Hüfttuch bekleidet, hasten ins Innere des Shiva-Tempels. Ihre nackten Oberkörper glänzen vom Schweiß. Es ist heiß und stickig. Ein Glockenschlag ertönt und kündigt das abendliche Schließen des Schreins an. Noch immer strömen Gläubige ins Tempelinnere. Ein kurzer Tumult. Zwei Brahmanen, erkennbar an der quer über den nackten Oberkörper getragenen Schnur, bahnen sich mit Fackeln den Weg durch die Menschenmassen, gefolgt von vier weiteren Priestern, auf deren Schultern eine geschlossene Sänfte aus massivem Silber lastet. Im Inneren, hinter einem dunkelroten Vorhang verborgen, befindet sich die Statue von Shiva. Begleitet von Gläubigen und Pilgern bahnt sich der Zug seinen Weg durch die düsteren Kolonnaden.
 


Fast wie in Hollywood

Wie jeden Abend wird der Gott von seinem Schrein zum Tempel seiner Gattin Parvati gebracht, damit die beiden die Nacht gemeinsam verbringen können. Der Besuch der allabendlichen Zeremonie im Sri-Meenakshi-Tempel in Madurai gleicht einem Ausflug in eine andere Welt. Kein Hollywood-Regisseur könnte das Spektakel besser inszenieren. Doch auch tagsüber herrscht im bekanntesten Tempel Südindiens hektische Betriebsamkeit, bei der jeder Gläubige sein eigenes Ritual vollzieht. Eine Frau hastet mit ihrer Tochter zu einer Götterstatue, hält sich mit überkreuzten Armen die Ohren zu und macht ein paar Kniebeugen. Ein junger Mann im Anzug tupft sein mitgebrachtes rotes Pulver auf ausgewählte Stellen mehrerer Götterstatuen. Ein paar Meter weiter wuselt eine schmale Grauhaarige durch die Gläubigen und zaubert mit einer Art Tapetenroller blitzschnell kunstvolle Muster aus weißem Pulver auf den schwarzen Steinboden.


10.000 Pilger täglich

Bis zu 10.000 Pilger und Reisende besuchen täglich den Tempel der Millionenstadt im Westen des Bundesstaates Tamil Nadu. Der mit hohen Mauern umgebene Komplex mit einer Größe von vier Fußballfeldern ist eine Stadt für sich, mit Höfen, Teichen und Kolonnaden, überragt von 14 über und über mit grellbunten Figuren verzierten Tempeltürmen. Der höchste ist der 50 Meter hohe Südturm mit 1511 ineinander verschlungenen Tänzern und Dämonen aus der hinduistischen Götterwelt. Die Götter begleiten die Reisenden auch auf der Fahrt in die Hafenstadt Cochin an der Westküste Indiens. Dafür sorgt Fahrer Raju, der eine wahre Götter-Armada auf dem Armaturenbrett seines weißen Ambassadors aufgereiht hat. Neben einigen Götterfiguren prangt quer über der Windschutzscheibe der kugeligen Limousine, die bereits seit den 50er-Jahren zum Inbegriff indischer Taxis geworden ist, in roten Großbuchstaben: Gift of God.


17 Kehren bis zur Passhöhe

Sobald der Wagen die Tiefebene verlassen hat, wird das Geschenk Gottes auch gefordert. In 17 Kehren schraubt sich die Straße die Western Ghats hinauf, jenen Gebirgszug, der die Bundesstaaten Tamil Nadu und Kerala trennt. Auf der Passhöhe führt eine einspurige Straße am Steilhang entlang, und wenn ein überladener Lastwagen entgegenkommt, wird es eng. Dann erreichen die Besucher die Teeplantagen. Wie überdimensionale, saftig grüne Teppiche überziehen die Teesträucher selbst die steilsten Hügel. Bis auf eine Höhe von 2200 Meter wird hier Tee angebaut – weltweit soll er nirgends höher wachsen. Zentrum ist das Städtchen Munnar. Die Kanan Devan Hills Plantations Company produziert jährlich 22 Millionen Kilo Tee. Rund fünf Stunden dauert die Fahrt von Munnar in die Hafenstadt Cochin an der Malabarküste. Vorbei an rauschenden Wasserfällen und ausgedehnten Kautschukplantagen erreicht man die Küstenebene. In Cochin lässt sich der indische Wirtschaftsboom nicht übersehen. Überall ragen riesige Baukräne in den Himmel, neue Shoppingcenter und Wohnblöcke entstehen. Nur in Fort Cochin geht es noch immer gemächlich zu. Denn der auf einer Landzunge inmitten einer riesigen Lagune gelegene, älteste Teil der Hafenstadt steht unter Denkmalschutz.


Gemächliche Lagunenstadt

Am Ufer kann man die riesigen Fischernetze mit ihren bis zu 30 Meter hohen hölzernen Gestellen bewundern. Im einstigen Judenviertel befindet sich die älteste Synagoge Indiens, in den engen Gassen blüht der Handel mit Gewürzen. Fort Cochin ist wie ein lebendes Museum. Es gibt kaum Verkehr, viele der alten Wohnhäuser wurden restauriert und beherbergen heute kleine Hotels, Gästehäuser und Restaurants. Ein Spaziergang durch die engen Gassen gleicht einer Zeitreise durch die letzten Jahrhunderte.

 

Interessante Einblicke in die Kolonialzeit

Im Teemuseum zeigt ein Film die wechselvolle Geschichte der Kanan Devan Hills Plantations Company und gibt interessante Einblicke in das Leben der Kolonialzeit. Heute ist in der einst britischen Station vom kolonialen Flair nichts mehr zu sehen. Die Stadt ist ein unattraktives Straßendorf mit einem geschäftigen Markt. Doch wer nach Munnar fährt, kommt vor allem wegen der grandiosen Berglandschaft und wegen des angenehmen Klimas. Hier kann man stundenlang durch Teeplantagen wandern, Wasserfälle und Stauseen besuchen oder im Eravikulam National Park die seltenen und zahmen Bergziegen Nilgiri Thar bestaunen.

 

REISEINFOS

Anreise: Flüge nach Cochin gibt es bei Qatar Airways oder Emirates ab etwa 600 Euro.
Einreise: Visumpflicht für europäische Reisende – weitere Infos bei der Indischen Botschaft in Österreich, Kärntner Ring 2, 1010 Wien, Tel. 01 50586660, www.indianembassy.at.
Saison: Die beste Reisezeit sind die Wintermonate November bis Februar. In dieser Zeit herrscht kein Monsun, die Hitze ist nicht allzu erdrückend. Geld: In den Großstädten gibt es zahlreiche Geldautomaten, wo EC- oder Kreditkarten akzeptiert werden.
Rundreise: Die Fahrt von Cochin nach Munnar dauert rund fünf Stunden. Genauso lange braucht man von Munnar nach Madurai. Zuverlässige Mietwagen mit Fahrer kann man für ca. 30 Euro pro Tag bei Wilson Tours in Cochin buchen, www.wilsontours. co.in, stanley.wilson@rediffmail.com.
Allgemeine Infos: im Internet unter www.indienaktuell.de

  • VOL.AT
  • Reise national
  • Pilgerfahrt zu Tempeln und Tee