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56. Viennale: Highlights der kommenden Woche

Am 25. Oktober wurde die 56. Viennale im Gartenbaukino eröffnet.
Am 25. Oktober wurde die 56. Viennale im Gartenbaukino eröffnet. ©APA/Georg Hochmuth
Diese Woche werden bei der 56. Viennale weitere besondere Filme gezeigt. "Invest In Failure", "Thunder Road", "Minding The Gap" und "Doubles Vies" gehören dazu.

Das gesamte Oeuvre von James Mason binnen einer Stunde – diese Wahnsinnsaufgabe hat der Künstler und Kunstfilmer Norbert Paffenbichler mit seinem Kinoessay “Invest In Failure” übernommen. Im neuen Teil seines Langzeitprojekts “Notes On Film” gelingt dem 51-Jährigen eine ebenso amüsante wie formell avancierte Annäherung an den Hollywoodstar. Am Montag im Metro Kinokulturhaus im Rahmen der Viennale.

“Invest in Failure”

Der 1984 verstorbene Mason entstammt einer Hollywoodära, in der von Stars meist nicht mehr als zwei Gesichtsausdrücke gefragt waren. Als vornehmer Herr hat der Brite in rund 150 Filmen seine Aura verströmt. Aus diesen hat der oberösterreichische Found-Footage-Meister Pfaffenbichler nun eine Collage in neuer Narration zusammengestellt.

Wie schon bei seiner Auseinandersetzung mit der filmischen Repräsentation von Schauspielern wie Boris Karloff (“A Masque of Madness”) dominiert auch in “Invest In Failure” das Augenzwinkern. Mason schläft in unzähligen Einstellung, erwacht, trinkt und verführt Gespielinnen. Als formale Klammer dienen verschiedene Orte wie Rom, Tokio oder das “Schöne Bayern”, wobei diese ohnedies arbiträre, vermeintlich chronologische Reihung am Ende dezidiert aufgegeben wird, wenn etwa “Florida” den Explosionen und Kriegseindrücken vorbehalten ist.

Im Sinne von Peter Greenaway führt “Invest In Failure” seine Betrachter bewusst in die Irre mit vermeintlichen Ordnungssystemen, die sich als vollkommen willkürlich herausstellen. Und das kann man nur mit Humor nehmen.

Gezeigt wird “Invest In Failure” am 29. Oktober um 18 Uhr und am 6. November im Metro Kinokulturhaus.

“Thunder Road”

Die Viennale ist bekannt für kleine Preziosen abseits hektischen Festivaltreibens. Im Falle von Jim Cummings’ “Thunder Road” ist diese aus einer noch kleineren Preziose erwachsen: “Thunder Road” hieß schon ein Kurzfilm, mit dem der Regisseur 2016 in Sundance die Herzen gewann. Nun hat er das Werk zu einem berührenden Spielfilmdebüt erweitert, der am Montag im Gartenbaukino zu sehen ist.

Der einstige Kurzfilm, ein Zwölfminüter, gedreht in einer einzigen Einstellung, stellt nun gleichsam die Auftaktsequenz von “Thunder Road” dar: Jim Arnaud, Polizist im Mittleren Westen der USA, verabschiedet sich vor der Trauergemeinde am Sarg von seiner Mutter. Er weint, erinnert sich an Geschichten aus seiner Kindheit – und er tanzt zu Ehren seiner Mama deren Lieblingslied, den titelgebenden Song von Bruce Springsteen.

Und bereits hiermit ist die Tonalität des gesamten Filmes ausgebreitet: Absurde Komik und herzzerreißende Tragik liegen nicht nah beieinander, sondern überlagern sich gleichsam, oszillieren im Sekundentakt. Cummings hat dabei nicht nur das Drehbuch verfasst und damit seine erste Langregie geführt, er spielt auch noch die Hauptrolle Jim, die eigentlich gut aussieht, aber im konservativen Polizistenstyling inklusive Schnauzer rustikaler daherkommt. Der Tod seiner Mutter ist dabei nicht der einzige Verlust, mit dem sich der Polizist auseinandersetzen muss.

Jim lebt gerade in Scheidung und hat seine Tochter Crystal (Kendal Farr) drei Tage in der Woche bei sich, bemüht sich, versagt aber dennoch, eine Beziehung zu ihr aufzubauen. Jim liebt die Menschen um sich, aber er kann sich ihnen nicht mitteilen, er hat tiefe Gefühle, doch er schafft es nicht, sie adäquat zu äußern. Das gilt auch für das Verhältnis zu seinem einzigen Freund und Partner Nate (Nican Robinson). Als seine Frau im Scheidungsverfahren schließlich das alleinige Sorgerecht für Crystal beantragt, bricht Jims Welt und der Versuch der aufrechterhaltenen Fassade endgültig in sich zusammen.

Insofern ist Jim Cummings auch eine Parabel auf die Krise der Mittelklassemännlichkeit im Mittleren Westen der USA gelungen, die das Gefühl hat, immer nach den Regeln gespielt zu haben und dennoch nicht das zu bekommen, was ihr zusteht. “Thunder Road” macht sich niemals über seine Charaktere lustig, trivialisiert oder relativiert nicht deren Verlorensein. Er ist aber auch kein eindimensionales Verzweiflungsdrama, sondern zeigt alle Facetten des Lebens. Jim Arnaud ist ein Charakter, um den man weint und mit dem man – und manchmal auch über ihn – lacht.

“Thunder Road” ist am 29. Oktober um 23 Uhr im Gartenbaukino sowie am 1. November um 15.30 Uhr im Stadtkino im Künstlerhaus zu sehen.

“Minding The Gap”

Es beginnt als Sportfilm und endet als erschütterndes Porträt von drei Freunden: Mit “Minding The Gap” hat der junge US-Amerikaner Bing Liu einen höchst persönlichen Film über Skateboarding, familiäre Bindungen und häusliche Gewalt abgeliefert, der den Zuseher immer mehr in seinen Bann zieht.

Rockford im US-Staat Illinois ist nicht gerade das, was man eine blühende Gemeinde nennen kann: Die rund 150.000 Einwohner fassende Stadt hat mit Arbeitslosigkeit und hoher Verbrechensrate zu kämpfen, als junger Mensch scheint man hier auf dem Abstellgleis. Für die Freunde Zack, Keire und Bing zählt aber ohnedies nur eines: ihr Skateboard. Von den Erwachsenen unverstanden, kommen sie ihrem Hobby in jeder freien Minute nach, was Bing in spektakulären Bildern festhält. Kaum eine Straße, die vor ihnen sicher ist.

Glaubt man zunächst, dass der engagierte Regisseur Liu sich mit dieser Fingerübung einfach im dynamischen Sportfilmsektor versuchen will, erkennt man schnell, dass sein Ziel ein anderes ist. Die Skateszenen werden nämlich sukzessive konterkariert vom Blick in das Leben der drei Hauptprotagonisten: Zerrüttete Familien entdeckt man hier, die sich gerade so durchschlagen, wo eine Zurechtweisung schnell mal mit harter Hand durchgesetzt wird und die die Perspektivlosigkeit der jungen Männer keinen Ausweg zu finden scheint.

Die Verschiebung des Fokus geht dabei ebenso langsam wie behutsam vonstatten: Zunächst ist es Zack, der mit seiner Freundin Nina ein Kind erwartet, auf den sich Liu konzentriert und den wir als zwar sorglosen, aber auch dem Alkohol sehr zugeneigten jungen Vater kennenlernen. Mehrfach fällt zu Beginn der Satz “Skateboarden ist für mich mehr Familie als meine Familie”, und das spinnt sich in der Folge auch weiter – wobei der Sport aufgrund alltäglicher Verpflichtungen immer mehr in den Hintergrund rückt.

Schuldige werden in “Minding The Gap” nicht gesucht. Dieser “Gap”, also der Abstand oder die Lücke, zeigt sich auf unterschiedlichste Weise im Leben der drei Freunde. Mit ihrer Leidenschaft für ein Brett mit vier Rollen wurde viel gefüllt, geradezu überdeckt. Aber letztlich bleibt keinem die Beschäftigung mit den eigenen Problemen erspart. Bing Liu hat einen aufwühlenden, ehrlichen und mitreißenden Film gedreht, für den sicherlich auch einiges an Vertrauen nötig war. Auf diese Weise öffnet man sich wohl nur den allerbesten Freunden.”Minding The Gap” läuft bei der Viennale am 29. Oktober um 18.30 Uhr in der Urania sowie am 5. November um 13 Uhr im Stadtkino im Künstlerhaus.

“Double Vies”

Zwei Paare, zwei Affären, viele Gespräche bei Alkohol und Essen. So lautet das Patentrezept für den leichtfüßigen französischen Film, und auch Olivier Assayas setzt in “Doubles Vies” auf die bewährten Zutaten. Zwecks Aktualität würzt er sie mit einer kräftigen Prise digitaler Transformation, die Kultursnobs schon mal in die Krise stürzen kann. Am Ende aber bleibt alles gut in der Bobo-Blase.

Verleger Alain (Guillaume Canet) hat mit Laure (Christa Theret) eine Vertreterin der Millenials vor die Nase gesetzt bekommen, die den honorigen Buch-Verlag für die digitale Welt umkrempeln soll. Das findet der distinguierte Mitt-Vierziger offiziell ganz toll, zur Sicherheit beginnt er aber eine Affäre mit ihr, was Gelegenheit zum ausgiebigen postkoitalen Philosophieren über die Rolle der Kunstkritik in Zeiten von Blogs und Twitter bietet. Alains Gattin Selena (unterfordert: Juliette Binoche) ist Schauspielerin und hadert mit einer öden Serienrolle, aber “Binge-Watching, das ist ja, was heute alle wollen”. Seit Jahren unterhält sie eine außereheliche Beziehung mit dem befreundeten Autor und alternden Schlurf Leonard (Vincent Macaigne).

Der wiederum hantelt sich von Roman zu Roman, indem er seine diversen Affären nur schlecht verschlüsselt als Stoff verbraucht. Missbraucht, wirft ihm ein aktueller Shitstorm vor, von dem er aber nicht einmal etwas mitbekommt. Als sich Alain weigert, sein jüngstes Werk zu publizieren, wirft sich Selene für Leonard in die Bresche – wohl wissend, dass es diesmal sie ist, die als “Inspiration” herhalten musste. Und dann wäre da noch Valerie, Leondards Freundin, die mit anachronistischem Idealismus für einen Politiker arbeitet und ganz genau weiß, dass sie in jeder Hinsicht betrogen wird.

Am Ende sind die Affären Geschichte, Leonard arbeitet gewissenlos wie üblich an der nächsten literarischen Verwertung privater Details und ansonsten ist alles wie gehabt. Dazwischen wurden 107 Minuten lang jede Menge Buzzwords strapaziert: E-Books, Blogs, Twitter, Facebook, Smartphones, Fake News, you name it. Mit dem gut gefüllten Rotweinglas in der Hand sitzt die Pariser Intelligenz in ihren urbanen Landhausküchen, schmiedeeiserne Holzherde inklusive, und beklagt den Verfall der Zivilisation. Assayas legte sein Drehbuch gewollt humorig an, die Witzeleien werden aber mitunter überstrapaziert.

Absage von Claire Denis

Die französische Regisseurin Claire Denis musste einen für Sonntagabend geplanten Auftritt im Rahmen der 56. Viennale aus privaten Gründen kurzfristig absagen, wie das Filmfestival mitteilte. Ein Gespräch mit Denis zu ihrem neuen Film “High Life” im Festivalzentrum falle daher aus. Die erste englischsprachige Arbeit der Regisseurin wird am Abend im Wiener Gartenbaukino gezeigt.

(APA/Red)

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