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100 Jahre Land Vorarlberg: Als das Ländle selbstständig wurde

1918 wehte erstmals das Vorarlberger Wappen in seiner jetzigen Form über dem Ländle.
1918 wehte erstmals das Vorarlberger Wappen in seiner jetzigen Form über dem Ländle. ©VOL.AT/Philipp Steurer/Roland Paulitsch
Seit 1861 als eigenständiges Land unter Tiroler Verwaltung, erklärte sich Vorarlberg am 3. November 1918 für selbstständig. Erster wahrer Landeshauptmann wurde Otto Ender, der später einer der Totengräber der Ersten Republik wurde.
Geschichte Vorarlbergs: Das Entstehen der Vorarlberger

Bis 1861 war Vorarlberg ein Fleckerlteppich von Gerichtsständen, Grafschaften und anderen Fürstentümern, die nach und nach den Habsburgern zufielen. Von hier leitet sich auch der Name des Bundeslandes ab. Die Herrschaften lagen aus Sicht des ehemaligen Habsburger Stammsitzes und dem Heiligen Römischen Reich durch das nach Norden hin offene Rheintal vor dem Arlberg.

Landstände als Wurzel der Zusammengehörigkeit

Ein gemeinsames Bewusstsein entwickelte sich seit dem Mittelalter durch die Landstände. Statt Gemeinden wurden die Untertanen über Gerichte verwaltet, so waren die Hofsteiggemeinden durch das zu Bregenz gehörende Niedergericht Hofsteig zusammengeschlossen. Diese Habsburger Gerichte entsandten “Landstände”, Bürger- und Bauernvertreter, zu den regelmäßigen “Landtagen” um mit dem Adel und kaiserlichen Verwaltung Steuern und Fragen der Landesverteidigung zu besprechen und zu entscheiden.

©Die Landstände Vorarlbergs 1783, hier noch mit den Allgäuer Teilen. – Landesarchiv

Das Ende der bescheidenen Selbstverwaltung

Diese Landstände sorgten für ein erstes Zusammengehörigkeitsgefühl der durch die Habsburger regierten Vorarlberger. Erst mit der bayrischen Herrschaft in den Napoleonischen Kriegen endete dieses System, 1814 kam Vorarlberg erstmals geschlossen in den heutigen Grenzen wieder zu Österreich. Vorarlberg war jedoch nicht selbstständig, sondern ein Teil Tirols und auch die Landstände wurden nicht wiederhergestellt.

Unter dem aufkeimenden Nationalismus gaben die heimischen Eliten dem Ländle über erst den Herkunftsmythos auf das wissenschaftlich umstrittene Volk der Räter, dann bald über die alemannischen Wurzeln eine Basis für ein stärkeres Wir-Gefühl und Abgrenzung zur neuerlichen Fremdherrschaft. Diese identitätsstiftende Alemannenbild als demokratisches freiheitsliebendes Volk mit dem Kennzeichen der Landstände zur Abgrenzung gegenüber der Fremdverwaltung währte bis weit in das 20. Jahrhundert und sorgte 1968 für den “Vorarlberger Historikerstreit” zwischen ideologisierter Geschichtsschreibung und neutralerer Geschichtsforschung.

Vorarlberg als Kronland von Kaisers Gnaden

Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl und die damit verbundene Forderung nach neuerlicher Selbstverwaltung zeigte Früchte: In den Nachwehen des Revolutionsjahres 1848 wurde Vorarlberg im Februarpatent von 1861, der ersten Verfassung des Kaiserreichs, zu einem der 17 österreichischen Kronländern mit eigener Landesverfassung, Versammlung und vom Kaiser ernannten Landeshauptmann – unterstand verwaltungstechnisch jedoch der kaiserlich-königlichen Statthalterei in Innsbruck und war in Verwaltungseinheit mit der Gefürsteten Grafschaft Tirol.

Vorarlberg wird ein freies Land

In den Todesstunden der Donaumonarchie traten die 20 Mitglieder der provisorischen Vorarlberger Landesverfassung am 3. November 1918 im Gasthaus Montfort in Bregenz zusammen. 19 Christsoziale, sechs Deutschfreisinnige und fünf Sozialdemokraten gründeten mit Bezug auf das von US-Präsident Wilson erklärte Selbstbestimmungsrecht der Völker Vorarlberg als “eigenes selbständiges Land im Rahmen des deutsch-österreichischen Staates.” Dieser, in der Vorarlberger Erklärung als förderalistischer Staat vorweggenommenes, Deutschösterreich entstand jedoch erst gut eine Woche später am 12. November. Als dringendste Aufgabe sah die Landesversammlung an, “das Volk Vorarlbergs in dieser Zeit schwerster wirtschaftlicher Not und raschester politischer Entwicklung in Ordnung und Ruhe in eine bessere Zeit des Friedens hinüberzuleiten”.

©Das Landeswappen Vorarlbergs von 1861 bis 1918. - Landesarchiv

Jodok Fink und Otto Ender

Der erste “Landespräsident” und damit selbstständiger Landeshauptmann Vorarlbergs wurde der Christlichsoziale Otto Ender gewählt, der zu Beginn der 1930er-Jahre Bundeskanzler werden sollte. Den Antrag dazu hatte sein Parteikollege Jodok Fink gestellt, der 1919/20 als Vizekanzler unter dem Sozialdemokraten Karl Renner agierte. Die Landesversammlung führte auch das heute übliche Wappen als Landeswappen ein. Ein knappes halbes Jahr später am 27. April 1919 gingen die Christlichsozialen mit 22 Mandaten vor fünf Sozialdemokraten, zwei Deutschfreisinnigen und einem Bauernbündler als Sieger aus den ersten Wahlen zum Vorarlberger Landtag hervor. Otto Ender blieb Landeshauptmann.

Abspaltung von Österreich

Bereits mit der Gründung Vorarlbergs als Teilstaat Österreichs kamen bereits Abspaltungstendenzen auf. Während große Teile Österreichs nach Deutschland blickten, orientierten sich die Vorarlberger eher an die Schweiz. Eine entsprechende Volksabstimmung am 11. Mai 1919 ergab 80 Prozent für Verhandlungen mit der Eidgenossenschaft über einen Anschluss. Daneben gab es auch Initiativen für einen neuen “schwäbischen Staat” als Teil Deutschlands, vor allem die wirtschaftlichen Eliten Vorarlbergs bevorzugten Deutschland vor der Schweiz als neue Heimat.

©Ein Werbeplakat für den Anschluss an die Schweiz. – Landesbibliothek

In der Schweiz gab es ebenfalls Bedenken gegen einen solchen Anschluss Vorarlbergs. Die Schweiz war zu diesem Zeitpunkt noch ein junger Bundesstaat mit fragilen Gleichgewichten, ein katholischer deutschsprachiger Kanton Vorarlberg hätte dieses zerstört und die Integrität der Eidgenossenschaft gefährdet. Der Friedensvertrag von St. Germain vom 10. September verbot schlussendlich der Anschluss Österrreichs an andere Staaten. Ender war zwar bei den Verhandlungen anwesend, der Anschluss an die Schweiz wurde jedoch nicht angesprochen.

©Ausstellung über Otto Ender im Foyer des vorarlberg musems. - VOL.AT/Steurer

Ender als Totengräber der Republik

Ender selbst wird nicht nur zu Beginn der neuen Republik eine tragende Rolle spielen, sondern auch an deren Ende. Der Vorarlberger Christsoziale zweifelte immer an der Demokratiefähigkeit der Österreicher und wollte diese vor sich selbst schützen. Es war daher wenig verwunderlich, dass der ausgebildete Rechtsanwalt und inzwischen wieder Landeshauptmann von Vorarlberg 1933 unter Dollfuß die neue ständische Maiverfassung des Austrofaschismus prägte. Dabei galt er als Vordenker des demokratischen Flügels der Christlichsozialen. Als nach dem Bürgerkrieg 1934 die Maiverfassung in Kraft trat, wehrte er sich gegen Teile der neuen Verfassung, wurde jedoch nicht angehört. Die Republik wurde vom Ständestaat abgelöst.

(VOL.AT, mit Material der APA)

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