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1.Weltkrieg: Heimkehrer verliebte sich „auf den ersten Blick“

Alexander Ernecker (x) mit 4 Kameraden in russischer Kriegsgefangenschaft
Alexander Ernecker (x) mit 4 Kameraden in russischer Kriegsgefangenschaft ©wru
Heimkehr in die „neue Heimat“ Hörbranz. Alexander Ernecker, 1894 in Hörsching (OÖ) geboren und 1914 in russische Gefangenschaft geraten - berichtete in seinem Kriegs(gefangenen)tagebuch detailliert über seine Ankunft in Hörbranz, in seiner „neuen Heimat“, wohin seine Eltern während des Weltkriegs übersiedelt waren.

Nach der Ankunft in Stettin und der Fahrt über Leipzig, wo Ernecker und seine Heimkehrer-Kameraden in beiden Städten herzlich willkommen geheißen und bestens bewirtet worden waren, besuchte er zunächst für zwei Tage seine Verwandten in Hörsching, jedoch: „Obwohl es mir dort überall gut ging, drängte es mich ans Endziel zu kommen, und so verabschiedete ich mich auf ein Wiedersehn. Mein Onkel ging mit mir zur Haltestelle Oftering um 11 h Abends, dort musste er zugleich als Bahnwächter seinen Dienst thun. Um 12 h kam der Zug, ein kurzer Abschied noch von meinem Onkel und es ging über Wels, Salzburg, Innsbruck nach dem mir völlig unbekannten Vorarlberg weiter bis ans Endziel Bregenz, das ich um 4 h Nachmittags erreichte, dort stieg ich aus und erkundigte mich beim Bahnpersonal, wie weit es sei und wo Hörbranz liege, ich konnte es ja nicht wissen, da meine Eltern erst während des Krieges dorthin gezogen sind. Ein Bediensteter las meinen Heimkehrerschein, er gab ihn mir zurück mit der Bemerkung wieder einzusteigen und bis zur nächsten Station Lochau zu fahren.

Kleinkarierter Schaffner

Nach kurzem Aufenthalt setzte sich der Zug in Bewegung, unterwegs von Bregenz nach Lochau kontrollierte ein Schaffner meinen Heimkehrerschein und sagte, ich wäre strafbar, weil der Schein nur nach Bregenz laute, darauf sagte ich: ‚Gut, was bin ich schuldig?‘, bei dieser Forderung ergriff ihn das Gewissen mit den Worten: ‚Behalten sie ihr Geld, ich werde es in Lochau melden.‘ In Lochau stieg ich ohne Schwierigkeiten aus, ohne jemanden zu fragen wo Hörbranz liegt, auf der Straße ging ein Mann, der gerade in das heute mir bekannte  Gasthaus Bäumle wollte, ‚Hallo‘, schrie ich diesen einbeinigen Mann an, ‚bitte sagen sie mir, wo Hörbranz liegt.‘ Der Mann blieb gleich stehen, er frug mich, ob ich Heimkehrer sei, das er mir gleich angesehn haben mochte. ‚Ja‘, sagte ich. ‚Wer sind sie, wenn ich fragen darf?‘ Als er meinen Namen hörte, gab er mir bekannt, dass er meine Eltern gut kenne, mit diesen Worten wollte mich dieser Mann Namens Matt ins Gasthaus mitnehmen, was ich aber abschlug, da ich ja nicht ins Gasthaus sondern zu meinen Eltern wollte. Als ich ihm das Mitgehn verweigerte, kehrte auch er um und ging mit mir bis zum Kloster Alberloch, dort zeigte er mir den Hörbranzer Kirchturm, den weiteren Weg ging ich dann alleine, nachdem ich mit Dank mich von ihm trennte. Bei diesem Alleingang fing das Herz schon an zu pochen, in Gedanken versunken, was werden meine Eltern wohl machen, wenn sie mich wiedersehn, ob sie auch schon ein Schreiben von mir bekommen haben, obwohl ich aus Stettin und Linz von meiner Ankunft schrieb, mit Vorstellungen aller Art kam ich dem Hörbranz immer näher.

Unverständlicher Dialekt

Bei der Wolldeckenfabrik Sannwald blieb ich stehn und horchte, ob der Betrieb lauft, konnte nichts hören, so ging ich weiter. Bei dem ersten Fabrikswohnhaus stand eine frühere Schulkollegin von mir, es war Rosina Langmeier (Weissenberger), die ich aber nicht mehr kannte, sie mochte auch bei meinem Vorbeigehn gedacht haben ‚Was ist denn das für einer?‘ Ich ging dann ohne zu fragen dem Dorfe zu. Alle Leute, die mich sahen, werden gedacht haben, ‚Das ist ein Russe‘, da ich russische Kleidung trug. Im Dorf stand der Bauer Anton Gorbach im Garten, nebenan war damals das Gendarmerie Gebäude, da blieb ich stehn und frug diesen Anton Gorbach um Auskunft, der mich auch gleich verstand, sodass ich erst annahm er sei selbst Russe, als ich ihm nochmal eine Frage stellen wollte, riss nebenan ein Gendarmerie Beamter das Fenster auf und wollte fragen, wohin ich wolle und wer ich sei, inzwischen hat Herr Anton Gorbach das Missverständnis erklärt. Gleich führte mich Herr Gorbach in sein Haus, stellte mir Käse, Brot mit Schnaps & Most hin, von dem ich aber ganz wenig Essen konnte. Auch kam mir dieser Vorarlberger Dialekt ganz unverständlich vor. Am allerliebsten aber wäre es mir gewesen, schon in den Händen meiner Angehörigen zu sein, was mir die Familie Gorbach wohl angesehn hat, sodass sich die Viktoria (Viktor genannt) bereit erklärte, mich zu meinen Eltern zu begleiten. Mit immer mehr zitternden Füssen folgte ich meiner Wegweiserin, junge Leute konnte ich schon springen sehn, die mir alle unbekannt waren. Sie rannten zu meinen Eltern mit der Meldung, dass ich schon hier sei.

„Sohn, mein geliebter Sohn!“

Als man mir zeigte, dort wohnen deine Eltern, fing mein Kopf an zu sausen, eine Nachbarin Namens Fessler Karoline kam aus ihrem Hause, stand mir nahe um mich zu grüssen, in voller Aufregung fiel ich ihr küssend um den Hals, meine Vernunft mochte mich in diesem Moment verlassen haben, ich schob diese Frau auf die Seite, als ich meinen Vater mit aufgehobenen Händen daher springen sah, seine Füsse trugen ihn wohl kaum. Kreideweiß war sein Antlitz, in ein paar Sätzen mit furchtbarer Erregung sprang ich dem lb. Vater in die Arme, den ich schon lange für tot glaubte, da mir nie geschrieben wurde, dass mein Vater noch lebt, da er immer kränklich war. Nichts mehr hörte ich, es war dunkle Nacht um mich. Nicht einmal meine Mutter und Geschwister konnte ich um mich wahrnehmen, nur eines konnte ich ins Gehör vernehmen:

Sohn, mein geliebter Sohn, dass ich dich wieder habe.‘ Nun wurde ich meinem Vater entrissen und meine Mutter presste mich an sie, sodann meine Geschwister, die mich auch nicht loslassen wollten, durch meine Post hat mein Vater natürlich die Kunde, dass ich in den nächsten Tagen ankomme, verbreitet, und so war es wie immer, wenn ein Heimkehrer eintraf, haben sich junge Mädchen organisatorisch zusammengesellt Willkommenskränze zu binden und ein vom Schulleiter gedichtetes Lied zu singen. Ich kam aber etwas zu früh, sodass die Mädels noch an der Arbeit waren, als sie aber hörten, dass ich schon komme, stellten sich die Mädel am Weg dann auf, um das Heimkehrer Lied zu singen. Als sie aber den Empfang meiner Eltern sahen, stockte ihnen allen die Stimme, auch sie mussten dann den Tränen freien Lauf lassen. Während dann meine Lieben mich in die Wohnung führten, vollendeten dann die Mädel noch ihre Kranzarbeit, dann gab es ersten richtigen Empfang der Mädels unter der Haustüre mit dem Lied:

 

Freudig kehrt ein Kriegersmann zurück,

in die Heimat führte ihn das Glück.

Umjubelt trittst du ein ins Elternhaus,

die Liebe wand dir manchen Blumenstrauß.

Du wirst Eltern, Geschwister wiedersehn,

auf Blumenpfaden weitergehn …“

 

„Gefiel mir auf den ersten Blick“

Dieses schöne Lied ist mein Leben lang in Erinnerung geblieben, auch steckte mir ein Mädel ein Rosmarinsträußchen an. Dann wurden die Mädel in die elterliche Wohnung eingeladen zu einer kleinen Heimkehrerfeier. Es war dann mit allerhand Gesellschaftsspielen sehr nett. Das Mädel, das mir ahnungslos das Rosmarinsträußchen ansteckte, gefiel mir auf den ersten Blick und wurde am 23. II. 1922 meine Frau.“

Alexander Ernecker verbrachte 5 Jahre und 3 Monate in russischer Gefangenschaft, heiratete 1 ½ Jahre nach seiner Heimkehr (11. Juni 1920) seine „Liebe auf den ersten Blick“ und war dann 40 Jahre und 4 Monate verheiratet, bis er am 28. Juni 1962 starb.

 

Von diesem und anderen Hörbranzern lesen Sie im Buch „Späte Heimkehr aus Sibirien“ (357 Seiten, 131 Abbildungen). Ein Beitrag zur Geschichte der Vorarlberger Kriegsgefangenen und Heimkehrer des Ersten Weltkriegs. Erhältlich im Vorarlberger Buchhandel sowie beim Bürgerservice der Gemeinde Hörbranz.

(wru)

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