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„Egal was, Hauptsache es beamt weg“

Süchtige sind nicht mehr wählerisch. Sie konsumieren das, was auf dem Drogenmarkt erhältlich ist.
Süchtige sind nicht mehr wählerisch. Sie konsumieren das, was auf dem Drogenmarkt erhältlich ist. ©AP
Schwarzach (VN-hey) - Drogenberatungsstellen erkennen Szenewandel. Medikamente sind gefragter denn je.

Die Suche nach dem „Kick“ ist allen Drogenabhängigen seit jeher gemeinsam. Unter Einfluss der Opiate fliehen die Süchtigen in eine Parallelwelt, die von bunten Farben geprägt ist. Allerdings hat sich das Konsummuster im Laufe der Jahre erheblich verändert. Das erklären die Drogenberatungsstellen in Vorarlberg auf VN-Nachfrage.

Süchtige sind nicht wählerisch

Peter Wieser (43) ist seit 15 Jahren als Drogenhelfer in Feldkirch aktiv. Der Leiter des Caritas-Café musste in dieser Zeit eine erschreckende Entwicklung feststellen: „Früher gab es noch den reinen Heroin­konsumenten. Heute gibt es fast nur noch Vielgiftler, sogenannte Polytoxikomanen.“ Die neue Suchtbewegung zeige sich nicht mehr wählerisch. Die unterschiedlichsten illegalen Substanzen würden konsumiert – je nachdem, was auf dem Drogenmarkt gerade aktuell ist. „Es ist kein Muster mehr zu erkennen. Alles wird nebeneinander und durcheinander zu sich genommen.“

Kein Risikobewusstsein

Zudem fiel dem Experten speziell in den vergangenen drei Jahren auf, dass jüngere Konsumenten gar kein Wissen mehr über die Drogen hätten. Die mögliche Abhängigkeit und die potenziellen Folgeerkrankungen seien überhaupt nicht präsent. Das führt Wieser auch auf die verniedlichenden Szenebegriffe zurück: „Heroin wird ,Schugi genannt. Das klingt ähnlich wie Schoki. Und wer würde damit schon etwas Negatives verbinden. Das Risikobewusstsein ist gänzlich abhandengekommen.“

Unerwünschte Wirkungen

Die schlechte Qualität der Drogen auf dem Schwarzmarkt wird folglich gar nicht erst wahrgenommen. Doch Sozialarbeiterin Alma Orgonyi vom „Do it yourself“ in Bludenz ist sich sicher, dass derzeit viele schlecht gestreckte Substanzen im Ländle kursieren. „Das kann unter Umständen sogar zu schweren Schädigungen führen“, alarmiert die 48-Jährige. Denn ihre Klienten berichten davon, dass „sie gar nicht mehr runter kommen“ oder sich andere, unerwünschte Wirkungen einstellen würden. „Teilweise werden Sub­stanzen von Dealern als Kokain angeboten. Dann stellt sich im Nachhinein aber heraus, dass es gar kein Kokain war.“ Aus diesem Grund musste vor ein paar Tagen ein Süchtiger sogar die Rettung verständigen.

Schnelle Abhängigkeit

Der Gebrauch minderwertiger und gestreckter Drogen hat gleichwohl nicht nur kurzfristige Schäden zur Folge. „Dadurch wird man auch schneller abhängig“, gibt Drogenexperte Bernhard Amann zu Bedenken. Der „Ex und Hopp“-Leiter macht auch einen radikaleren Konsum aus. „Die Droge selbst ist egal geworden. Die Hauptsache ist, dass sie einen weg beamt.“

Süchtig nach Medikamenten

Alle drei Drogenexperten stellten in den vergangenen Jahren einen Trend fest. „Die Medikamentensucht hat die Sucht nach Klassikern wie Heroin und Kokain mittlerweile abgelöst“, sind sich Wieser, Orgonyi und Amann einig. Die sogenannten Benzodiazepine wie Schlaf- und Beruhigungsmittel würden auf dem Schwarzmarkt sehr stark vertrieben. „Von unserer Laufkundschaft kennen ich keinen, der keine Medikamente konsumieren würde“, stellt Amann die drastische Situation dar.

1500 Drogensüchtige im Ländle

Die Süchtigen versprechen sich von der Einnahme angstlösende und entspannende Zustände. Die Nebenwirkungen seien hingegen gravierend, warnt Vorarlbergs Suchtkoordinator Thomas Neubacher. „Große körperliche Schäden können auftreten. Das Gedächtnis wird angegriffen.“ Der Trend ist Neubacher wohlbekannt. Vor allem Heroinabhängige würden auf Valium und Rohypnol ausweichen. Wie viele Vorarlberger derzeit medikamentenabhängig sind, ist nicht bekannt. Schätzungen zufolge sind allerdings 1200 bis 1500 Vorarlberger drogensüchtig.

Polytoxikomanie

Mehrfachabhängigkeit beziehungsweise die gleichzeitige Abhängigkeit von verschiedenen Drogen wird als Polytoxikomanie bezeichnet. Demnach konsumieren Drogensüchtige, je nach Verfügbarkeit, gleichzeitig oder abwechselnd Cannabis, Halluzinogene oder Opiate.

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