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„Bei Meinrad gab es ­alles: Feine Unterhosen, Ferngläser, Pistolen . . .“

St. Gallenkirch - Meinrad Juen aus St. Gallenkirch machte sich als Schmuggler, Schwarzmarkthändler und „Judenschmuggler“ in der Region einen Namen.

Meinrad Juen, der Sohn eines Landwirtes aus St. Gallenkirch, interessierte sich schon früh für zusätzliche Einkommensquellen. Im Jahre 1901 begann er im Alter von 15 Jahren über die Schweizer Grenze zu schmuggeln. Vor dem Ersten Weltkrieg wurden vor allem Zigarren, Tabak, Sacharin und Zucker sowie ungerösteter Kaffee geschmuggelt, da diese Produkte in der Schweiz damals deutlich billiger und in Österreich kaum zu bekommen waren. Trotz der strengen Überwachung der Grenze schaffte es Juen, diese Waren säckeweise über die Grenze zu bringen. Juen hatte Helfer, die er bezahlte. Er betrieb den Schmuggel also richtiggehend als Unternehmer. Doch einige Male wurde der Abenteurer erwischt und eingesperrt. Aber häufig konnte er sich selber freikaufen, manchmal musste ihn auch seine Schwester auslösen.
Nach dem Ersten Weltkrieg nahm er den Handel wieder auf. Die Schmugglerei war für ihn neben dem „Schwarz-Metzgern“ weiterhin eine wichtige Einnahmequelle. Ein Zeitzeuge erinnert sich, wie er als junger Mann bei Juen allerlei Dinge erstand: „Vom Fernglas über feine Unterhosen bis zur Pistole gab es bei Meinrad alles.“ Juen war nicht nur in seinem Heimatdorf, sondern weitum bekannt für sein händlerisches Geschick, seinen Ideenreichtum und seine Freude am Verbotenen. Durch und durch Geschäftsmann, scheute er sich nicht, gegen Gesetze zu verstoßen, um noch größere Gewinne machen zu können.
Sein Sonderstatus im Dorf steigerte sich durch seine Aktionen während des Zweiten Weltkrieges schließlich fast bis zum Heldentum. Viele Flüchtlinge, darunter vor allem Juden und Wehrmachtsdeserteure, versuchten den äußerst schwierigen Weg über die Grenze im Gebirge. Juen als erfahrener Schmuggler und Geschäftsmann spielte bald eine zentrale Rolle in der Unterstützung der Verfolgten bei ihrer Flucht. Insgesamt soll er 42 Juden über die Schweizer Grenze geholfen haben und das trotz gutbewachter Grenze.
Bei den nächtlichen Schlepperaktionen riskierten die Beteiligten Kopf und Kragen. Dementsprechend vorsichtig gingen sie zu Werke. Damit die Grenzwachen nichts hörten, wurden die Schuhe mit Lumpen umwickelt. Wenn ein Stein hinunterkollerte, wurden Schellen zum Einsatz gebracht, damit die Grenzposten glaubten, dass eine Schafherde unterwegs sei. Ein anderer Trick war, offen auf die Wachen zuzugehen, sie abzulenken und Späße mit ihnen zu machen, während die Flüchtlinge heimlich die Grenze passierten. Man kann davon ausgehen, dass Juen sich den Menschenschmuggel gut bezahlen ließ. Juens Nichte Maria Netzer jedenfalls erinnerte sich, dass dieser immer eine dicke Brieftasche bei sich hatte und ihr Onkel für damalige Verhältnisse ein luxuriöses Leben führte. Im Oktober 1942 wurde der „Judenschmuggler“ verhaftet. Auf dem Wege zur Vernehmung gelang ihm aber die Flucht. Seine Geschäftsbeziehungen retteten ihm das Leben. Der mit der Verhaftung beauftragte Gendarm war – wie die meisten Beamten und Offiziere – häufig Kunde bei Juen gewesen, vor allem was die Mangelwaren Butter und Fleisch betraf. Deshalb ließ der Beamte zu, dass der Verhaftete auf dem Weg zur Kommandantur seiner Schwester einen Kurzbesuch abstattete. Von dort flüchtete Juen durch die Hintertür. Er versteckte sich bis zum Kriegsende in St. Gallenkirch bei Freunden und Verwandten.
Die Suche nach einem guten Geschäft war lebenslang seine Leidenschaft. Auch in seinen letzten vier Lebensjahren, den Jahren nach Kriegsende, setzte er unvermittelt mit dem Schwarzhandel fort. Bis nach Bregenz führten ihn seine Handelsbeziehungen, bei denen er nächtens Gerste, Mais und anderes Getreide und Gemüse gegen die Montafoner Milch- und Fleischprodukte eintauschte und so den Schwarzmarkt in St. Gallenkirch bediente. Im Jahre 1949 starb der Rebell – vermutlich an einem Herzinfarkt. Er wurde tot neben seinem Bett aufgefunden.

Quelle: Neue

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