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Dieselskandal: VW-Chef Martin Winterkorn tritt zurück

©dpa
Martin Winterkorn tritt im Skandal um manipulierte Abgaswerte in den USA als Vorstandschef von Volkswagen zurück. "Volkswagen braucht einen Neuanfang - auch personell", erklärte der 68-Jährige am Mittwoch im Anschluss an eine Sitzung des engeren Führungszirkels in Wolfsburg.
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Weitere Autobauer im US-Visier

Er habe daher den Aufsichtsrat des weltgrößten Autobauers gebeten, ihn von seinen Aufgaben zu entbinden. Ein Nachfolger soll in den nächsten Tagen präsentiert werden. Vorschläge zur Neubesetzung des Chefpostens sollten bis zur Sitzung des Aufsichtsrats am Freitag vorliegen, kündigte das Präsidium an.

“Ich bin bestürzt über das, was in den vergangenen Tagen geschehen ist”, sagte Winterkorn. Vor allem sei er fassungslos, dass Verfehlungen dieser Tragweite im Volkswagen-Konzern möglich waren. Der amtierende Aufsichtsratschef Berthold Huber zollte Winterkorn Respekt für seine Leistungen in den vergangenen Jahren an der Spitze des Zwölf-Marken-Konzerns. “Zugleich sind wir entschlossen, einen glaubwürdigen Neuanfang mit aller Entschiedenheit anzupacken”, sagte der frühere IG-Metall-Chef. Winterkorn habe selbst keine Kenntnis von der Manipulation der Abgaswerte gehabt.

Anzeige gegen Verantwortliche

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil, der das Land als VW-Aktionär im Aufsichtsrat vertritt, sagte, das Unternehmen werde gegen die Verantwortlichen Strafanzeige erstatten. “Wir werden innerhalb des Unternehmens aufklären und dafür sorgen, dass die Beteiligten hart belangt werden.” Wolfgang Porsche, Vertreter der Eigentümer-Familien, kündigte an, die Familien Porsche und Piech stünden weiter zu VW: “Wir als größter Aktionär sind auf das Unternehmen stolz und stehen zu dem Unternehmen.”

Der Diesel-Skandal hat inzwischen weltweite Ausmaße angenommen und beschäftigt mehrere Staatsanwaltschaften. Bei internen Untersuchungen wurden bei bis zu elf Millionen Fahrzeugen Unstimmigkeiten in den Messwerten festgestellt. Allein für die Rückrufe und weitere Schritte, um Vertrauen in die VW-Technik zurückzugewinnen, legt der Konzern im dritten Quartal rund 6,5 Milliarden Euro zurück und kappt seine Gewinnziele. Die Aktie verlor massiv an Wert. Seit Bekanntwerden des Abgas-Skandals büßte VW bis zu 30 Mrd. Euro seines Börsenwerts ein.

“Alptraum für Investoren”

Die Analysten der Deutschen Bank bezeichneten die VW-Krise als “Alptraum für Investoren” und stuften die Aktie herab. Die Experten der französischen Bank Societe Generale gehen davon aus, dass die Unsicherheit länger anhalten und der gesamte Automobilsektor für eine Weile als “totes Kapital” gilt. Wirtschaftsverbände fordern eine rasche Aufklärung, weil sie sich um das Ansehen der deutschen Industrie sorgen.

Begonnen hat der Skandal in den USA: Die US-Umweltschutzbehörde EPA hat VW nachgewiesen, bei zahlreichen Diesel-Fahrzeugen die Abgasvorschriften vorsätzlich umgangen zu haben. Dort geht es um fast eine halbe Million Autos. Volkswagen droht deshalb eine Strafe von bis zu 18 Mrd. Dollar (16,14 Mrd. Euro).

In den Milliarden-Rückstellungen sind mögliche Strafzahlungen und Schadensersatzansprüche von Anlegern sowie Kosten für die Rücknahme unverkäuflicher Autos noch nicht enthalten. Das US-Justizministerium hat zudem strafrechtliche Ermittlungen gegen VW eingeleitet. Der Generalstaatsanwalt des Staates New York untersucht den Fall zusammen mit anderen Ermittlungsbehörden. In Braunschweig prüft die Staatsanwaltschaft noch, ob sie gegen Verantwortliche des Konzerns ermitteln soll.

Winterkorn versprach umfassende Aufklärung

Winterkorn hatte noch am Vortag um seinen Posten gekämpft. In einer Videobotschaft versprach er eine umfassende Aufklärung und warb um Vertrauen. Allerdings hatte er da offenbar schon nicht mehr die volle Rückendeckung im Aufsichtsratspräsidium, zu dem Betriebsratschef Bernd Osterloh angehört.

Der promovierte Metallurge war 2007 von der VW-Tochter Audi an die Konzernspitze in Wolfsburg gewechselt. Unter seiner Leitung wuchs VW in den vergangenen Jahren rasant. Der Umsatz verdoppelte sich fast, der Gewinn verdreifachte sich sogar nahezu. 2014 hatte das Auto-Imperium weltweit erstmals mehr als zehn Millionen Fahrzeuge verkauft. Im ersten Halbjahr 2015 verdrängte Volkswagen den japanische Rivalen Toyota von der Weltmarkspitze. Allerdings lag dies vor allem daran, dass der Absatz von VW langsamer schrumpfte als der von Toyota.

Im April hatte Winterkorn den Machtkampf gegen Firmenpatriarch Ferdinand Piech gewonnen. Danach ging er daran, den Konzern umzubauen. Die zwölf Marken könnten Insidern zufolge in vier Gruppen zusammengefasst werden, um den Konzern flexibler zu machen sollen.

Neuer Konzernchef in den nächsten Tagen

Nach dem Rücktritt von Volkswagen-Chef Martin Winterkorn will der Konzern in den nächsten Tagen einen Nachfolger präsentieren. Vorschläge zur personellen Neubesetzung sollten bis zur Sitzung des Aufsichtsrats am kommenden Freitag vorliegen, teilte das Präsidium des Gremiums im Anschluss an eine Sitzung am Mittwoch mit.

Die Mitglieder des engeren Führungszirkels um Betriebsratschef Bernd Osterloh, Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil und Wolfgang Porsche als Sprecher der Familien Porsche und Piech erklärten zudem, es sei in den nächsten Tagen mit weiteren personellen Konsequenzen zu rechnen. Die internen Untersuchungen liefen auf Hochtouren.

“Alle Beteiligten an diesen Vorgängen, die einen unermesslichen Schaden für Volkswagen angerichtet haben, werden mit aller Konsequenz belangt”, hieß es in der Erklärung. Zudem soll ein Sonderausschuss eingerichtet werden, um die weitere Aufklärung voranzutreiben. Der Konzern stellte darüber hinaus Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig. Damit will der Konzern das durch die Abgasmanipulationen verlorene Vertrauen zurückgewinnen.

Dobrindt: Fordern keinen Winterkorn-Rücktritt

Der VW-Abgas-Skandal: Was seit Freitag geschah

Die Dieselabgas-Affäre bei VW erschüttert seit dem Wochenende die gesamte Autobranche. Die Entwicklung im Überblick:

Freitag, 18. September: Die US-Umweltbehörde EPA teilt in Washington mit, Volkswagen habe eine spezielle Software eingesetzt, um die Messung des Schadstoffausstoßes bei Abgastests zu manipulieren.
Samstag, 19. September: Die Deutsche Umwelthilfe fordert angesichts der VW-Manipulationsvorwürfe ein Fahrverbot für Dieselautos. Das Problem bestehe nicht nur in den USA, sondern noch stärker in Europa.
Sonntag, 20. September: VW-Chef Martin Winterkorn kündigt eine umfassende Aufklärung an. Später räumt ein Konzernsprecher ein, dass es zu Unregelmäßigkeiten gekommen ist.
Montag, 21. September: Volkswagen stoppt den Verkauf von Dieselwagen mit Vierzylinder-Motoren in den USA. Betroffen sind Modelle der Kernmarke VW und der Tochter Audi. Die Vorzugsaktie von VW bricht zeitweise um mehr als ein Fünftel ein. Niedersachsens Ministerpräsident und VW-Aufseher Stephan Weil sagt: “Eine Manipulation von Emissionstests ist völlig inakzeptabel.” In den USA entschuldigt sich VW-Regionalchef Michael Horn für den Skandal mit den Worten: “Wir haben Mist gebaut.”
Dienstag, 22. September: VW gibt eine Gewinnwarnung heraus und kündigt Milliarden-Rückstellungen an. Die Aktie der Wolfsburger rauscht weiter in den Keller. Am Nachmittag veröffentlicht VW ein Video, in dem Winterkorn um Entschuldigung bittet. Von einem Rücktritt, über den zuvor bereits spekuliert wurde, ist darin nicht die Rede. Am Abend treffen sich Mitglieder des Aufsichtsratspräsidiums zu Beratungen.
Mittwoch, 23. September: Das fünfköpfige Präsidium des Aufsichtsrats setzt sein Treffen fort. Über eine Rückrufaktion für die von der Abgas-Affäre betroffenen Dieselwagen hat VW noch nicht entschieden – auch genaue Informationen über die fraglichen Modelle außerhalb der USA gibt es nicht. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig prüft die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen VW. Anlass dafür seien auch bereits eingegangene Strafanzeigen von Bürgern, heißt es.

Diesel-Abgasvorschriften in den USA strenger als in Europa

Die Abgas-Affäre von Volkswagen wirft die Frage auf, warum der Autobauer sich überhaupt zu den Manipulationen hat hinreißen lassen. Sind die Vorschriften in den USA so streng? Tatsächlich sind Grenzwerte für den Abgas-Ausstoß bei Diesel-Autos – dem Klimasünder-Image Amerikas zum Trotz – strikter als in Europa.

Der Grenzwert für Stickstoffoxide liegt für leichte Nutzfahrzeuge (das schließt normale Pkw ein) in der EU derzeit bei 80 Milligramm pro Kilometer. Der von der US-Umweltschutzbehörde EPA bundesweit geforderte Wert liegt im Schnitt bei 70 Milligramm pro Meile und ist damit strenger – denn eine Meile ist rund 1,6 Kilometer lang.

Der Vergleich ist allerdings schwierig, weil die Kontrollsysteme nicht einheitlich sind. Zudem können in den USA auch die Vorschriften auf bundesstaatlicher Ebene abweichen. Kalifornien beispielsweise, das im Zentrum der VW-Affäre steht, gilt international als Vorreiter mit besonders strikten Abgasregeln.

Fest steht: Die Ermittler kamen dem VW-Skandal überhaupt erst auf die Schliche, weil Forscher getestet hatten, ob die Wagen den besonders strengen US-Regeln standhalten würden – und so Verdacht schöpften. In den USA gilt es als wahrscheinlich, dass VW die Abgas-Manipulation vorgenommen hat, um auf dem Markt überhaupt erst die Zulassung für die entsprechenden Modelle erhalten zu können. (dpa/APA/red)

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