Kühnel: Nein. Aber das war noch nie leicht. Österreich hat stets zu den eher kritischeren Ländern gehört. Als ich angefangen habe, war es für mich kein Heimspiel, Europa in Österreich zu kommunizieren. Mit dem Ausbruch der Krise ist das noch schwieriger geworden. Ich erkenne aber jetzt eine Umkehr – die Menschen sehen, dass der Ausweg aus der Krise nur gemeinsam funktionieren kann. Kein Land wird das alleine schaffen. Die Erkenntnis wird immer klarer, dass es als Antwort auf die Krise mehr Europa braucht – und nicht weniger.
Kühnel: Nein. Sie ist nicht gescheitert. Aber sie durchläuft eine besonders schwierige Phase, die schwierigste seit ihrem Bestehen. Aber die Union hat immer Krisen gebraucht, um sich weiter zu bewegen. Jetzt stehen wir wieder an einer Wegscheide – und haben die Frage zu beantworten, ob wir bereit sind, einen Schritt in eine tiefere europäische Integration hineinzugehen.
Kühnel: Da widerspreche ich Ihnen. Die Krise, die wir haben, ist keine Krise des Euro oder der Union als solche. Da wir aber wirtschaftlich extrem verwoben sind, kann man das nicht isoliert betrachten. Die Krise in einem Euro-Land hat Auswirkungen auf die gesamte Euro-zone und auch auf die Union. Wir können deswegen diese Probleme nicht zur Seite legen. Wir sind mitgefangen in dieser Sache – und können auch nur gemeinsam raus.
Kühnel: Die haben sich über Jahrzehnte in eine Situation gebracht, aus der sie mit eigener Anstrengung nicht mehr herauskommen. Der Schuldenstand, der aufgebaut worden ist, und die Strukturschwächen in der Wirtschaft können nicht von heute auf morgen eliminiert werden. Das braucht Zeit. Um diesen Ländern diese Zeit zu geben, braucht es europäisches Handeln.
Kühnel: Wir sind ein Verbund von 27 Mitgliedstaaten. Man muss jeden Beschluss der Kommission abstimmen. Da sind wir in der Tat oft langsam. Zuletzt haben wir aber eine Reihe an Maßnahmen beschlossen. Wir haben Rettungsschirme im Ausmaß von einer Billion Euro geschnürt. Wir haben beschlossen, dass wir Defizitsünder stärker kontrollieren und zur Verantwortung ziehen können. Wir haben beschlossen, dass sich das Bankensystem stärker mit Eigenkapital ausstatten muss. Wir haben beschlossen, dass gewisse schädliche Praktiken auf dem Finanzmarkt besser reguliert werden. Jetzt ist es Aufgabe unserer Mitgliedsländer und anderer, diese Beschlüsse umzusetzen. Wenn das passiert, können wir wieder die Oberhand gewinnen.
Kühnel: Vorarlberg gehört zu den Paradebeispielen, wie man als kleine Region gut bestehen kann. Vorarlberg ist wirtschafts- und beschäftigungspolitisch sehr gut aufgestellt und hat die Möglichkeiten, die der europäische Wirtschaftsraum bietet, auch sehr gut genutzt.
Kühnel: Es gibt eine Bundesländerverbindungsstelle, es gibt regelmäßig Missionen aus Vorarlberg nach Brüssel. Zudem sitzen momentan Vorarlberger in einflussreichen Positionen in der Kommission. Ich trau mich zu wetten, dass Vorarlberg von allen Regionen Europas im Moment zu den einflussreichsten gehört. Ich habe trotzdem ein eigenes Büro in Brüssel immer befürwortet. Es ist gut, wenn man sich für Interessen des Landes direkt vor Ort einbringen kann.
ZUR PERSON
Mag. Richard Nikolaus Kühnel Leiter der Vertretung der europäischen Kommission in Wien Geboren: 3. Juni 1969 in Graz Ausbildung: Jus-Studium in Graz, Semester in Lyon, Florenz und Princeton Laufbahn: U.a.: Zehn Jahre im diplomatischen Dienst, 2004 bis 2008 im Kabinett der EU-Kommissarin Benita Ferrero-Waldner, seit 1. September 2008 Leiter der Vertretung der europäischen Kommission in Wien Familie: verheiratet
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