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Türkei-Deal: Fronten zwischen Gegnern und Befürwortern verhärtet

Nach wie vor keine Einigkeit.
Nach wie vor keine Einigkeit. ©AP
Vor dem am Donnerstagnachmittag beginnenden EU-Gipfel hat EU-Parlamentspräsident Martin Schulz die Verhandlungen mit der Türkei in der Flüchtlingskrise verteidigt. Die Kritik aus einigen EU-Ländern, die Union verhalte sich mit ihrer angestrebten Abmachung mit Ankara zur Begrenzung des Flüchtlingszuzugs rechtswidrig, wies er zurück.

“Wir können nichts mit der Türkei vereinbaren, was nicht mit internationalem Recht vereinbar ist”, sagte Schulz am Donnerstag im ZDF-“Morgenmagazin”. Er kritisierte, dass rund 22 EU-Staaten sich gegen die Aufnahme von Flüchtlingen wehren und gleichzeitig einige davon einen Deal mit der Türkei als rechtswidrig ansehen: “Einen solchen Zynismus, sich selbst nicht an europäisches Recht zu halten, anschließend aber zu kritisieren, dass wir mit der Türkei verhandeln, (…) so etwas habe ich noch nicht erlebt.”

Schulz verteidigte den Vorschlag, illegal in die EU gelangte Flüchtlinge in die Türkei zurückzuschicken und dafür von der Türkei Flüchtlinge zu übernehmen. Damit solle die Botschaft an die Flüchtlinge gegeben werden: “Wer regulär kommt, hat größere Chancen und schnellere Möglichkeiten, als jemand, der zu den Schleppern geht.” Und er betonte: “Es wird keine Massenzurückweisungen geben”, sondern es gehe darum, dass die Flüchtlinge in der Türkei registriert und von dort verteilt werden. Die Einzelfallprüfung werde von der Türkei durchgeführt.

Zur von der Türkei angestrebten Visaliberalisierung sagte er: “Die Türkei muss hier 72 Gesetze im eigenen Parlament durchbringen, damit wir hier überhaupt verhandeln können.” Auf die Frage, ob die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel scheitern werde, wenn der EU-Gipfel keine Lösung in der Flüchtlingskrise bringt, antwortete Schulz mit einem “Nein”.

Tusk: EU-Türkei-Abkommen muss für alle EU-Staaten akzeptabel sein

Das geplante Abkommen zwischen der Europäischen Union und der Türkei zur Bewältigung der Flüchtlingskrise muss nach den Worten von EU-Ratspräsident Donald Tusk für alle 28 Mitgliedsländer akzeptabel sein. Dies gelte unabhängig von der Größe des Unionslandes, sagte Tusk am Donnerstag, offenbar in Hinblick auf Zypern.

Die zypriotische Regierung hat mit einer Blockade des Abkommens gedroht, sollte sich die Türkei nicht Richtung Anerkennung des EU-Mitgliedslandes bewegen. Tusk erwartete bei den am Nachmittag beginnenden Beratungen auf dem EU-Gipfel in Brüssel schwierige Gespräche. “Ich bin vorsichtig optimistisch, aber ehrlich gesagt bin ich eher vorsichtig als optimistisch.”

FPÖ fordert Veto

Der FPÖ-Delegationsleiter im EU-Parlament, Harald Vilimsky, fordert ein österreichisches Veto gegen den geplanten Türkei-Deal am heute, Donnerstag, beginnenden EU-Gipfel: “Die Gewährung der Visafreiheit für Türken wäre ein Signal an Hunderttausende Menschen muslimischen Glaubens, sich in Richtung Europa aufzumachen und ein Katalysator für die weitere Abschaffung des christlich geprägten Europas.”

Ein Entgegenkommen bei der Eröffnung neuer EU-Beitrittskapitel oder gar Visa-Erleichterungen für Türken stehen für Vilimsky laut einer Presseaussendung nicht zur Diskussion. Vilimsky plädierte zudem für eine “europäische Lösung ohne Merkel” und dafür mit “willigen Staaten, die den Migrationsstrom nach Europa endlich zur Gänze zum Versiegen bringen wollen”. “Sowohl Merkels Nebendiplomatie mit Ankara als auch die türkischen Erpressungsversuche müssen ihr jähes Ende finden. Mit der Türkei ist kein Deal zu machen”, erklärte er.

Mikl-Leitner bleibt skeptisch

Auch Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) wiederholte unmittelbar vor dem EU-Gipfel ihre Skepsis an einem Flüchtlingsabkommen mit der Türkei. “Natürlich müssen wir mit der Türkei zusammenarbeiten, aber nicht um jeden Preis”, sagte Mikl-Leitner am Donnerstag im ZDF-“Morgenmagazin”. Die Türkei dürfe nach Einschränkungen der Pressefreiheit nicht mit Verhandlungen für eine Visa-Liberalisierung belohnt werden. “Wir müssen uns die Frage stellen, ob wir uns noch ernst nehmen.” Die EU dürfe bei einem Deal mit Ankara nicht die eigenen Werte über Bord werfen, meint die Innenministerin.

Daher forderte Mikl-Leitner bei den Verhandlungen zur Visa-Liberalisierung eine “Kündigungsklausel”. Die EU müsse die Vereinbarungen “rasch kündigen” können, wenn die Türkei ihre Verpflichtungen nicht einhalte. “Wir dürfen uns nicht in die volle Abhängigkeit mit der Türkei begeben”, sagte die Politikerin dem ZDF.

Juncker optimistisch für EU-Türkei-Deal

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat sich vor dem EU-Gipfel optimistisch für einen Deal mit der Türkei in der Flüchtlingskrise gezeigt. Juncker bekräftigte Donnerstagmittag auch die Notwendigkeit einer europäischen Lösung. Ohne Österreich namentlich zu nennen, sagte er, “nationale Alleingänge sind auf Dauer nicht zielführend”.

Der Kommissionspräsident wies Bedenken zurück, dass die türkischen Behörden nicht genug gegen Schmuggler tun würden. “Im Jänner und Februar haben sie 750 Schlepper festgenommen. 3.500 waren es in den Monaten davor. Zu sagen, die türkischen Behörden sind nicht fähig, das zu tun, ist einfach nicht richtig. Außerdem, warum sollte künftig ein Flüchtling 1.500 Dollar für ein Boot bezahlen, wo die Chance sehr groß ist, einfach in die Türkei zurückgeschickt zu werden”.

Rumänien gegen Pflicht zur Übernahme aus Türkei

Kurz vor dem Flüchtlingsgipfel hat sich Rumäniens Staatspräsident Klaus Johannis (Iohannis) gegen eine Verpflichtung der EU-Staaten zur Aufnahme von Flüchtlingen ausgesprochen. Der Türkei müsse aber geholfen werden, zur Lösung der Flüchtlingskrise beizutragen, sagte Iohannis am Donnerstag in Bukarest vor dem Abflug zum EU-Gipfel nach Brüssel.

Eine “Umsiedlung” von Flüchtlingen mit Aussicht auf Asyl aus der Türkei nach Europa dürfe nur unter Beachtung der EU-Gesetze und “auf freiwilliger Basis” erfolgen, sagte Iohannis. Mit “Freiwilligkeit” meinte der Präsident, dass EU-Staaten nicht zur Aufnahme von Flüchtlingen gezwungen werden sollen, wie seine Sprecherin Dana Barsan auf Nachfrage der dpa bestätigte.

Grybauskaite skeptisch über EU-Türkei-Deal

Die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite hat sich vor dem EU-Gipfel skeptisch über einen Deal mit der Türkei zur Reduktion der Flüchtlingsströme gezeigt. “Eine Vereinbarung ist möglich, aber wie sie funktioniert, ist eine große Frage”.

Außerdem wären wir “mit einem solchen Vorschlag eine Geisel unserer selbst”. Derzeit suche man noch nach der Erarbeitung eines “schwierigen Mechanismus”. Zu den syrischen Flüchtlingen, die eins zu eins von der Türkei aus Griechenland zurückgenommen werden und dann wiederum in die EU übernommen werden sollten, sagte Grybauskaite, “zuerst akzeptiert man, dass sie zurückgenommen werden, dann wieder dass sie aufgeteilt werden. Das ist sehr schwierig umzusetzen. Wir stehen am Rande des internationalen Rechts”.

Ungarn: Einigung mit Türkei zur Lösung nicht nötig

Eine Einigung mit der Türkei ist nach Meinung der ungarischen Regierung zur Lösung der Flüchtlingskrise nicht nötig, weil sich die Sperrung der Balkan-Route als effizient erwiesen habe. “Der Balkan hat die EU geschützt”, sagte Janos Lazar, Kanzleiminister des Ministerpräsidenten Viktor Orban am Donnerstag in Budapest.

Nun gelte es vor allem, Griechenland zu helfen, mit den Flüchtlingen fertig zu werden. Nicht ein Abkommen EU-Türkei, sondern der Grenzschutz halte die Migranten auf, so Lazar. Orban wollte kurz vor dem EU-Flüchtlingsgipfel in Brüssel separat mit den anderen Regierungschefs der Visegrad-Staaten aus Polen, Tschechien und der Slowakei zusammenkommen, berichtete die staatliche ungarische Nachrichtenagentur MTI. Diese Staaten teilen die ungarische Position in der Flüchtlingsfrage.

Lazar bekräftigte, dass Ungarn am liebsten keinen einzigen Flüchtling aufnehmen wolle. Man sei dafür, dass eine Verteilung von asylberechtigten Flüchtlingen aus der Türkei in Europa nur “auf freiwilliger Basis” erfolgen dürfe – also nicht gegen den Willen der betreffenden EU-Staaten.

EU-Gipfel stellt Türkei Visabefreiung Ende Juni in Aussicht

Der EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag will der Türkei eine Visabefreiung für türkische Staatsbürger “spätestens bis Ende Juni 2016” in Aussicht stellen. Der Fahrplan zur Visabefreiung soll entsprechend beschleunigt werden. Die Türkei müsse noch Schritte setzen, um alle verbleibenden Anforderungen zu erfüllen, heißt in dem Entwurf des EU-Türkei-Gipfels.

Dies soll es der EU-Kommission erlauben, bis Ende April einen entsprechenden Gesetzesvorschlag zu machen. Die Visabefreiung ab 1. Juni ist eine der türkischen Kernforderungen für den Deal mit der EU. Die EU-Kommission hat bereits am Mittwoch erklärt, dass sie Ende April einen Vorschlag vorlegen wird, wenn die Türkei alle Bedingungen erfüllt. Bisher habe die Türkei 35 “Benchmarks” von insgesamt 72 erfüllt, erklärte die EU-Kommission. Eine konkrete zeitliche Zusage zur Beschleunigung der EU-Beitrittsverhandlungen ist in dem Gipfelentwurf nicht enthalten.

Die EU-Staats- und Regierungschefs hoffen bei dem EU-Gipfel in Brüssel auf einen Durchbruch in den Verhandlungen mit der Türkei angesichts der Flüchtlingskrise. Ankara hat angeboten, alle neu auf den griechischen Inseln angekommenen Flüchtlinge zurückzunehmen. Im Gegenzug soll die EU für jeden so abgeschobenen Syrer einen anderen legal aufnehmen. Ziel ist es, das Geschäft krimineller Schlepper zu zerstören. Die Türkei fordert zudem eine Beschleunigung der geplanten Visa-Erleichterungen für türkische Bürger und zusätzliche Hilfszahlungen.

(APA)

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