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Starker Franken würgt Konjunktur ab: Schweizer Wirtschaft "macht Vollbremsung"

Starker Franken: Schweizer Wirtschaft stagnierte im ersten Halbjahr
Starker Franken: Schweizer Wirtschaft stagnierte im ersten Halbjahr ©AP
Ein halbes Jahr nach dem Ende des Euro-Mindestkurses zeigt sich: Der starke Franken hat die Konjunktur abgewürgt. Zwar entging die Schweizer Wirtschaft entgegen allen Erwartungen haarscharf einer Rezession. Sie bewegte sich aber auch nicht vom Fleck. Das Bruttoinlandprodukt (BIP) stagnierte.

Um null Prozent legte das BIP im ersten Halbjahr zu, wie am Freitag publizierte Zahlen des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) zeigen.

Schweiz rutscht haarscharf an Rezession vorbei

Das ist das schwächste Ergebnis seit der letzten Rezession im Jahr 2009. “Die Schweizer Wirtschaft machte eine Vollbremsung”, sagte Eric Scheidegger, Leiter der Direktion für Wirtschaftspolitik beim Seco. Einer Rezession entging die Schweiz diesmal allerdings. Technisch gesehen sprechen Ökonomen dann von einer Rezession, wenn das BIP in zwei Quartalen in Folge sinkt. Das traf nicht ein. Nach einem Rückgang um 0,2 Prozent im ersten Quartal stieg das BIP im zweiten Quartal um den genau gleichen Wert – um 0,2 Prozent.

Dass die Schweiz von einer Rezession verschont bleibt, hatte kaum einer erwartet. Die Analysten prognostizierten für das zweite Quartal einen erneuten Rückgang der Wirtschaftsleistung. Die KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich beispielsweise rechnete mit einem Minus von 0,5 Prozent.

Frankenschock keinesfalls überwunden

Obwohl es nun ein leichtes Plus ist, dürfe der Frankenschock keinesfalls als überwunden angesehen werden, schreibt das Konjunkturforschungsinstitut Bakbasel in einem Kommentar. Die Daten seien weniger eindeutig, als auf den ersten Blick scheine.

Schweizer Industrie als große Überraschung

Dass das BIP im zweiten Quartal leicht zulegte, liegt zu einem Großteil an der Industrie. “Die Industrie ist die große Überraschung”, sagte KOF-Direktor Jan-Egbert Sturm der Nachrichtenagentur sda. Erwartet wurde, dass gerade die exportorientierte Industrie stark unter dem Währungsschock leiden würde. Denn durch den starken Franken werden ihre Produkte im Ausland teurer.

Profit aus leichtem Aufschwung in Europa und Amerika

Doch das Gegenteil ist passiert: “Die Industrie konnte mehr Waren ins Ausland verfrachten”, sagte Sturm. Sie habe es geschafft, vom leichten wirtschaftlichen Aufschwung in Europa und Amerika zu profitieren. Um mit den ausländischen Konkurrenten mithalten zu können, senkte sie allerdings die Preise. Ob sich die Industrie den Exporterfolg dauerhaft zu den tieferen Preisen erkaufen könne, bleibe abzuwarten, erklärte Sturm.

Vor allem die Uhren- und Schmuckbranche, die Hersteller von Präzisionsinstrumenten sowie die Chemie- und Pharmaindustrie konnten mehr Waren ins Ausland verkaufen. Wird der Transithandel ausgeklammert, stiegen die Warenexporte insgesamt.

Überraschend: Importe brechen ein

Doch nicht nur die höheren Exporte stützten das BIP, sondern auch ein weiterer überraschender Effekt: Die Importe nämlich brachen um 3,6 Prozent ein. Einen so deutlichen Rückgang habe es noch selten gegeben, hält das Seco in seiner Mitteilung fest.

“Gemäß Lehrbuch würde man das Gegenteil erwarten”

Dass trotz des starken Franken weniger im Ausland eingekauft wird, macht aus ökonomischer Sicht keinen Sinn. “Gemäß Lehrbuch würde man das Gegenteil erwarten”, sagte Sturm. Denn mit der Frankenaufwertung werden die ausländischen Produkte billiger. “An den Konsumenten kann es auf jeden Fall nicht liegen”, meinte Sturm. Diese würden noch immer gerne und oft im Ausland einkaufen.

Es müssen folglich die Firmen sein, die weniger Produkte aus dem Ausland beziehen. Über die Gründe können die Ökonomen nur spekulieren: Vermutlich seien die Firmen im Moment zurückhaltend mit dem Kauf von Vorprodukten, schätzte Scheidegger vom Seco. Sturm von der KOF sagte, die Unternehmen versuchten dadurch möglicherweise die Lagerkosten zu senken.

Außenhandel und Konsum verhindern Rezession

Nicht nur der Außenhandel verhinderte den Rutsch in die Rezession. Es wurde auch wieder etwas mehr investiert und konsumiert. So gaben die Schweizer etwa für Nahrungsmittel, Kleider, die Gesundheit oder Kultur mehr Geld aus. Gespart wurde dagegen im Bereich Wohnen sowie bei Restaurant- und Hotelbesuchen.

Kein Aufschwung in Sicht

Von einem Aufschwung im zweiten Halbjahr gehen die Ökonomen nicht aus. Bakbasel erwartet, dass die Entwicklung verhalten verläuft. Auch Scheidegger vom Seco sagte, die Situation bleibe schwierig. Der Franken sei weiterhin stark. Außerdem bereite die Entwicklung in China Sorgen. “Eine mögliche Abkühlung der Weltkonjunktur würde die Schweizer Wirtschaft zusätzlich belasten”, sagte er.

Schweizer Notenbank will Franken weiter schwächen

Nach Einschätzung der Schweizerischen Nationalbank (SNB) indes ist der Schweizer Franken immer noch deutlich überbewertet. Das Zusammenspiel von Negativ-Zinsen und möglichen Interventionen am Devisenmarkt dürfte aber über die Zeit für eine Abschwächung der Währung sorgen, sagte SNB-Präsident Thomas Jordan am Freitag laut Redetext im amerikanischen Jackson Hole.

Verbraucherpreise in der Schweiz auf tiefstem Stand seit 2007

Der Franken hatte nach der Aufgabe der Euro-Kursuntergrenze von 1,20 Franken im Jänner massiv zugelegt. Zu den Verbraucherpreisen, die im Juli auf den tiefsten Stand seit 2007 gefallen waren, sagte Jordan, negative Teuerungsraten könnten bei stark anziehenden Währungen nicht immer vermieden werden. Mittelfristig dürfte die Geldpolitik aber Preisstabilität sicherstellen können. (APA/sda)

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