Die Opposition hat die umstrittene Pkw-Maut vor der geplanten Verabschiedung an diesem Freitag im Bundestag scharf attackiert. Die Linkspartei warf Union und SPD vor, ein europarechtswidriges Projekt zu beschließen.
Bürokratiemonster als Nullsummenspiel
“Sie nehmen billigend in Kauf, dass dem Ansehen der Bundesrepublik in Europa Schaden zugefügt wird”, sagte Linke-Verkehrsexperte Herbert Behrens der Deutschen Presse-Agentur. Der Haushaltsexperte der Grünen, Sven-Christian Kindler, kritisierte: “Hier wird im Hauruck-Verfahren ein Bürokratiemonster geschaffen, das aufgrund der immensen Verwaltungskosten und der geringen Einnahmen am Ende ein Nullsummenspiel ist.”
Infrastrukturabgabe 2016
Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) will die sogenannte Infrastrukturabgabe 2016 auf Autobahnen und Bundesstraßen einführen. Fahrer aus dem Ausland sollen nur für Autobahnen zahlen. Nach Abzug der Kosten sollen jährlich 500 Millionen Euro für Investitionen in die Verkehrswege übrig bleiben. Beschlossen werden sollen zugleich Reduzierungen bei der Kfz-Steuer. Damit sollen inländische Autobesitzer voll wieder für die Maut entlastet werden. An den Einnahmen und der Zulässigkeit nach EU-Recht gibt es weiter Zweifel.
Linke-Politiker Behrens warnte, der erste dänische Autofahrer, der sich weigere, die Maut zu zahlen und deshalb mit einem Bußgeld belegt werde, könne eine gerichtliche Prüfung des Gesetzes auslösen. EU-Recht verbietet eine Benachteiligung wegen der Nationalität.
Lkw-Maut auf weiteren Bundesstraßen und für kleinere Laster
Unmittelbar vor der Verabschiedung der Pkw-Maut hat der Bundestag noch eine Ausweitung der Lkw-Maut gebilligt. Mit dem Parlamentsbeschluss von Donnerstagabend werden ab Juli weitere 1100 Kilometer vierspuriger Bundesstraßen mautpflichtig. Von Oktober an gilt die Lkw-Maut zudem nicht mehr nur für “Zwölftonner”, sondern bereits für Lastwagen mit einem zulässigen Gesamtgewicht von 7,5 Tonnen. Diese Maßnahmen sollen jährlich rund 380 Millionen Euro in die Kassen des Bundes spülen.
Die seit 2005 auf Autobahnen erhobene Lkw-Maut wird seit dem Jahr 2012 bereits auf 1200 Kilometern Bundesstraße fällig. Sie bringt dem Staat bisher etwa 4,5 Milliarden Euro pro Jahr. Bis zum Sommer des nächsten Jahres soll das Kabinett für 2018 zudem eine Ausdehnung der Lkw-Maut auf alle Bundesstraßen beschließen. Einen entsprechenden Entschließungsantrag soll der Bundestag am Freitag parallel zur Pkw-Maut beschließen. Die SPD hatte dies zur Bedingung dafür gemacht, dass die Pkw-Maut noch in dieser Woche vom Parlament gebilligt wird.
Kindler: EuGH wird Maut kippen
Kindler sagte der Deutschen Presse-Agentur: “Der Europäische Gerichtshof wird die Maut wieder kippen, die Kfz-Steuer ist aber dann schon gesenkt.” Dies würde ein Loch von mehr als drei Milliarden Euro in den Haushalt reißen. Die Grünen wollten daher beantragen, dass beide Gesetze sofort außer Kraft gesetzt werden, wenn der Gerichtshof feststelle, dass diese nicht europarechtskonform seien.
Dobrindt: Pkw-Maut ist europarechtskonform
Dobrindt (CSU) hingegen wies Einwände gegen die umstrittene Pkw-Maut zurück. “Sie ist europarechtskonform, glauben Sie es endlich”, sagte er am Freitag in der Debatte vor der Verabschiedung der Maut-Gesetze Bundestag. “Wer Bundesfernstraßen mitnutzt, der zahlt mit.” Dies sei das Prinzip der Gleichbehandlung. Dobrindt bekräftigte, dass nach Abzug der Kosten jährlich 500 Millionen Euro für Verkehrsinvestitionen übrig bleiben sollen. Der Minister will die sogenannte Infrastrukturabgabe 2016 auf Autobahnen und Bundesstraßen einführen. Inländische Autobesitzer sollen über eine geringere Kfz-Steuer für die Maut entlastet werden.
Von ADAC bis Zweitwagen: Ein Maut-ABC
Die lange, hitzige Diskussion über die Pkw-Maut hat einige neue Begriffe geprägt. Eine Übersicht für Inländer und Nicht-Inländer.
Einige markante Schlagworte in einem Maut-ABC:
A – wie ADAC: Der Autofahrerclub ist ein hartnäckiger Mautgegner, war aber ausgerechnet in der heißen Phase wegen einer Manipulationsaffäre in der Defensive. Die Zweifel sind jedoch “nicht geringer geworden”.
B – wie Betreiber: Die eigentliche Mauterhebung soll ein privater Anbieter übernehmen. Geplante jährliche Vergütung: 161,1 Millionen Euro. Gerechnet wird mit einem regen Bewerberinteresse.
C – wie CSU: Für CSU-Chef Horst Seehofer geht es um nicht weniger als den Beweis christsozialer Durchsetzungskraft in Berlin – erst recht, weil die Bayern praktisch die einzigen Maut-Fans waren und blieben.
D – wie Ding: Überzeugte Europäer wie Wolfgang Schäuble (CDU) ließen ihre Skepsis an der Maut-Stoßrichtung erkennen. Dann müsse also jeder im Elsass “so ein Ding” haben, grantelte der CDU-Finanzminister.
E – wie EuGH: Der Europäische Gerichtshof dürfte ins Spiel kommen, erwartet nicht nur die Opposition. EU-Recht verbietet Benachteiligung von Ausländern. Klagen könnten auch Autofahrer aus Nachbarländern.
F – wie Flensburg: Das Kraftfahrt-Bundesamt hoch im Norden soll den Jahrestarif der Maut für die 44 Millionen im Inland zugelassenen Pkw berechnen und speichern. “Bürokratiemonster”, sagen die Grünen.
G – wie Gerechtigkeitslücke: Für die CSU ist es das Kernargument – zu beenden, dass deutsche Urlauber etwa in Italien oder Frankreich Maut auf Autobahnen zahlen, Pkw-Fahrer von dort hierzulande aber nicht.
H – wie Haushalt: Aus normalen Steuermitteln soll Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) rund drei Milliarden Euro weniger für seinen Etat bekommen – genauso viel will er von Inländern an Maut einnehmen.
I – wie Infrastrukturabgabe: Nachdem im CSU-Wahlkampf gern einmal bierzelttauglich von “Ausländermaut” die Rede war, klingt der offizielle Name sachlich-nüchtern – und bezahlen müssen sie alle.
J – wie Dionys Jobst: Der frühere Bundestagsabgeordnete gilt als ein CSU-Mautpionier. Es war 1984, als er forderte, Ausländer sollten an den Grenzübergängen eine Autobahnplakette kaufen: für 60 Mark.
K – wie Kanzlerin: Für Angela Merkel ist es eine heikle Sache: “Mit mir wird es keine Pkw-Maut geben”, sagte die CDU-Chefin im Wahlkampf 2013. Nun akzeptiert sie die Maut – wenn Deutsche nicht draufzahlen.
L – wie Lkw-Maut: Die seit zehn Jahren fällige Nutzungsgebühr für schwere Laster ist die große, beliebte Schwester der Pkw-Maut. Sie bringt zuverlässig Milliarden ein und soll daher ausgedehnt werden.
M – wie Mautminister: Für den Ex-CSU-General war es eine Mission mit ungewissem Ausgang. “Ein Alexander Dobrindt scheitert nicht”, sagte Seehofer voraus. Über die politischen Hürden ist das Projekt jetzt.
N – wie Nicht-Inländer: Nach dem CSU-Wahlkampf änderten sich manche Töne, um keinen Argwohn zu schüren. Selbst Merkel sprach schon einmal leicht schräg von der “Maut für nicht-inländische Kfz-Fahrzeuge”.
O – wie Ostern: “Wenn Weihnachten und Ostern zusammengelegt wird, dann kommt auch die Maut”, lästerte SPD-Mann Ralf Stegner 2013. Parteichef Sigmar Gabriel hielt aber eine schützende Hand darüber.
P – wie Prozent: Demonstrative Zuversicht gehört dazu bei einem so brisanten Projekt. “Die Maut kommt zu über 100 Prozent”, formulierte Dobrindt. Oder auch: “Bei der Maut bin ich zu 151 Prozent überzeugt.”
Q – wie Quadratur des Kreises: “Eine Maut, die nur Ausländer belastet und trotzdem Geld in die Kasse spült, gleicht einer Quadratur des Kreises”, warnte die Linke. Viele in CDU und SPD glauben das auch.
R – wie Rachemaut: “Wir wollen keine Rachemaut gegenüber Österreich oder eine Rachemaut gegenüber der Schweiz”, mahnte CDU-Mann Oliver Wittke im Herbst. Nachbarländer könnten sich revanchieren – per EuGH.
S – wie Stammtisch: “Diese Dobrindt-Maut ist eine in Gesetzesform gegossene Stammtischparole”, wetterte Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter. Das heiße: “Ausländerfeindlich. Rechtswidrig. Nutzlos.”
T – wie Tagesgeschäftsreisen: In Dobrindts Einnahmeprognose dient ein hoher Anteil der Fahrten von Pkw aus dem Ausland diesem Zweck. Andere Wissenschaftler bezweifeln das und erwarten viel geringere Einnahmen.
U – wie Umweg: Über den Vermittlungsausschuss könnte der Bundesrat die konkrete Maut-Umsetzung auf einen Umweg schicken und verzögern. Ganz verhindern können die Länder das Gesetz des Bundes aber nicht.
V – wie Vignette: Viele sprechen immer noch von Vignetten, doch eine Marke zum Aufkleben soll es gar nicht geben. Offiziell ist die Rede von “E-Vignetten”, aber Maut-Erkennungszeichen ist das Nummernschild.
W – wie Wette: “Wollen wir wetten?” fragte ein SPD-Politiker bei den Koalitionsgesprächen. “Wenn der Wetteinsatz ein Pkw-“Pickerl” für ausländische Autofahrer ist, gehe ich die Wette mit”, sagte Dobrindt.
X – wie Tag X: Starten soll die Maut 2016. Doch wann genau, ist ungewiss. Seine Ansage aus dem Frühjahr 2014 wiederholt Dobrindt nicht mehr: “Am 1. Januar 2016 wird die Pkw-Maut scharf gestellt.”
Y – wie Y-Kennzeichen: Fahrzeuge der Bundeswehr sollen keine Maut bezahlen müssen. Befreit sind daneben etwa auch Wagen von Polizei und Feuerwehr, von Botschaften und Straßenreinigungsfahrzeuge.
Z – wie Zweitwagen: Wenn eine Familie neben einem großen Auto noch einen Kleinwagen hat und damit nie auf Autobahnen und Bundesstraßen fährt, kann sie die Maut zurückverlangen – muss das aber nachweisen. (dpa/red)
Du hast einen Hinweis für uns? Oder einen Insider-Tipp, was bei dir in der Gegend gerade passiert? Dann melde dich bei uns, damit wir darüber berichten können.
Wir gehen allen Hinweisen nach, die wir erhalten. Und damit wir schon einen Vorgeschmack und einen guten Überblick bekommen, freuen wir uns über Fotos, Videos oder Texte. Einfach das Formular unten ausfüllen und schon landet dein Tipp bei uns in der Redaktion.
Alternativ kannst du uns direkt über WhatsApp kontaktieren: Zum WhatsApp Chat
Herzlichen Dank für deine Zusendung.