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Paris-Terror: "Meinen Hass bekommt Ihr nicht"

Französischer Journalist, dessen Frau getötet wurde, bewegt mit Brief.
Französischer Journalist, dessen Frau getötet wurde, bewegt mit Brief. ©EPA
Es ist kein Schreiben des Hasses, sondern ein Aufruf zum Widerstand - und er bewegt viele Tausend Menschen: Der Brief des französischen Journalisten Antoine Leiris richtet sich an die Mörder seiner Frau, die im Kugelhagel der Terroristen im Pariser Musikclub "Bataclan" getötet wurde. Seit Tagen kursiert der Brief im Internet, Zeitungen veröffentlichten ihn.

“Meinen Hass bekommt Ihr nicht”, beginnt Leiris seinen Aufruf, den er am Montagnachmittag veröffentlichte. Gemeint sind die Terroristen, die im “Bataclan” 89 Menschen töteten und Hunderte schwer verletzten. Nur wenige Stunden vor der Veröffentlichung des Briefes hatte Leiris die Leiche seiner Frau Helene Muyal-Leiris identifizieren müssen.

Hass wäre Geschenk an die Terroristen

Dennoch empfinde er keinen Hass, schreibt Leiris. Ein solches Gefühl wäre lediglich ein Geschenk an die Terroristen, das er ihnen nicht geben wolle. “Sicher, Ihr habt es genau darauf angelegt – doch auf diesen Hass mit Wut zu antworten, das hieße, sich derselben Ignoranz zu ergeben, die aus Euch das gemacht hat, was Ihr seid.”

“Ihr habt verloren.”

Mit dem Angriff hätten die Terroristen erreichen wollen, dass er Angst habe, seine Mitbürger mit Argwohn betrachte und seine Freiheit opfere. Jedoch: “Ihr habt verloren.” Er wolle sich nicht verändern, sondern genau der bleiben, der er immer war – Vater, Ehemann und Radiojournalist, schreibt Leiris.

Vor zwölf Jahren hatte der Journalist seine Frau kennengelernt. Er arbeitete beim Fernsehsender “France Bleu”, Helene war Maskenbildnerin. Beide liebten Kunst, Literatur und die Musik, wie Leiris im Interview eines französischen Radiosenders sagte. Vor 17 Monaten kam Sohn Melvil auf die Welt.

“Vous n’aurez pas ma haine” Vendredi soir vous avez volé la vie d’un être d’exception, l’amour de ma vie, la mère de…

Posted by Antoine Leiris on Monday, November 16, 2015

Zwei Tage und Nächte hatte Antoine Leiris gehofft, dass seine Frau das Massaker im Pariser Musikclub “Bataclan” überlebt hatte – vergeblich. Warum geht Antoine Leiris mit seiner Trauer in die Öffentlichkeit? Er wolle sich nicht von ihr überwältigen lassen, schreibt er. “Wir sind jetzt nur noch zu zweit, mein Sohn und ich. Aber wir sind stärker als alle Armeen dieser Welt.” Seine Botschaft an die IS-Terroristen: “Sein ganzes Leben wird dieser kleine Bub ein Affront für euch sein, indem er glücklich und frei sein wird.” Mehr als 200.000 Mal wurde der Brief bisher auf Facebook geteilt. (APA)

Übersetzung

“Ihr bekommt meinen Hass nicht.

Freitagabend habt ihr das Leben eines außerordentlichen Wesens geraubt, das der Liebe meines Lebens, der Mutter meines Kindes, aber ihr bekommt meinen Hass nicht. Ich weiß nicht, wer ihr seid und ich will es nicht wissen, ihr seid tote Seelen. Wenn dieser Gott, für den ihr blind tötet, uns nach seinem Bild geschaffen hat, dann muss jede Kugel, die meine Frau getroffen hat, eine Wunde in sein Herz gerissen haben.

Nein, ich werde euch nicht das Geschenk machen, euch zu hassen. Auch wenn ihr euch sehr darum bemüht habt; auf den Hass mit Wut zu antworten würde bedeuten, derselben Ignoranz nachzugeben, die euch zu dem gemacht hat, was ihr seid. Ihr wollt, dass ich Angst habe, dass ich meine Mitbürger mit misstrauischem Blick betrachte, dass ich meine Freiheit der Sicherheit opfere. Verloren. Der Spieler ist noch im Spiel.

Ich habe sie heute morgen gesehen. Endlich, nach Nächten und Tagen des Wartens. Sie war genauso schön wie am Freitagabend, als sie ausging, genauso schön wie damals, als ich mich vor mehr als zwölf Jahren hoffnungslos in sie verliebte. Selbstverständlich frisst mich der Kummer auf, diesen kleinen Sieg gestehe ich euch zu, aber er wird von kurzer Dauer sein. Ich weiß, dass sie uns jeden Tag begleiten wird und dass wir uns in jenem Paradies der freien Seelen wiedersehen werden, zu dem ihr niemals Zutritt erhalten werdet.

Wir sind zwei, mein Sohn und ich, aber wir sind stärker als alle Armeen dieser Erde. Ich will euch jetzt keine Zeit mehr opfern, ich muss mich um Melvil kümmern, der gerade von seinem Mittagsschlaf aufwacht. Er ist gerade mal 17 Monate alt; er wird seinen Brei essen wie jeden Tag, dann werden wir gemeinsam spielen wie jeden Tag und sein ganzes Leben wird dieser kleine Junge euch beleidigen, indem er glücklich und frei ist. Denn nein, auch seinen Hass werdet ihr nicht bekommen.”

(Übersetzt von Lena Jakat/SZ)

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