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"Wir können BP nicht trauen"

Was seit einem Monat befürchtet wurde, ist jetzt zu besichtigen: Zäher, schmieriger Ölschlick verklebt die Marschen im Mississippi-Delta. Mit jedem Tag, an dem das Leck im Golf von Mexiko nicht gestopft werden kann, wachsen Frust und Zorn auf den Ölmulti BP, aber auch auf die US-Regierung. Die verlangt nun nachdrücklich mehr Transparenz von dem Konzern, nachdem offensichtlich wurde, dass mehr Öl ausläuft als von BP bislang angegeben.
Ölleck größer als bisher vermutet
Protestaktion von Greenpeace
Große Ölmengen erreichten Küste Louisianas
BP will Quelle am Wochenende schließen
Ölpest an US-Küste

“Dort in der Marsch ist alles tot”, berichtet Billy Nungesser, der Gemeindevorsteher von Plaquemines Parish in Louisiana, nach einer Besichtigung. Bisher waren nur Teerklumpen und Ölschlieren angelandet. Doch jetzt dringt stinkende Schmiere in die empfindlichen Ökosysteme mit ihrer artenreichen Tierwelt ein. “Das zerreißt einem das Herz”, seufzt die Umweltschützerin Emily Guidry beim Anblick des verklebten Schilfs. “Ich glaub es nicht.”

Ärger macht sich breit. Landes- und Kommunalbehörden werfen der Bundesregierung vor, sie unternehme zu wenig. Präsident Barack Obama kritisiert die Aufsichtsbehörde für Offshore-Bohrungen. Die oppositionellen Republikaner finden, Obamas Regierung und die Küstenwache hätten mehr tun müssen. Am Pranger steht auch BP: Nicht allein wegen der Explosion auf der Bohrinsel “Deepwater Horizon” am 20. April, die elf Arbeiter das Leben kostete, sondern weil es erst vor wenigen Tagen gelang, einen Teil des ausströmenden Öls aufzufangen.

Live übertragene Videoaufnahmen von der Unglücksstelle, die BP auf Druck der Politik ins Netz stellte, dürften den Zorn noch anheizen. Sie zeigen, dass neben dem Absaugrohr immer noch mächtige Öl- und Gasschwaden entweichen. Die Website des Parlamentsausschusses, auf der die Aufnahmen zu sehen sind, brach unter dem Ansturm von Neugierigen prompt zusammen.

Mindestens 23 Millionen Liter Öl sind seit dem Unglück ausgetreten. Immer mehr Wissenschafter vermuten indes, dass es tatsächlich viel mehr ist. Die in das Leck eingeführte Absaugvorrichtung fängt nach Angaben eines BP-Sprechers täglich 800.000 Liter auf. Das entspricht genau der Menge, die sich nach bisherigen Schätzungen des Unternehmens und der Küstenwache insgesamt ins Meer ergießt. Wie viel neben dem Saugrohr noch austritt, wollte der Sprecher nicht sagen.

Auch die Meeresschutzbehörde NOAA wollte keine Vermutungen anstellen und lässt ein Expertenteam eine neue Schätzung erarbeiten. “Ich glaube, wir begreifen jetzt allmählich, dass wir BP nicht trauen können”, sagt der demokratische Abgeordnete Edward Markey. “BP hat alle Glaubwürdigkeit verloren. (…) Es ist klar, das sie die tatsächlichen Folgen des Unglücks verschleiert haben.”

Washington macht nun Druck: BP wurde aufgefordert, mehr Informationen und Messdaten offenzulegen. Zudem wies die Umweltschutzbehörde EPA das Unternehmen an, weniger giftige Chemikalien einzusetzen als das bisherige Mittel, das die Ölschwaden auflösen und sie unter der Meeresoberfläche halten soll.

Möglicherweise schon am Sonntag soll versucht werden, das Leck mit einer “Top Kill” genannten Methode abzudichten: Dabei wird zäher Schlamm in das Bohrloch gepresst, das dann mit Zement versiegelt wird. Klappt auch das nicht, wird unter anderem ein “Junk Shot” (Müll-Schuss) erwogen. Dabei würden Gegenstände wie Golfbälle, Reifenteile und verknotete Seile mit Hochdruck in das Bohrloch geschossen in der Hoffnung, dass sie es verstopfen.

“Wir haben jetzt ein Szenario, wo man unter anderem dadurch Abhilfe schaffen will, dass man den Ozean in Brand steckt, giftige Chemikalien ins Wasser schüttet, und den Ölfluss mit Müll und Menschenhaar zu stoppen versucht”, schrieb Michael Brune, Geschäftsführer der Umweltschutzorganisation Sierra Club, an Obama und forderte ein Moratorium für die Genehmigung neuer Offshore-Bohrungen. “Wenn das der Notfallplan ist, dann müssen wir darüber nachdenken, ob wir das Risiko überhaupt eingehen wollen.”

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