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Verärgerung in der Türkei über USA wächst

Türkei, USA - Als die Luftüberwachung der türkischen Armee die Eindringlinge bemerkte, lösten die Offiziere sofort Alarm aus. Die Eindringlinge waren Flugzeuge der USA.

Voll bewaffnet stiegen türkische Kampfflugzeuge von ihrem Stützpunkt im südostanatolischen Diyarbakir auf und rasten den vermeintlichen Angreifern entgegen. Die machten sich schnell über die nahe Grenze in den Irak davon – es waren Flugzeuge des türkischen Verbündeten und NATO-Partners USA.

Ganze vier Minuten lang waren zwei amerikanische Kampfjets vom Typ F-16 am vergangenen Donnerstag ohne Erlaubnis am Himmel über der Südosttürkei unterwegs. Als sie umdrehten, waren sie gerade einmal zweieinhalb Kilometer tief im türkischen Luftraum. Ein Versehen, sagt Washington. Zwischen zwei engen Partnern sollte der Fall damit eigentlich erledigt sein, schließlich passierte bei dem Ausflug der aus dem Irak kommenden Flugzeuge weiter nichts.

Der Türkei reicht der 240 Sekunden lange Vorfall aber, um eine neue Krise in ihren Beziehungen zu Washington zu riskieren. Das Außenamt in Ankara übergab der dortigen US-Botschaft eine Protestnote und Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan drohte den Amerikanern in einem Fernsehinterview sogar mit Konsequenzen. Die Türkei werde die Sache nicht auf sich beruhen lassen, wenn es noch einmal eine solche Luftraumverletzung geben sollte, warnte Erdogan. Was sein Land in diesem Fall tun will, sagte er nicht.

Hinter der scharfen Reaktion der Türken auf die Vier-Minuten-Lappalie stecken ein chronisch gewordenes Misstrauen der Türken gegenüber der amerikanischen Irak-Politik sowie der gerade begonnene Parlamentswahlkampf in der Türkei. Beide Faktoren bilden zusammen eine hoch explosive Mischung: Ein türkischer Einmarsch in den Irak wird wahrscheinlicher.

Große Teile der türkischen Öffentlichkeit werten den Abstecher der amerikanischen F-16 nicht als Pilotenfehler, sondern als gezielte Warnung an Ankara. Die USA sind schließlich dagegen, dass türkische Soldaten in den Nordirak einmarschieren, um dort gegen die Lager der PKK-Kurdenrebellen vorzugehen. Seit Wochen dringt die türkische Armee auf eine solche Intervention, die von Erdogan bisher abgelehnt wird. Lange hätten die Amerikaner dem türkischen Truppenaufmarsch an der Grenze nur zugeschaut, jetzt hätten sie ihre Jets geschickt, kommentierten die Zeitungen. „Nordirak gehört uns, passt bloß auf“, lautet die Botschaft der Amerikaner nach Meinung des Ex-Diplomaten Sükrü Elekdag.

Doch zur Rücksichtnahme auf die USA ist in der Türkei derzeit kaum jemand aufgelegt. Erst vor einer Woche starben in Ankara sechs Menschen bei einem Selbstmordanschlag, für den die PKK verantwortlich gemacht wird. Fast jeden Tag meldet die Armee neue Verluste im Kampf gegen die Rebellen in Südostanatolien; auch am Mittwoch starb wieder ein türkischer Soldat. Aus Sicht der Türkei ist die neue Stärke der PKK eine direkte Folge der Untätigkeit von USA und irakischen Kurden: Nur weil sich die PKK imn Nordirak sicher fühlen könne, sei sie stark genug, um in der Türkei wieder verstärkt anzugreifen. Ankaras Forderungen nach einem militärischen Vorgehen der USA oder der Kurden gegen die PKK in Nordirak verhallen ungehört.

Für die türkische Opposition bietet die Lage eine willkommene Gelegenheit, die Regierung zu attackieren. Erdogan solle als Hasenfuß hingestellt werden, weil er gegen einen Irak-Einmarsch sei, hieß es in der Zeitung „Radikal“ am Mittwoch. Zudem wird dem Ministerpräsident vorgeworfen, bei den USA nichts ausrichten zu können. Die Amerikaner sagten immer wieder, sie hätten leider keine Truppen, um im Nordirak gegen die PKK vorzugehen, höhnte der Oppositionspolitiker Onur Öymen im Parlament. „Aber sie haben offenbar genug Flugzeuge, um sie in die Türkei zu schicken.“

Gleichzeitig machen Gerüchte die Runde, hinter der Eskalation in Südostanatolien stünden Erdogan-Gegner, die die Wahlen am 22. Juli verhindern wollten, oder der türkische Generalstab, der den Weg für eine Militärintervention im Irak freimachen wolle. Selbst ohne die in der Türkei immer sehr beliebten Verschwörungstheorien ist die Lage an der türkisch-irakischen Grenze gefährlich genug. Steigende Verluste der eigenen Armee und weitere Anschläge der PKK könnten Erdogan dazu zwingen, doch noch grünes Licht für eine Irak-Intervention zu geben. Die türkische Armee schickt jedenfalls immer neue Truppen an die Grenze.

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