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Psychologe: Nicht mehr Bildungsverlierer unter Buben als früher

©APA
Mädchen haben die Burschen bei der Bildung zwar abgehängt. Von den Buben generell als Bildungsverlierern zu sprechen, ist laut dem deutschen Bildungspsychologen Tim Rohrmann jedoch eine "falsche Generalisierung".

Für einen Teil der Buben treffe das Prädikat wohl zu, das sei allerdings nichts Neues. Der Anteil an Schulversagern und -verweigerern sei unter diesen schon immer höher gewesen, durch die verstärkte Bildungsteilnahme der Mädchen in den vergangenen Jahrzehnten seien diese Defizite lediglich sichtbarer geworden, meinte der Experte im Gespräch mit der APA.

Rohrmann sieht zwei Phänomene, aufgrund derer Buben seit einigen Jahren der Stempel “Problemgruppe” aufgedrückt wird: Ein Teil von ihnen gehört tatsächlich zu den Bildungsverlierern, was, wie er hervorhebt, aber nicht mit dem Geschlecht zusammenhänge. Es sei vielmehr erklärbar durch zusätzliche Faktoren wie die Herkunft aus bildungsfernen Milieus oder Migrationshintergrund.

Der zweite Grund ist laut dem Forscher, der an der Uni Innsbruck am Institut für Erziehungswissenschaften an einem Projekt zum Thema “Männer in der pädagogischen Arbeit mit Kindern” arbeitet, die Änderung des Systems: “Die Leistungserwartungen haben sich verändert und tendenziell kommen die Mädchen in bestimmten Schulformen anscheinend besser damit zurecht.” Dabei könne auch mitspielen, dass Mädchen aufgrund ihrer typischen Sozialisierung öfter in die Rolle des “braven” Schülers passen.

Eine spezielle Förderung nach Geschlechtern findet Rohrmann generell problematisch. So hätten etwa beim Lesen viele Buben Probleme, es gebe aber auch viele Spitzenleser – eine generelle Leseförderung von Buben würde demnach wenig Sinn machen. “Nach dem Gießkannenprinzip zu fördern bringt nichts.” Man brauche einen genauen Blick und müsse zusätzlich berücksichtigen, ob die Schüler Migrationshintergrund haben, aus bildungsfernen Schichten kommen, etc..

Eine zeitweise Aufhebung der Koedukation, wie sie manche Bildungsexperten zur Behebung geschlechterspezifischer Lerndefizite fordern, ist aus Rohrmanns Sicht ein zweischneidiges Schwert. Der Nutzen sei bisher nicht bestätigt, Experimente und Studien hätten völlig unterschiedliche Ergebnisse gebracht. Auf der Plusseite steht laut Rohrmann, dass der Unterricht in gleichgeschlechtlichen Gruppen ohne Frage in einer Art Schutzraum stattfinde, gleichzeitig bestehe dabei aber die Gefahr, dass Unterschiede zwischen den Geschlechtern oder gar Klischees verstärkt werden.

Gerade beim gemischten Unterricht würden allerdings ebenfalls bestimmte Verhaltensweisen verstärkt, die eigentlich durch die Koedukation wegfallen sollten. So würden etwa Mädchen bei technischen Fragen dem anderen Geschlecht vorschnell das Feld überlassen, während Buben bei als weiblich geltenden Kriterien (Schönschreiben etc.) mangels Hoffnung auf Erfolg das Handtuch werfen.

Hinweise darauf, dass die Mädchenförderung auf Kosten der Buben gegangen sein könnte, sieht Rohrmann nicht. “Schließlich haben die meisten Mädchen davon nicht einmal direkt etwas mitbekommen.”

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