Cavusoglu erhielt Glückwünsche aus Ankara – und auch er selbst reagierte völlig überwältigt: Nie hätte er sich als Bauernsohn träumen lassen, eines Tages an der Spitze des Europarats mit seinen 47 Mitgliedsländern und 800 Millionen Bürgern zu stehen, sagte er.
Als Bub half der heute 41-Jährige seinem Vater, einem langjährigen Bürgermeister, auf dessen Bauernhof im südtürkischen Alanya. Schon damals habe er den Traum gehabt, Politiker zu werden, berichtet Cavusoglu jetzt. Doch der Weg war lang. Er führte über die Universität in Ankara, ein Stipendium in den USA und einen von der EU bezahlten Aufenthalt an der angesehenen London School of Economics schließlich an die Seite von Recep Tayyip Erdogan, den heutigen Ministerpräsidenten der Türkei.
Vor neun Jahren gehörte Cavusoglu zusammen mit Erdogan zu den Mitbegründern der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP), die bei den Wahlen im November 2002 in Ankara an die Macht kam. Cavusoglu vertritt seitdem im Parlament der türkischen Hauptstadt einen Wahlkreis der Provinz Antalya, zu der sein Heimatort Alanya gehört. Seine Weltoffenheit ist unter türkischen Politikern selten. Cavusoglu spreche Englisch, Deutsch, Japanisch und Russisch, berichteten die Zeitungen am Dienstag.
Mit seiner Auslandserfahrung und seinem Außenpolitik- und Wirtschaftsstudium war Cavusoglu innerhalb der AKP für einen außenpolitischen Parteiposten prädestiniert. Unter anderem führt er die türkisch-amerikanische Parlamentariergruppe. Doch sein Schwerpunkt war bald der Europarat, wo er der türkischen Delegation der Parlamentarischen Versammlung vorsitzt.
Seine Wahl zum Präsidenten der Versammlung ist nicht nur deshalb bemerkenswert, weil er der erste Türke in diesem Amt ist, sondern auch, weil er als Kandidat der Einhelligkeit ins neue Amt kam. Er war der einzige Bewerber für den Präsidentenposten; die Fraktionen hatten sich auf ihn geeinigt. Anders als in vielen anderen Fällen, in der die Türkei in der europäischen Politik eher polarisiert als eint, steht Cavusoglu für Konsens.
“Heute fühlen wir uns noch europäischer”, sagte Cavusoglu der türkischen Zeitung “Sabah”. Seine Wahl zeige, wie weit die Demokratisierung der Türkei vorangekommen sei. Auch die Debatte über die Frage, ob die Türkei zu Europa gehöre oder nicht, sei nun wohl beendet, sagte der neue Präsident.
Viele in Europa werden das anders sehen. Auch wird Cavusoglu als Repräsentant des Europarats die internationalen Szenerie nicht immer aus derselben Warte aus betrachten wie sein alter Weggefährte Erdogan: Beim Thema Zypern etwa, im Berg-Karabach-Konflikt oder bei der Frage der Menschenrechte in der Türkei dürfte Cavusoglu hin und wieder andere Positionen einnehmen als die Regierung in Ankara. Doch bis der politische Alltag beginnt, genießen Cavusoglu und die Türkei ein lange nicht mehr erlebtes Europa-Gefühl, das von der Zeitung “Taraf” in einer Schlagzeile auf den Punkt gebracht wurde: “Endlich sind wir Europäer.”
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