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Lage in Libyen eskaliert - Hunderte Tote

In Libyen nehmen die Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften immer dramatischere Formen an. Unterschiedlichen Angaben zufolge gab es bei den Protesten gegen die Regierung von Staatschef Muammar Gaddafi in den vergangenen Tagen zwischen rund 80 und mehr als 200 Tote.
Österreich verlegt Lufttransporter
Zusammenstöße in Libyen
Tote durch Scharfschützen
Arabische Welt in Aufruhr
Brutale Gewalt in Libyen
Unterschiedliche Angaben von Toten

Der Revolutionsführer ließ Augenzeugen zufolge am Wochenende seine Sicherheitskräfte auf die Bevölkerung schießen und sogar Trauermärsche angreifen. Für Demokratie und soziale Reformen wurde auch in Marokko, Algerien, dem Jemen, in Bahrain, dem Oman und Kuwait sowie im Kleinstaat Dschibuti am Horn von Afrika demonstriert.

Nach Berechnungen der Nachrichtenagentur AFP auf Basis libyscher Quellen kamen in den vergangenen fünf Tagen bei den Protesten in Libyen landesweit mindestens 77 Menschen ums Leben. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) sprach von mindestens 104 seit Dienstag getöteten Menschen. Laut der Website “Libya al-Youm” ist die Zahl der Toten mit 208 doppelt so hoch. Als dramatisch wurde die Lage in Benghazi (Bengasi) beschrieben, wo es am Samstag schwere Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten gab. Der arabische Sender “Al-Jazeera” berichtete am Sonntag von bürgerkriegsähnlichen Zuständen in der Stadt.

Bewohnern von Benghazi zufolge schossen Scharfschützen der Sicherheitskräfte aus einem befestigten Gelände heraus auf Demonstranten. Die italienische Nachrichtenagentur ANSA zitierte einen Augenzeugen, der die Stadt nach den tagelangen Unruhen als “völlig außer Kontrolle” beschrieb. Bewohnern zufolge wurden allmählich die Lebensmittel knapp. “Dutzende wurden getötet, nicht 15, Dutzende. Wir befinden und mitten in einem Massaker”, sagte ein Bürger. Seinen Worten zufolge wurden die Demonstranten erschossen, als sie versuchten, in die Kommandozentrale der Sicherheitskräfte einzudringen.

Ein anderer Bewohner der Stadt sagte, die Sicherheitskräfte hätten sich auf das Gelände der Einsatzleitung zurückgezogen. Ein Italiener berichtete der Agentur ANSA aus der Stadt, dass Regierungs- und Verwaltungsgebäude sowie eine Bank niedergebrannt worden seien. “Die Rebellen haben geplündert und alles zerstört”, sagte der Augenzeuge. Nirgendwo sei Polizei zu sehen. Eine Gruppe muslimischer Geistlicher forderte die Sicherheitskräfte auf, dem Töten ein Ende zu setzen. “Stoppt das Massaker jetzt”, hieß es in ihrem Appell. Zuvor waren erneut Tausende Menschen im rund 1.000 Kilometer östlich der Hauptstadt Tripolis gelegenen Benghazi auf die Straße gegangen, um gegen Gaddafi zu demonstrieren.

Eine unabhängige Bestätigung für die Angaben gab es nicht. Ausländische Reporter sind nicht zugelassen, einheimischen Journalisten wurde die Reise nach Benghazi verwehrt, wo die Unterstützung für Gaddafi deutlich geringer als in anderen Landesteilen ist. Die Regierung äußerte sich nicht zu den Gewaltausbrüchen. Es sind die schwersten Unruhen in Gaddafis langjähriger Herrschaft. Wegen der Medienzensur ist das Ausmaß der Proteste aber nur schwer abzuschätzen. Zudem waren die Mobilfunkverbindungen in das Zentrum des Protests im Osten des Landes häufig unterbrochen. Auch wurde die Internet-Verbindung in Libyen gekappt.

Libyen macht eine ausländische Verschwörung für die Unruhen verantwortlich. Die staatliche Nachrichtenagentur Jana verbreitete am Samstagabend, die Sicherheitskräfte hätten Angehörige einer Verschwörergruppe festgenommen, darunter Palästinenser, Tunesier und Sudanesen. Es sei möglich, dass der israelische Geheimdienst seine Finger im Spiel habe.

Erstmals seit Beginn der Massenproteste in der arabischen Welt forderten auch in Marokko mindestens 2.000 Menschen politische Reformen. In der Hauptstadt Rabat verlangten die Demonstranten am Sonntag eine Beschneidung der Macht von König Mohammed. In Tunesien, wo die Proteste ihren Ursprung nahmen, kamen Tausende Demonstranten trotz eines Versammlungsverbots in der Hauptstadt Tunis zusammen, um den Rücktritt der Übergangsregierung zu fordern. Im Jemen schossen Anhänger von Präsident Ali Abdullah Saleh auf regierungskritische Demonstranten in der Hauptstadt Sanaa. In der vorderasiatischen Republik protestieren Tausende Menschen bereits seit neun Tagen gegen die Regierung. Kundgebungen für Demokratie gab es auch in Algerien, im Oman, in Kuwait sowie im Kleinstaat Dschibuti am Horn von Afrika.

Nach tagelangen Unruhen herrschte dagegen in Bahrain am Sonntag gespannte Ruhe. Nach dem Rückzug der Armee in die Kasernen hatten mehrere Tausend Regierungsgegner am Samstag den zentralen Lulu-Platz wieder besetzt und dort Lager aufgeschlagen. Kronprinz Scheich Salman bin Hamad al-Khalifa bedauerte in einem Fernsehinterview den Tod von mindestens vier Demonstranten in den vergangenen Tagen. Auf Weisung seines Vaters, König Hamad bin Isa al-Khalifa, nahm er erste Kontakte zur Opposition für einen nationalen Dialog auf.

Österreich verlegte unterdessen am Sonntag einen Lufttransporter des Bundesheeres nach Malta. Es handle sich um eine vorbereitende Maßnahme, um österreichische Staatsbürger, die in Libyen oder anderen Staaten Unterstützung bedürften, “rascher zurückholen zu können”, sagte Außenamtssprecher Peter Launsky-Tieffenthal der APA. Der österreichische Krisenstab stuft die Sicherheitslage im Großraum von Tripolis demnach als “sehr angespannt” und “unvorhersehbar” ein. Eine explizite Reisewarnung gibt es für Libyen derzeit nicht. Allerdings wird “dringend von nicht absolut notwendigen Reisen nach Libyen abgeraten”.

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