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Jugendwohlfahrt: "Es sind alle ein wenig ratlos"

Bregenz (VN) -  Der Rechnungshofbericht vor über einem Jahr machte auf die dramatische Situation der Jugendwohlfahrt aufmerksam. Jetzt, ein Jahr später, sagt Ilga Hehle, die Leiterin der Bregenzer Jugendwohlfahrt, ihre Abteilung sei kurz davor, „auseinanderzubrechen“. Kinderdorf-Geschäftsführer Christoph Hackspiel spricht über die Notwendigkeiten in der Jugendwohlfahrt.
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Hackspiel:Der Fall Cain ist mitten in die Analyse gefallen. Das hat die Dramatik natürlich verstärkt. Der Weg ist der richtige, aber man muss aufpassen, dass die Abteilungen im Zuge der starken Veränderungen nicht zusammenbrechen.

 
Was bedeutet das konkret?

Hackspiel: Da sindalleeinwenigratlos. Wir sprechen über ein spannungsgeladenes Aufgabenfeld. Sozialarbeiter stehen ständig unter Druck. Immer ist irgendjemand nicht einverstanden. Da braucht es eine gute Psychohygiene und mehr Unterstützung. Da gibt es sicher Optimierungsbedarf. Die Sozialarbeiter sind irritiert von den Ereignissen der letzten Monate. Die meisten der Anfragen werden engagiert erledigt. Das hört man aber nie. Man muss auch aufzeigen, was die Jugendämter sehr gut lösen.

 
Wo sehen Sie die Grundproblematik?

Hackspiel: Derzeit steht die Jugendwohlfahrt immer am Ende der Kette, wenn die Kindesgefährung schon sehr deutlich ist. Die Zeit für Service, Kommunikation und Prävention ist nicht da. Das liegt einerseits an der Personalknappheit, aber auch an der momentanen Grundhaltung: Die Jugendwohlfahrt muss immer Feuerwehr spielen. Das muss sich ändern: Sie darf nicht immer erst am Schluss kommen. Die Mitarbeiter dürfen nicht ständig im Eck stehen.

 
Welche Empfehlungen hätten Sie?

Hackspiel: Die Entwicklung eines Gesamtsystems mit einer größeren gesellschaftlichen Dimension. Also nicht länger alles an die Jugendämter zu delegieren, wie es jetzt der Fall ist. Das Wegdelegieren betrifft sowohl die Eltern als auch die Schulen. Die Jugendämter können nicht alles lösen, was gesellschaftlich an Erwartungen da ist.

 
Welche Maßnahmen wären das?

Hackspiel: Dringend notwendig ist ein besseres Stützsystem: Die Schüler- und Ganztagesbetreuung etwa muss ausgebaut werden. Da wünsche ich mir eine Forcierung für die Kinder und Familien in schwierigen Situationen. Es braucht eine kinderfreundlichere Welt, in der mehr Menschen Verantwortung übernehmen. Auch im Fall Cain wurde das klar: Viele hatten etwas gewusst, aber am Ende ist nur das Jugendamt schuld. Das Gesamtsystem muss noch besser kooperieren. Polizei, Schulen, Umfeld. Wir allesind gefordert, genau hinzusehen und eine Fehlerkultur zu entwickeln.

 
Im September sahen Sie die Einrichtungen an der „Grenze ihrer Leistungsfähigkeit“. Was hat sich bei Ihnen seither geändert?

Hackspiel: Im Kinder- und Jugendbereich wurden Ausbaumöglichkeiten beschlossen. Die Kapazitäten sind im Moment ausreichend. Ich sage: im Moment.

 
In der Jugendwohlfahrt wären jetzt Mittel da, aber die Sozialarbeiter, die auch bereit sind unter diesen Bedingungen zu arbeiten, fehlen?

Hackspiel:Es braucht die besten Leuten. Diese zu finden, ist dann, wenn der Ruf nicht gut ist, nicht leicht. Wenn dann Personen wegknicken, trifft es die wenigen, die noch da sind, noch mehr. Sie sind extrem belastet. Man muss die Attraktivität des Berufes wieder steigern. Da ist die beschlossene Aufwertung beim Gehalt aber nur ein erster Schritt.

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