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Irak: ISIS besetzt frühere C-Waffenfabrik - USA zu "gezielten" Militärschlägen bereit

Irak - USA: Jihadisten besetzen frühere Chemiewaffenfabrik
Irak - USA: Jihadisten besetzen frühere Chemiewaffenfabrik ©AP
Die Jihadisten im Irak haben nach Angaben der US-Regierung die einstige Chemiewaffenfabrik besetzt, in der der frühere Machthaber Saddam Hussein Giftgase herstellen ließ. Indes erwägen die USA angesichts der Jihadisten-Offensive ein begrenztes militärisches Eingreifen der Vereinigten Staaten im Irak.
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Die Islamistengruppe Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien (ISIS) habe den Komplex Al-Muthanna besetzt, erklärte die Sprecherin des US-Außenministeriums, Jen Psaki, am Donnerstag in Washington.

USA befürchten keine neue C-Waffenproduktion

Allerdings ging Psaki nicht davon aus, dass die ISIS in der Lage ist, dort Chemiewaffen zu produzieren, weil das dort lagernde Material veraltet ist. Der Komplex liegt rund 70 Kilometer nordwestlich der irakischen Hauptstadt Bagdad.

Senfgas und Sarin

Seit Anfang der 1980er-Jahre waren dort nach Angaben des US-Geheimdienstes CIA Chemiewaffen wie Senfgas und das Nervengas Sarin produziert worden. Während des Iran-Irak-Krieges wurde das Chemiewaffenprogramm demnach ausgebaut. 1987 wurden dort laut CIA 209 Tonnen Sarin hergestellt, 1988 waren es 394 Tonnen. Den Angaben zufolge wurde die Anlage nach dem ersten Golfkrieg geschlossen. Anfang der 1990er-Jahre wurden dort die Maßnahmen des Irak zur Zerstörung seiner Chemiewaffenbestände überwacht.

Psaki erklärte, Washington sei bei jeder Einnahme militärischer Anlagen durch ISIS besorgt. Jedoch gingen die USA nicht davon aus, dass die Anlage militärisch relevantes Material für chemische Waffen beherberge. “Und es wäre sehr schwierig, wenn nicht unmöglich, das Material sicher wegzubewegen.”

Obama bedingt zum Kampf bereit

Am auffälligsten ist, was US-Präsident Barack Obama alles nicht sagt, als er am Donnerstag nach langem Zögern seine Gegenmaßnahmen zum Vormarsch der Terrorgruppe ISIS im Irak vorstellt. Das Wort Soldaten etwa nimmt er nicht in den Mund, stattdessen spricht er von Militärberatern.

Obama kündigt nicht an, 300 dieser Berater-Soldaten in den Irak zu schicken, sondern dass er “bereit” sei, dies zu tun. Mögliche Luftschläge nennt er “militärische Handlungen”. Offen den Rücktritt von Regierungschef Nuri al-Maliki zu fordern, das vermeidet er auch: “Es steht den USA nicht zu, Iraks Führer zu bestimmen.”

Obamas kontrollierte Wortwahl macht deutlich, dass ihm nicht ganz wohl ist in seiner Haut: Zweieinhalb Jahre, nachdem er jubelnd den letzten aus dem Irak heimkehrenden US-Soldaten daheim begrüßte, muss er jetzt wieder Hunderte zurückschicken, damit sie neuerliche amerikanische Luftangriffe in dem Land vorbereiten können. Das kommt ihm einfach nicht so leicht über die Lippen.

Dabei ist seine Strategie eigentlich kein Geheimnis mehr: “Der Präsident hat immer wieder klar gemacht, dass wir handeln werden, wenn es notwendig ist, die USA gegen eine unmittelbare Bedrohung zu verteidigen. Das schließt militärische Maßnahmen ein”, sagte ein Regierungsvertreter nach Obamas Auftritt vor Journalisten. Und die ISIS-Terroristen stehen auf der Liste dieser Bedrohungen weit oben.

Auch, dass die Amerikaner Maliki gern loswerden würden, verhehlen sie kaum. Sie wollen eine irakische Spitze, die Schiiten, Sunniten und Kurden in die Führung einbezieht, damit sich die Spannungen in dem Land nicht weiter vertiefen. Doch: “Wir wollen Maliki nicht auffordern, abzutreten, und dann jahrelang überlegen, wie wir ihn dazu bringen”, meint ein hochrangiger US-Regierungsvertreter. Den Fehler machte Obama schon bei Syriens Machthaber Bashar al-Assad.

Fehlervermeidung scheint derzeit das oberste Gebot zu sein im Weißen Haus. Einerseits will Obama verhindern, dass der Irak “zurück in den Abgrund” rutscht – und damit vielleicht die ganze Region völlig unkontrollierbar wird. Der Verlust Tausender Soldaten im Irak-Krieg zwischen 2003 und 2011 müsse sich gelohnt haben und sich in einem starken irakischen Staat niederschlagen, betont er. Ihm ist gewahr, dabei nachhelfen zu müssen.

Andererseits geht es um sein Vermächtnis als Anti-Kriegs-Präsident, als der Abwickler der teueren und tödlichen Konflikte seines Vorgängers. “Amerikanische Streitkräfte werden nicht zu Kämpfen in den Irak zurückkehren”, erklärt er. Auch Zehntausende US-Soldaten könnten das Problem nicht einfach verschwinden lassen. “Das ist etwas, was von den Irakern gelöst werden muss.”

“Anti-Kriegs-Präsident” sucht den Mittelweg

Also versucht Obama es wie so oft in einer Präsidentschaft mit dem Mittelweg – mit Beratern, mehr Hilfe für die irakischen Truppen und vielleicht “gezielten” militärischen Schlägen, aber sonst nichts. Zufrieden darüber zeigt sich kaum jemand. Der Präsident “unterschätzt die Ernsthaftigkeit dieser Bedrohung”, kritisiert der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Abgeordnetenhaus, Ed Royce. Der Republikaner fordert wenigstens Drohnenschläge. “Wir müssen jetzt handeln”, erklärt auch sein Senatskollege John McCain.

Obamas Parteigenossen hingegen beklagen, dass er trotz aller Versprechen nun doch für amerikanische “Soldatenstiefel auf dem Boden” entschieden habe. “Ich denke, man sollte vorsichtig damit sein, Spezialtruppen zu schicken, denn deren Zahl neigt dazu, zu wachsen”, warnt die Anführerin der Demokraten im Abgeordnetenhaus, Nancy Pelosi. Obama versucht, diese Sorgen abzutun: Der Auftrag der Truppe würde sich keinesfalls nach und nach ausweiten, betont er.

Dagegen scheinen Erklärungen von Regierungsvertretern zu sprechen, die zumindest kein geografisches Limit für den Kampf gegen ISIS sehen. “Die Gruppe arbeitet weiträumig und wir würden unsere Möglichkeiten, notwendige Maßnahmen zu treffen, nicht einschränken”, sagte ein Obama-Berater. Die Islamisten sind nicht nur im Irak aktiv, sondern auch im benachbarten Syrien. Aus dem Bürgerkrieg in dem Land wollte sich Obama bisher so gut wie möglich heraushalten.

(APA/red)

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