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„Ich habe nie Angst gehabt, vor nichts“

WANN & WO traf Rudolf Sagmeister im KUB Café am Bregenzer Kornmarktplatz.
WANN & WO traf Rudolf Sagmeister im KUB Café am Bregenzer Kornmarktplatz. ©WAWO/Miro Kuzmanovic
Schul­­verweigerer, Rebell und KUB Kurator: Rudolf Sagmeister im WANN & WO-­Sonntags-Talk.


WANN & WO: Sie arbeiten schon seit 1992 als Kurator für das Kunsthaus Bregenz. Wie sieht ihre Bilanz aus?

Rudolf Sagmeister: Das Kunsthaus Bregenz ist eine Erfolgsgeschichte, die sich bei der Eröffnung niemand hätte vorstellen können – wir uns schon, der Großteil der Verantwortlichen aber nicht. Wir sind mit einer gewissen Naivität an die Sache gegangen und haben uns gedacht: Wieso nicht das, was man in New York, Tokio und Paris sieht, auch hier in Vorarlberg machen. Die Arbeit auf dem obersten Standard war von Anfang an klar. Auch Kunst für Kinder gehört dazu. Jeden Samstag bietet das KUB Kurzführungen an, im Anschluss wird selbst Kunst gemacht. So haben wir Menschen ins KUB gebracht, die sich geschworen hatten, nie in dieses „scheußliche Haus, das aussieht wie eine Parkgarage“, zu gehen (lacht).

WANN & WO: Wollten Sie immer schon Kurator werden?

Rudolf Sagmeister: Ich hatte das Glück, in einer Familie aufzuwachsen, in der Kunst eine große Rolle gespielt hat. Mein Großvater hat schon Reklame gemacht, war ein sehr guter Zeichner. Mein Vater war im Herzen Kunsthistoriker. Mein Großcousin Stefan Sagmeister sollte auch den meisten ein Begriff sein – mit ihm habe ich meinen ersten Edmund Kalb-Katalog gemacht, vor über 30 Jahren (1985). Kunst war in der Familie also immer sehr präsent. Im Alter von 13 wusste ich schon, dass ich Kunsthistoriker werde. Ich bin dann auch viel gereist, habe zu Hause gelernt, wie man Dinge gut organisiert und wurde angstfrei erzogen. Als Student habe ich schon meine ersten Ausstellungen konzipiert und gleich realisiert: Wenn man in Vorarlberg etwas macht, zählt es nichts. Deshalb bin ich oft ins Ausland, habe so eine US-Kunsthistorikerin kennengelernt und geheiratet, in Wien studiert und in Hamburg promoviert. Ich war länger in New York, London, Paris und habe Kontakte geknüpft. Schon als Studenten haben meine Frau und ich Ausstellungen organisiert: Selbstporträts von Rudolf Wacker und Edmund Kalb im österreichischen Kulturinstitut in New York und dann in weiterer Folge auch vermittelt, dass drei lebende Vorarlberger Künstler dort ausstellen konnten, Tone Fink zum Beispiel.

WANN & WO: Ist da nicht eine gewisse Angst dabei?

Rudolf Sagmeister: Niemals. Ich habe nie Angst gehabt, vor nichts. Mit Mut und viel Arbeit kann man alles machen.

WANN & WO: Ist diese angstfreie Art in der Kunst generell wichtig?

Rudolf Sagmeister: Das ist nicht nur in der Kunst so. Man muss die Dinge mutig angehen und sich nicht von Schwierigkeiten abhalten lassen, um etwas zu erreichen. Grundsätzlich ist es am Anfang von jeder Ausstellung so, dass wir zu wenig Geld haben. Aber genau das macht mir auch Spaß, das ist die Herausforderung.

WANN & WO: Hatten Sie ein „Leben vor der Kunst“?

Rudolf Sagmeister: Ich bin mit Kunst aufgewachsen. Mein Freund und Schulbanknachbar Christoph Luger ist Künstler geworden. Ich wusste aber immer schon, dass ich lieber Kunstwissenschaftler und Kurator werden will. Das Wunderbare am Beruf des Kurators ist, dass man alle paar Monate ganz intensiv in einen neuen Kosmos einsteigt und das miterlebt. Das sind dann kurze, platonische „Liebesbeziehungen“. Jeder Ausstellungsaufbau ist auch eine Krisensituation mit extremem Zeitdruck, großem Risiko und Kämpfen. Wenn es dann gelingt, ist es mit viel Emotionen, Glücksgefühlen und Dankbarkeit an alle im Team verbunden.

WANN & WO: Was macht Vorarlberg als Kunstland interessant?

Rudolf Sagmeister: Wir haben das Glück, sehr viele talentierte Handwerker zu haben. Uns im KUB zeichnet auch aus, dass wir neue Dinge mit den Künstlern entwickeln. Sachen, die so groß und komplex sind, dass wir auf unser Know-how der heimischen Betriebe zurückgreifen müssen. Viele wissen leider nicht, welche Rolle das KUB in der internationalen Szene spielt.

WANN & WO: Können Sie behaupten, sich in Ihrer Jugend ausgelebt zu haben?

Rudolf Sagmeister: Ja, ich hatte durchaus wilde Jugendjahre (schmunzelt).

WANN & WO: Wie kann man sich die vorstellen?

Rudolf Sagmeister: Ich war ein Schulverweigerer. Ich hatte drei Nachprüfungen, habe sogar eine Klasse wiederholt. Die Matura habe ich dann aber mit Auszeichnung geschafft, um zu zeigen, dass man den ganzen Stoff auch in kurzer Zeit lernen kann. Wir waren acht Repetenten in der Klasse, haben lieber Filme gedreht, fotografiert und sind Motorradrennen gefahren, als die Schulbank zu drücken. Mit zwölf haben wir die ersten Schrott-Autos gekauft, die ersten Motorräder umgebaut – ich fahre übrigens auch heute noch leidenschaftlich Motorrad. Mein Großvater hat schon Rennen auf den Gebhardsberg veranstaltet, war sonst aber ein gestandener Bürger. Jugend und Kindheit waren freie, wilde, schöne Jahre bis auf die Langeweile und Disziplinierungsversuche damaliger Lehrer.

WANN & WO: Sie sind viel in der Welt herumgekommen. Was hat Sie bewegt, wieder nach Vorarlberg zurückzukehren?

Rudolf Sagmeister: Ich habe mir besonders Deutschland, England und Amerika angesehen und mir gedacht: Da läuft so vieles, was in Vorarlberg noch fehlt. In New York gibt es schon so viele Museen und Galerien, da wollte ich nicht nochmal dasselbe hinzufügen. Ich denke, Vorarlberg kann nur existieren, wenn Leute zurückkommen und sich hier engagieren. Es gäbe hier keine Wirtschaft und Kultur, wenn die Menschen nicht mit neuen und innovativen Ideen zurückkehren – man könnte hier nicht leben. Und genauso ist es für mich: Gäbe es das Kunsthaus nicht, könnte ich hier nicht leben. Man hat in Vorarlberg nicht das Gefühl, in einer Provinz aufzuwachsen. Nein, man kann Ähnliches sehen wie in einer Großstadt. Dazu sind Veranstaltungen wie beispielsweise das Poolbar-Festival ganz wichtig. Ich bezeichne Vorarl­berg gerne als ländlich-urban. Bei uns passiert viel, das ist aber immer gefährdet. Die Leute müssen hinausgehen und neue Ideen heimbringen. Ich wollte das im Bereich der Kultur realisieren. Viele andere haben es in den Bereichen Kunst, Musik, Handwerk, Forschung und Wirtschaft umgesetzt. Wenn wir nicht Top-Leute hätten, die immer wieder neue Impulse setzen, dann wäre Vorarlberg nicht das, was es ist.

WANN & WO: Das KUB überrascht immer wieder mit mutigen Ausstellungen. Würden Sie sich selbst auch so beschreiben?

Rudolf Sagmeister: Ja. Sonst wären viele schwierige Projekte nicht möglich.

WANN & WO: Jakob Kasimir alias Candy Ken ist Ihnen ein Begriff. Was halten Sie von seiner Kunst?

Rudolf Sagmeister: Ich kenne ihn schon als Schüler, er wurde auch vom KUB geprägt – war bei der Kinderkunst dabei. Ich habe ihn seit seinen ersten Fotografie-Ausstellungen begleitet und kritisiert. Er ist ein mutiger junger Mann, hat sich von Anfang getraut, sein Ding zu machen.

WANN & WO: Kunst ist Kritik ausgesetzt. Wie gehen Sie damit um?

Rudolf Sagmeister: Das gehört dazu. Wenn man keine Kritik erntet, macht man vermutlich etwas falsch. Wir gehen immer an die Grenzen. Wenn etwas allen gefällt, macht man Musikantenstadl – und nicht einmal der gefällt allen.

WANN & WO: Welche Rolle spielt Familie in ihrem Leben?

Rudolf Sagmeister: Ohne die Unterstützung von meinen Eltern, meinen Geschwistern und meinen vielen Cousins und Cousinen wäre ich nicht so weit gekommen – bei ihnen kann ich immer Rat holen. Ich wurde von meinen Eltern nach dem Grundsatz erzogen: Du kannst alles erreichen, wenn du von etwas begeistert bist. Die Leute werden dir helfen, wenn sie das spüren. Meine Frau und ich haben das auch versucht, unseren Kindern mitzugeben.

WANN & WO: Schlagen auch ihre Kinder in die Kunstrichtung ein?

Rudolf Sagmeister: Die Älteste arbeitet als Juristin, die andere Tochter ist Sozialarbeiterin und Historikerin. Und unser Sohn studiert Volkswirtschaft. Was aber alle verbindet: Sie wollen die Welt verändern.

WANN & WO: Wenn Sie am heutigen Tag einen Blick zurück auf Ihr Leben werfen: Würden Sie alles wieder genau gleich machen?

Rudolf Sagmeister: Ich hatte viel Glück, war auch hartnäckig, habe bewusst Entscheidungen getroffen, die ich heute wieder machen würde.

(WANN&WO)

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