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"Ich bin einmal der Illusion aufgesessen"

Schwarzach - Sommergespräch: Christian Ortner und Andreas Dünser im Gespräch mit Grünen-Chef Johannes Rauch.
Ist die Welt gerecht?

(Schmunzelt) Nicht wirklich. Wobei nicht die Frage ist, ob die Welt gerecht ist. Die Frage muss sein, ob es gelingt, die Welt gerechter zu machen. Das ist unter anderem Aufgabe der Politik. Beispielsweise dafür zu sorgen, dass die Kluft zwischen Arm und Reich oder zwischen Gebildeten und weniger Gebildeten nicht zu groß wird. Soziale Gerechtigkeit, eine gewisse Balance ist der gesellschaftliche Kitt.

Apropos Gerechtigkeit. Die Grünen mühen sich ab, ab 2014 gibt es im Land Vorarlberg wieder Schwarz-Blau.

Das wird vermutlich so sein. IchbineinmalderIllusionaufgesessen, dass die ÖVP ernsthaft erwägt, eine schwarz-grüne Koalition zu bilden. Ein zweites Mal wird mir dieser Fehler nicht unterlaufen. Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass nach der Landtagswahl 2014 wieder eine schwarz-blaue Landesregierung gebildet wird.

Maßgeblicher Widerstand gegen die Grünen kam damals von den Senioren. Wie wollen die Grünen die ältere Generation ansprechen?

Wir sind eine junge Partei, die in diesem Segment erst noch nachwachsen muss. Die Generation, die traditionell grün gewählt hat und dies ins Alter mitnimmt, die kommt ja erst. Wobei sich bei uns schon die Hoffnung damit verbindet, dann zu wachsen. Allerdings ändert sich das Wahlverhalten schnell, die Wählerschaft ist viel mobiler geworden. Wahrscheinlich kommt es auf die Frage an, wer überhaupt noch glaubhaft ist. Und ich meine, fehlende Glaubwürdigkeit ist überhaupt das größte Problem nicht nur für die Politik, sondern für die Demokratie insgesamt.

Schuld daran ist die Politik.

Eindeutig. Wenn man sich über Jahrzehnte mit Verwalten begnügt und Mutlosigkeit zum Prinzip erhebt, keine Entscheidungen trifft und wie in der Bundespolitik meint, man müsse mit großen Sprüchen einem Kleinformat nachlaufen, merken das die Leute. Es ist in Österreich in den vergangenen Jahren keine einzige große Reform mehr angegangen worden – weder im Bildungsbereich, noch bei den Pensionen oder bei der Verwaltung. Für diesen Rucksack muss die jüngere Generation die Zeche zahlen.

Warum sind die deutschen Grünen viel erfolgreicher als die österreichischen?

Das ist eine Frage, die nicht einfach zu beantworten ist. Baden-Württemberg beispielsweise ist ein Phänomen. Die Grünen machen dort keine andere Politik wie vor zehn Jahren. Dieselbe Person, dieselben Programme. Sie hatten zwar Konfliktthemen mit Stuttgart 21 und dem Atomausstieg, die massiven Schub gebracht haben. Aber in Wahrheit ist es einfach so, dass die deutschen Grünen uns an Erfahrung voraus sind. Auf Landesebene und auf Bundesebene. Die sind eine gefestigte Partei, die tatsächlich eine Alternative darstellt. Und sie sind personell breiter aufgestellt. Da gibt es bei uns noch Optimierungsmöglichkeiten.

Die Vorarlberger Grünen könnten stärker werden, wenn sie sich mehr auf das bürgerliche Lager konzentrieren würden.

Ich versuche mittlerweile einen völlig neuen Aspekt einzubringen. Ausgehend davon, dass der Großteil der Leute merkt, dass das mit dem System nicht mehr funktioniert – immer mehr Stress, immer mehr Druck, immer mehr Krankheit. Bei eigentlich relativem Wohlstand. Oder anders formuliert: Wir haben zwar drei Prozent Wirtschaftswachstum. Und gleichzeitig haben wir in den Kindergärten 15 Prozent Kinder mit massiven Problemen, seelischer Art. Da muss man doch einmal anfangen, die grundsätzlichen Fragen zu diskutieren, was eigentlich Wohlstand und Wohlbefinden ist. Und ob das mit weiterem Wirtschaftswachstum verknüpfbar ist. Ich glaube, der Job der Grünen ist es, dieser Grundsatzfrage nachzugehen. Wir müssen schauen, wie es uns gelingt, ein gutes Leben für alle zu erreichen. Danke für den philosophischen Kurzausflug. Wir wollten aber über die Chancen der Grünen im bürgerlichen Lager sprechen. Das bürgerliche Lager ist genau mit diesen Fragen beschäftigt. Egal, wo man hingeht, überall heißt es doch mittlerweile: ‚Mir geht das alles zu schnell‘, ‚Mir ist das alles zu stressig‘. In meinem Bekanntenkreis habe ich inzwischen zehn Leute mit Burn-out. Da ist es keine philosophische Frage mehr, sich zu überlegen, ob das jetzige Wirtschaftswachstums-Gläubigkeitsmodell noch fortsetzbar ist oder nicht. Das ist eine Frage von Lebensqualität und Überleben. Es braucht jemanden, der dieses Thema anzündet. Ich wollte nie nur verwalten. So habe ich meinen Job nie verstanden. Ich wollte immer weiterdenken. Das war bei der Energieautonomie so, das war beim Bioland Vorarlberg so. Es braucht mehr Zusammenhalt, der Zerfall in Einzelteile muss gestoppt werden. Es geht nur noch um Eigennutz, nicht mehr um Gemeinsinn. Das klingt jetzt bürgerlich, möglicherweise auch konservativ. Aber man muss darüber nachdenken. Es wäre so wichtig.

Wer ist im Land eigentlich der größte Populist?

(Überlegt) In Ausländerfragen ist Dieter Egger der größte Populist. Und wenn es gegen Wien geht, der Landeshauptmann.

Fußballplatz statt Auwald. Skilift statt unberührter Natur. Ist das System?

Wir erleben die letzten Zuckungen eines Systems, das heißt ‚Höher, schneller, weiter‘, in den Extremausschlägen, dass eben alles geht. Der Fußballplatz in Thüringen ist da bei aller Beschränktheit ein Paradebeispiel dafür. Man hat sich seitens des Landes und des Raumplanungsbeirates oft um eine gemeinsame Lösung bemüht. Die wäre möglich gewesen. Und dann geht man in die Knie, weil irgendein Vereinsobmann mit dem Rücktritt droht. Politik, gute Nacht! Dann kann ich die Landespolitik gleich schon an die Vereinsvorstände delegieren. Es gibt keinen Gestaltungswillen mehr.

Kommt die Natur bei der S-18-Nachfolge im wahrsten Sinn des Wortes unter die Räder?

Im Prinzip ja, weil jede riedquerende Variante Zerstörung bedeutet. Darum war unsere pragmatische Antwort, dass man das bauen soll, was leicht geht, nächstes Jahr angegangen werden kann, elf Millionen Euro kostet und eine deutliche Entlastung bringt. Das ist die Geschichte zwischen Höchst und St. Margrethen. Aber: Mehr denn je kommen Natur und Landschaft unter die Räder. Weil immer noch die Meinung vorherrscht: Entweder wachsen wir oder wir gehen unter. Warum machen wir es nicht anders. Warum sollen beispielsweise Lech oder Gargellen nicht die ersten autofreien Wintersport­orte in Vorarlberg werden? Das wäre ein Signal.

Die Grünen sind Tagträumer und Verhinderer, heißt es.

Das wirft man jedem vor, der über den heutigen Tag hinausdenkt. Für die Energie-Autonomie wurden wir einst ausgelacht. Heute trägt die Vorarlberger Landesregierung diese angebliche, einstige Tagträumerei wie eine leuchtende Monstranz europaweit spazieren. Insofern nehme ich diesen Vorwurf als Ehrenzeichen gerne entgegen. Und Verhinderer? Wir sind Bewahrer. Es ist nicht möglich, Grund und Boden, unsere Lebensgrundlagen, beliebig zu vernutzen. Ökonomen sagen, wenn ein Gut knapp wird, wird es teurer. Nur bei Natur und Landschaft scheint das Gegenteil der Fall zu sein. Absurd.

Nochmals zur S 18. Die Grünen überlassen den Protest gegen die Straße nun aus politischem Kalkül den Naturschützern, halten sich selber aber raus.

Das ist kein politisches Kalkül. Das ist eine Erkenntnis, die wir gewonnen haben im Zuge des Planungsverfahrens: Ohne irgendeine Form von Straße wird es nicht gehen. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass wir die jetzige riedquerende Variante für nicht machbar und nicht durchsetzbar halten. Sie ist technisch nicht machbar, nicht finanzierbar und vom Naturschutz her eine Katastrophe. Die Variante ist mit uns konsensfähig nicht abhandelbar. Im Übrigen wird die Umweltverträglichkeitsprüfung ohnehin zeigen, dass das so nicht geht.

Da machen es sich die Grünen wieder leicht. Eine Umweltverträglichkeitsprüfung in den verkehrsbelasteten Gemeinden würde auch vernichtend ausfallen.

Ja, das stimmt. Aber man kann nicht eine Katastrophensituation mit einer anderen Katastrophensituation rechtfertigen. Man muss eine Lösung finden. Und die heißt: ‚Auffächerung‘.

Das Gerücht reißt nicht ab: Sie gehen nach Wien, Harald Walser kommt ins Land.

Dieses Gerücht kann ich sofort ausräumen. Harald Walser wird bei der nächsten Nationalratswahl Spitzenkandidat der Vorarlberger Grünen sein, dieses Mandat souverän erringen und in Wien weiterhin einen super Job machen.

Sie suchen aber eine neue Herausforderung.

In aller Offenheit: Da binich schwankend. Natürlich hätte es einen gewissen Reiz, sich der Bundespolitik zu widmen. Dann aber über die Bundesliste, nicht über Walsers Mandat auf der Landesliste. Aber ich merke zunehmend, dass es spannend ist, auszureizen, was im Land noch geht. Denn ich merke inzwischen, ohne überheblich klingen zu wollen, dass ich mir in Vorarlberg auch über die Politik hinaus ein Standing errungen habe. Wasserkraft, Energie, Bioland: Es gelingt mir Dinge anzuzünden, bei denen nachweisbar was weitergeht. Das gefällt mir. Also: Ich habe mich da noch nicht entschieden.

illwerke-vkw-Vorstandsdirektor – das wäre doch ein Job für Sie, für den Erfinder der Energie-Autonomie, oder?

Ich leide nicht an Größenwahn. Es gibt Grenzen dessen, was man sich selber zutraut. Und die Leitung eines Landes-Energieversorgungsunternehmens ist nicht der Job, den ich kann und den ich will. Aber dort die Innovationsabteilung zu leiten und zu schauen, wie aus einem Energieversorger ein Umsetzungsakteur für erneuerbare Energien wird, das wäre ein interessanter Job.

Sollen wir die Bewerbung weiterleiten?

(Lacht) Ich werde das über die Politik machen. Das Beispiel Wasserkraft hat gezeigt, wie gut man aus der Opposition heraus Politik machen kann.

ZUR PERSON

Johannes Rauch
Vorstandssprecher der Vorarlberger Grünen, Grünen-Klubobmann

Geboren: 24. April 1959, wohnhaft in Rankweil

Ausbildung: Volksschule, Hauptschule, Handelsschule, Sozialakademie

Laufbahn: seit 1997 Vorstandssprecher, seit 2000 Landtagsabgeordneter, seit 2004 Klubobmann

Familie: verheiratet und Vater von zwei Töchtern

(VN)

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