Historiker Wildt: Hitler hat die Sehnsüchte der Deutschen bedient
Diese Vorstellungen hätten bis weit in die Zeit der Bundesrepublik Bestand gehabt, sagte Wildt, Professor für deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts an der Humboldt-Universität Berlin, in einem dpa-Interview zum 80. Jahrestag von Hitlers Ernennung zum Reichskanzler.
Sozialgeschichte des Nationalsozialismus
“Lange Zeit stand für Historiker Hitlers ‘Machtergreifung’ im Zusammenhang mit dem Ende der Weimarer Republik im Mittelpunkt. Diese staatliche Seite ist aber fast bis ins letzte Detail ausgeforscht. Heute interessiert uns eher, wie der 30. Januar 1933 in der Bevölkerung wahrgenommen wurde”, sagte Wildt. “Aus Tagebüchern und Briefen lässt sich eine Sozialgeschichte des Nationalsozialismus herauslesen.” So dränge sich etwa die Frage auf, warum so viele Vereine ohne Zwang 1933 damit begonnen hätten, ihre jüdischen Mitglieder auszuschließen.
Angst vor dem Kommunismus
“Weite Teile des Bürgertums trieb die Angst vor dem Kommunismus um”, so Wildt. “Viele begrüßten deswegen zunächst ein Kabinett der vereinigten Rechten, in dem die Nationalsozialisten nur einen Teil darstellten. Die NSDAP hatte ja neben Hitler als Reichskanzler zunächst nur zwei Minister. Anscheinend hielten der frühere Kanzler von Papen und ‘Superminister’ Hugenberg die Fäden in der Hand.” Hitlers radikale Absichten seien am Anfang von vielen unterschätzt worden. Selbst der Liberale Theodor Heuss, der erste Bundespräsident, habe für das Ermächtigungsgesetz gestimmt, das Hitlers Regierung erlaubte, Gesetze ohne das Parlament zu erlassen.
NS-System wusste an Sehnsüchte anzuknüpfen
Der Historiker weiter: “Die Nationalsozialisten haben es verstanden, an viele Wünsche und Sehnsüchte anzuknüpfen und daraus scheinbar positive Gefühle wie ‘Volksgemeinschaft’ oder ‘Ende des Parteienstaats’ zu formulieren. Für viele Leute bedeutete die Demokratie der Weimarer Republik ‘endloses Geschwätz’. Im Bürgertum gab es Unterstützung für die brutale Verfolgung der Kommunisten. Und auch Antisemitismus war weitverbreitet, zum Beispiel unter Studenten, die schon vor 1933 gegen jüdische Professoren vorgingen.”
“Hitler war eine rastlose, treibende Figur”
Zur Rolle von Hitlers Persönlichkeit, sagte Wildt: “Hitler war eine rastlose, treibende Figur. Aber nicht er allein. Die SA als Kampftruppe der NSDAP wollte sich keineswegs damit begnügen, dass Hitler Reichskanzler war. Sie wollte an die Pfründe der Macht und ein Volksheer werden. Ende 1933 standen dann Strukturen fest, die kaum noch revidiert werden konnten. In dieser Umwälzungs- und Mobilisierungsatmosphäre haben viele zu spät gemerkt, wie viel verändert wurde. Ein Großteil der Deutschen war buchstäblich mitgerissen.”
Bis in die Bundesrepublik sei die Erinnerung an die “Volksgemeinschaft” der Vorkriegszeit als angeblich “gute Zeit” bestehen geblieben. Wenn selbst heute manchmal noch Parteien für ihre Geschlossenheit gelobt würden und nicht weil ihre Mitglieder lebendig diskutierten, oder das Parlament wegen der “endlosen Debatten” verunglimpft werde, dann zeigten sich “volksgemeinschaftliche Sehnsüchte”. Demokratie brauche eine offene Streitkultur und die Fähigkeit zum Kompromiss. (APA)
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