Die Polemik der Parteien schieße weit an der Realität vorbei, glaubt der Historiker James Kloppenberg der US-Universität Harvard, der mit “Reading Obama” eine intellektuelle Biografie des Präsidenten verfasst hat. In der Praxis betreibe Obama eine moderate Politik und stehe ideologisch der Mitte nahe: “Im Herzen ist er ein amerikanischer Progressiver oder ein europäischer Sozialdemokrat”.
Obama lernte und lehrte in Harvard
Wie Kloppenberg lehrte auch Obama in Harvard. Dort erhielt er, als Student, Professor und Chefredakteur des renommierten Fachmagazins Harvard Law Review, auch seine politische und philosophische Prägung.
Ideengeschichtlich ordnet Kloppenberg Obama in eine in Europa wenig bekannte Schule ein, die Pragmatisten rund um den Philosophen John Dewey (1859-1952). Dewey legte in seinen Werken ein Konzept von Politik dar, in dem es keine absoluten Sicherheiten gibt, und das zu einem spielerischen, experimentellen Zugang zu politischen Problemen tendiert. Obama falle es darum leicht, sich in Fragen wie der Armutsbekämpfung von der Orthodoxie der Demokratischen Partei zu entfernen, und neue Antworten zu suchen, erklärte Kloppenberg. Ein weiterer wichtiger Einfluss auf Obama sei auch der deutsche Philosoph Jürgen Habermas, dessen Betonung der Bedeutung von Deliberation in der Demokratie für das politische Denken des Präsidenten zentral sei.
Theorie muss der Praxis weichen
Praktisch bleibt für den Historiker aber wenig von der philosophischen Schulung des Präsidenten übrig: Im Präsidentenamt müht sich Obama um die Zusammenarbeit der beiden Parteien, jedoch meist vergebens. Als größte Erfolge des Präsidenten sieht Kloppenberg die Reformen am Gesundheitssystem und dem Finanzsystem. Beide wurde gegen den vehementen Widerstand der Republikaner beschlossen, und mit großer Geschlossenheit der Demokraten. Für den Historiker ist das ein Anzeichen für die immer stärkere Konfrontation der Lager: “Der Parteienstreit ist extremer als jemals seit dem Zweiten Weltkrieg”.
USA politisch gespalten wie kaum zuvor
Die Spaltung Amerikas zeigt sich selbst auf dem Campus von Harvard. Wenn er seinem Kollegen Niall Ferguson, einem Wirtschaftshistoriker und überzeugten Republikaner, in der Kantine begegne, hätten sie sich wenig zu sagen, so Kloppenberg. “Er ist ein wirklich netter Kerl, aber wir liegen so weit auseinander, dass es schwer ist, uns über irgendwas zu einigen.”
Welches Vermächtnis Obama als Gelehrter im Präsidentenamt hinterlässt, hängt für Kloppenberg vom Ausgang der Präsidentenwahl im November ab. Ein Sieg von Obamas Herausforderer Mitt Romney verheiße Unheil, denn die Republikaner hätten sich der Vergrößerung der Schere zwischen Arm und Reich verschrieben. “Wenn Romney gewählt wird, wird es einen Rückschritt hinter alle Reformen von Clinton bis hin zum New Deal (Anfang der 1930er Jahr, Anm.) geben”. Ein Sieg Obamas hingegen, so Kloppenberg, erlaube es den Demokraten, die sozialdemokratische Politik der vergangenen vier Jahre fortzusetzen.
(APA)
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