Jede vierte Frau in Europa Opfer von Gewalt - hohe Dunkelziffer in Österreich
Dass Handlungsbedarf besteht, zeigen aktuelle Daten der Weltgesundheitsorganisation (WHO): Jede vierte Frau ist zumindest einmal im Leben Opfer von Gewalt. Diese Zahl bezieht sich auf die 53 Länder umfassende WHO Region Europa und stammt aus dem aktuellen WHO Bericht “Globale und regionale Schätzungen zu Gewalt an Frauen”.
“Geradezu epidemische Ausmaße”
Sie mache deutlich, dass körperliche und/oder sexuelle Gewalt medizinisch gesprochen geradezu epidemische Ausmaße habe, machte WHO-Genderberaterin Isabel Yordi Aguirre in einer Pressekonferenz auf die Dimension des oft versteckten Problems aufmerksam. Die Missstände zögen sich durch alle Staaten und könnten keinesfalls auf rein regionaler oder nationaler Ebene, sondern nur im Zusammenwirken aller wichtigen Player gelöst werden.
Um den Kampf gegen Gewalt an Frauen zu forcieren, soll die Rolle der Gesundheitseinrichtungen mehr in den Mittelpunkt gerückt werden. Denn an diese wenden sich Gewaltopfer am häufigsten. Insofern werden im Rahmen der Konferenz auch neue WHO-Richtlinien für Ärzte und Pflegepersonal vorgestellt. Sie enthalten Empfehlungen, wie Gewalt überhaupt erkannt und Betroffene infolge klinisch betreut werden sollten, sowie zu Erstversorgung, Fortbildungsmaßnahmen oder Fragen bezüglich der Meldepflicht von Fällen häuslicher Gewalt.
28.505 Anzeigen in Österreich – hohe Dunkelziffer
Für Österreich gibt es zwar kein vergleichbares Zahlenmaterial, Schätzungen zufolge ist hier aber ebenfalls jede vierte bis fünfte Frau betroffen. Vieles scheint im Dunkeln zu bleiben, denn die Kriminalstatistik 2012 weist österreichweit “lediglich” 28.505 diesbezügliche Anzeigen auf.
Gewalt unter Paaren: neun von zehn Opfer Frauen
Letztere macht den Großteil der Vorfälle aus. Das Europäische Institut für Gleichstellungsfragen (EIGE) hat erhoben, dass in den EU-Staaten der Anteil jener Bürgerinnen, die Opfer von physischer Gewalt durch ihre Partner werden, zwischen 12 und 35 Prozent liegt. Dass Gewalt unter Paaren vor allem ein weibliches Problem ist, zeigt die Tatsache, dass EU-weit neun von zehn Opfern in der Partnerschaft Frauen sind.
80 Prozent der Opfer leiden im Stillen
Außerdem beunruhigend: Laut vorläufigen Daten einer Studie der Europäischen Grundrechteagentur (FRA), die 2014 veröffentlicht werden soll, wenden sich ganze 80 Prozent der Frauen auch nach schwerwiegender Gewalt durch andere Täter nicht an Gesundheits-, Sozial- oder Opferschutzeinrichtungen. Nicht zuletzt womöglich auch deshalb, da diese in vielen Staaten nicht ausreichend vorhanden sind. So fehlen EU-weit EIGE zufolge rund 25.000 Frauenhausplätze.
Opferschutzeinrichtungen: Sparstift in der Kritik
Gerade Opferschutzeinrichtungen für Frauen würden in finanziell schwierigen Zeiten oftmals dem Sparstift zum Opfer fallen, beklagte Wiens Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely (SPÖ). Sie verwies auf die Folgen, unter denen Betroffene zu leiden hätten. Nicht nur, dass laut WHO 42 Prozent aller Frauen, die mit häuslicher Gewalt konfrontiert worden sind, Verletzungen erleiden, tragen die Betroffenen zudem ein höheres Risiko an Fehlgeburten, haben öfter Angst-, Ess- oder Schlafstörungen und sind anfälliger für Alkoholmissbrauch. Wehsely mahnte Beharrlichkeit ein – denn: “Der Kampf, dass Gewalt gegen Frauen als Kavaliersdelikt gesehen wird, ist nie fertiggekämpft.” Um Tabus aufzubrechen, müssten bereits Mädchen lernen, Nein sagen zu können.
Internationale Kampagne “16 Tage gegen Gewalt”
Gleichzeitig mit der Konferenz im Rathaus startete heute die jährliche internationale Kampagne “16 Tage gegen Gewalt”. Sie will auf das Phänomen der Gewaltausübung und Frauen als Opfer aufmerksam machen und endet am 10. Dezember, dem internationalen Tag der Menschenrechte.
Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) wies zum Start der Aktion in einer Aussendung darauf hin, dass sie dabei Hilfseinrichtungen für von Gewalt betroffene Frauen in den Mittelpunkt stellen wolle. “Jede fünfte Frau wird einmal in ihrem Leben Opfer von Gewalt, das ist alarmierend”, betonte sie.
“Heuer möchte ich die Hilfseinrichtungen in den Mittelpunkt stellen”, sagte die Ministerin. Wichtig sei ihr zu zeigen, dass es in Österreich mit dem Gewaltschutzgesetz und den -einrichtungen ein wichtiges und dichtes Netz gebe, damit betroffenen Frauen und Kindern rasch geholfen werden könne. Heinisch-Hosek verwies u.a. auf die 24 Stunden am Tag erreichbare Frauen-Helpline 0800/222555 sowie auf die neue fem:HELP-App.
Enttabuisierung gefordert
“Gewalt wird immer noch tabuisiert, was Betroffenen das Sprechen über ihre Erfahrungen erschwert oder verunmöglicht, beispielsweise bei sexueller, häuslicher oder psychischer Gewalt”, betonte Martina Wurzer, Frauensprecherin der Grünen Wien. Betroffene von Gewalt und Gewalttäter finden sich in allen Schichten und Altersgruppen. “Es braucht noch viel Aufklärungs- und Sensibilisierungsarbeit”, so Wurzer.
Eine Enttabuisierung des Themas verlangte auch die Freiheitliche Frauensprecherin Carmen Gartelgruber. Ein verbesserter Opferschutz sei in diesem Zusammenhang ein zentrales Thema, bei dem noch großer Handlungsbedarf bestehe.
Gewalt und ihre vielen Gesichter
Gewalt gegen Frauen habe viele Gesichter. Darauf machte Team Stronach Frauensprecherin Martina Schenk aufmerksam. “Neben physischer, sexueller und psychischer Gewalt gibt es auch noch ökonomische und soziale Gewalt. Es braucht Zivilcourage und den richtigen Einsatz der Politik, um gewalttätige Vorfälle zu minimieren beziehungsweise zu verhindern.”
(APA/red)
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