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"Fataler Fehler": Prostatakranker verklagt Vorarlberger Internisten

"Fataler Fehler": Prostatakranker verklagt Vorarlberger Internisten.
"Fataler Fehler": Prostatakranker verklagt Vorarlberger Internisten. ©DAPD, VOL.AT
Bregenz - Ein Internist aus Vorarlberg setzt bei einem Risikopatienten die Prostatauntersuchungen aus. Wenig später erkrankt der Patient unheilbar an Krebs. Zwei unabhängige Gutachten werfen dem Arzt schwerwiegende Fehler vor, er selbst bestreitet die Vorwürfe. Jetzt entscheidet das Landesgericht Feldkirch über den Fall.
Helmut Petter im Interview
Teure Behandlungsfehler

Im Februar 2010 findet Frau Petter ihren Mann regungslos auf  seinem Bett. Auf dem Kissen ist Blut. Helmut Petter wird ins Krankenhaus Bludenz eingeliefert, kurz darauf wird er in die Geriatrie-Abteilung nach Hohenems verlegt. Dort erhält der 67-Jährige die niederschmetternde Diagnose: metastasierender Prostatakrebs. Der PSA-Wert des Mannes – jener Wert, der auf die Wahrscheinlichkeit eines Tumorbefalls in der Prostata schließen lässt – liegt zu diesem Zeitpunkt bei 550 ng/ml (Nanogramm pro Milliliter). Zum Vergleich: Ein Mann Mitte 60 hat normalerweise einen Wert weniger als vier ng/ml. An eine Operation ist unter diesen Umständen nicht mehr zu denken.

„Habe mich auf ihn verlassen“

Dass Helmut Petter ein Risikopatient ist, war bereits seit 2004 bekannt. Damals ergab eine Biopsie im Krankenhaus Bludenz eine High-Grade PIN – auch das ein möglicher Indikator für Prostatakrebs. Das entsprechende Untersuchungsergebnis wurde damals Petters behandelndem Arzt zugesandt – einem Vorarlberger Internisten. Mit dem Hinweis, binnen drei Monaten eine Re-Biopsie durchführen zu lassen. Sein Arzt ignoriert nicht nur diese Empfehlung, sondern unterlässt ab 2006 auch die Messung der PSA-Werte bei den jährlichen Vorsorgeuntersuchungen. Ab diesem Zeitpunkt werden laut Petter auch keine Tastuntersuchungen mehr durchgeführt. Als Erklärung verweist der Arzt auf eine amerikanische Studie, der zufolge der Nutzen von PSA-Untersuchungen für die Krebsvorsorge mehr als fraglich sei. Petter vertraut dem Mann blind, fragt auch nicht mehr nach. “Ich habe mich auf meinen Arzt verlassen”, sagt er heute.

Verhandlung am Landesgericht Feldkirch

Das Verhalten des Internisten ist jetzt Gegenstand einer Gerichtsverhandlung. Laut Petter handelt es sich dabei sogar um den ersten Fall dieser Art in Österreich. Am 5. Juni muss eine Richterin am Landesgericht Feldkirch klären, ob der Vorarlberger Arzt tatsächlich “lege artis” gehandelt hat – also “nach den Regeln der ärztlichen Kunst”. Zwei ärztliche Sachgutachten, die VOL.AT vorliegen, lassen zumindest Zweifel an dieser Lesart aufkommen.

Gutachten: “Fataler Fehler”

Eines der Dokumente, erstellt von einem Salzburger Urologen, kommt zum Schluss: “Herrn Dr. …* (*Anm.: Name der Red. bekannt) ist ein fachlicher, für Herrn Petter leider fataler, Fehler unterlaufen.” Und weiter: “Eine engmaschige Kontrolle mit dem Beiziehen eines Kollegen/in aus dem Fach Urologie wäre das State of the Art-Vorgehen (etwa: “Stand der Technik”, Anm.) gewesen.” Die Handlungsweise des Internisten habe “die Prognose von Herrn Petter sicherlich verschlechtert.” Eine ähnliche Schlussfolgerung zieht in einem zweiten Gutachten auch ein Grazer Internist. In diesem heißt es, dass “zumindest eine rektale Untersuchung … sowie eine fachgerechte urologische sonographische Kontrolle erforderlich gewesen wäre”. Ein Fehlverhalten stelle auch die nicht erfolgte Re-Biopsierung dar.

Beklagter: “Tut mir extrem leid”

Der Beklagte selbst bestreitet die Vorwürfe vehement. Die ganze Sache tue ihm “extrem leid”, auch, weil er sich Herrn Petter freundschaftlich verbunden gefühlt habe. Ein Fehlverhalten will er dennoch nicht erkennen. Er sei davon überzeugt, Petter korrekt beraten zu haben. Bei Männern in seinem Alter würden “harmlose” Formen des Prostatakrebses eben recht häufig vorkommen. Nur in den wenigsten Fällen – nämlich drei Prozent – führe  das zum Tod. Außerdem hätten diverse Studien ergeben, dass urologische Vorsorgeuntersuchungen das Risiko keineswegs mindern würden. Stattdessen würden vorschnelle Eingriffe jährlich zu tausenden impotenten und inkontinenten Männern führen. Ein solches Schicksal habe er Herrn Petter einfach ersparen wollen. Und selbst wenn man die Untersuchungen gemacht hätte, wäre das keine Garantie dafür gewesen, dass man diese aggressive Form des Krebses auch gefunden hätte, so der Arzt weiter.

OA Berger: Studie umstritten

Oberarzt Andreas Berger von der Urologie am Landeskrankenhaus Feldkirch bestätigt, dass die übliche Vorgehensweise bei einer High-Grade PIN (HGPIN) eine engmaschige Kontrolle des Patienten ist. So zumindest lautet die Empfehlung der Europäischen Urologischen Gesellschaft (EAU). Eine Re-Biopsierung sei jedenfalls dann erforderlich, wenn zusätzlich zur HGPIN auch noch ein verdächtiger Tastbefund oder hoher PSA-Wert dazukomme – oder wenn die HGPIN in mehreren entnommenen Proben auftauche. Die amerikanische Studie, die vom Beklagten ursprünglich ins Treffen geführt wurde, sieht Berger überaus kritisch. Zum einen habe man dort mit einem viel zu kurzen Untersuchungszeitraum gearbeitet. Zum anderen seien schwere methodologische Fehler unterlaufen. Vergleichbare Studien aus Europa hätten eine Verminderung der Sterblichkeitsrate von 40 Prozent und eine Reduktion der Metastasen von ebenfalls 40 Prozent ergeben – durch entsprechende urologische Untersuchungen.

“Keine Chance auf Heilung”

In dem erwähnten urologische Gutachten wird auch hervorgehoben, dass Herrn Petter “keine Mitschuld” trifft. Als Patient müsse er sich auf die Aussagen seines Arztes verlassen können, heißt es dort sinngemäß. Das hat Petter bekanntlich auch getan – mit verheerendem Ausgang. Jetzt muss das Gericht entscheiden. Anwalt Alexander Wirth – er vertritt Petter vor Gericht – zeigt sich zumindest diesbezüglich optimistisch: “Auf Grund der Faktenlage rechnen wir mit einem positiven Ausgang des Verfahrens.” Wobei es Petter nicht nur um Schmerzensgeld geht. Wichtig sei, andere Menschen vor seinem Schicksal zu bewahren. Einer Situation nämlich, in der es “keine Chance auf Heilung” mehr gebe. (MST)

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